Einmitten

Generalvikar Markus Thürig plädiert für eine Haltung, die einmittet, um gemeinsame Wege zu sehen und zu gehen.

In Schreibprogrammen nutzen wir die Funktion «zentrieren» gewohnheitsmässig. Als unbekannt erlebe ich diese «Funktion» in Sitzungen, Diskussionen, kirchenpolitischen Auseinandersetzungen. Man sammelt sich an den Rändern, setzt sich auseinander. Das wäre erfreulich, würde der Dialog das bewirken, was er besagt: Zwischen den Rändern mittels Gespräch zentrieren. So wird eine Sache eingemittet und weitergebracht, weil viele mittragen und sich damit identifizieren.

Vieles driftet in meiner Wahrnehmung auseinander. Manipulativ werden Gesellschaften gespalten, um eigene Anhänger zu sammeln. Aufmerksamkeit gewinnt das Schrille, Emotionalisierte, Skandalisierte. Ich erlebe das auch in meiner Arbeit. Gräben werden tiefer. Abgrenzungen gegenüber Andersdenkenden schärfer. Beratungen enden im Streit. Entscheide kommen nicht zustande. Enttäuschungen lähmen oder radikalisieren.

Während «schwieriger» Sitzungen bete ich manchmal um die Gaben des Heiligen Geistes. Ich suche nach dem Bewegungsraum aufeinander zu. Ich weiss unterdessen, wenn es um die wahre Lehre geht, wird's eng. Noch enger wird's, wenn Verlustängste aufkommen, etwa Autorität, Einfluss oder Kontrolle zu verlieren. Wer Kompromisse sucht, wird kompromittiert. Gegenseitiges Misstrauen hat sich eingeschlichen. Das ist der gefährliche Durcheinanderwerfer und Verwirrer, der Diabolos für die Kirche unserer Tage.

Konsens wagen wir kaum mehr zu erwarten. Knappe Stimmenverhältnisse regieren. Verlierern rumort es in den Eingeweiden. Welche Strategie empfiehlt sich? Aussitzen oder aufsitzen? Weggehen oder angreifen? Argumentieren oder diskreditieren? Ich suche. Wenn «schwierige» Sitzungen anstehen, motiviert mich zurzeit «Einmitten»:

  • Die eigene Mitte finden. Was trägt, was ist Fassade? Was kann ich einbringen? Wo bin ich verletzlich? Wo erwarte ich vom Gegenüber entgegenkommen?
  • Dem Evangelium die Mitte belassen. Wo bin ich herausgefordert? Was muss ich loslassen?
  • Der geschenkten Mitte Raum geben. Sie entfaltet sich als Freiheit aus Gottvertrauen und Hoffnung. Sie bietet dem Nächsten umsonst Frieden an.
  • Im Mass halten, für Andersdenkende zugänglich bleiben. Wo hilft eine gemässigte Ausdrucksweise, mein Gegenüber zum Sprechen zu bringen statt mundtot zu machen?
  • Im Rechtsverzicht Zuversicht bezeugen. Wie weit kann ich auf mein «Recht haben» verzichten, um eine Annäherung zu ermöglichen? Kann ich im Diskutieren meine Position verändern, einen anderen Entscheid mittragen, weil ich an Gottes grösseres Wirken glaube?

Bei Paulus kann ich in die Schule der Einmittung gehen: Römerbrief 12, 14–17. Oder mir die Mahnungen in 1 Timotheus 3,1–13 als Spiegel vorhalten.

Markus Thürig


Markus Thürig

Dr. Markus U. Thürig (Jg. 1958) ist seit 2011 Generalvikar des Bistums Basel und Präsident der Herausgeberkommission der Schweizerischen Kirchenzeitung.