Die Wiederherstellung des Jesuitenordens 1814

Ordensgemeinschaften pflegen ihrer Gründung zu gedenken. Damit verbundene Jubiläen bieten Anlass zu Rückbesinnung und zu neuer Verortung der eigenen Identität. Komplizierter gestaltet sich ein solch motivierter Blick in die Vergangenheit bei der Gesellschaft Jesu. Sie wurde 1540 durch den Papst approbiert, dann aber 1773 vom Papst aufgehoben, nachdem ihre Mitglieder bereits aus mehreren Königreichen vertrieben worden waren. Am 7. August 1814 hat Pius VII., kurz nach seiner Rückkehr aus dem von Napoleon verhängten Exil, den Orden wiederhergestellt – in einer kleinen Kapelle ohne Aufhebens in der Öffentlichkeit. Der Akt sollte für die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts wegweisende Bedeutung bekommen und eine neue Ausrichtung des ganzen Ordenswesens in Gang setzen, die Jesuiten aber vor eine Unzahl von Berufungen und Vertreibungen stellen.

Die neue Gesellschaft Jesu war nicht mehr dieselbe wie die alte und sollte auch nie mehr die kulturelle und politische Bedeutung von einst erlangen. Während die Kulturwissenschaften die vielfältige Relevanz des Jesuitenordens für das 16. bis zum 18. Jahrhundert erst jetzt so richtig entdecken, sind historische Auseinandersetzungen mit den Neuanfängen im frühen 19. Jahrhundert eine Seltenheit. Selbst für heutige Jesuiten führt die Wiederherstellung ein Schattendasein. Sie wird mit Verweigerung des aufgeklärten Fortschritts gleichgestellt, woran man sich nur ungern orientiert. Sicher auch aus dem Grunde betont der gegenwärtige Generalobere der Gesellschaft Jesu, Adolfo Nicolás, dass das Jubiläum nicht nur in historischer Hinsicht begangen werden, sondern einer kritischen und kreativen Vergewisserung der eigenen Wurzeln in der sich schnell verändernden Welt des beginnenden 21. Jahrhunderts dienen soll.

Möglich ist das aber nur bei einer neuen und unvoreingenommenen Beschäftigung mit dem langen und facettenreichen Prozess der Wiederherstellung. Dabei spielten neben bewahrenden auch innovative Elemente mit. Und den Protagonisten ging es nicht um ein Zurückdrehen des Rades der Zeit, sondern um eine solide Führung der Menschheit durch das weltanschaulich und politisch turbulente 19. Jahrhundert.

Ein kleiner Restbestand von Jesuiten konnte nach 1773 unter dem Schutz von Zarin Katharina in Weissrussland das Apostolat des Ordens fortsetzen und von langer Hand einen Neustart vorbereiten. Den beiden Päpsten Pius VI. und Pius VII. waren aus politischen Gründen die Hände gebunden, still und geschickt aber förderten sie Kreise, die auf einen Neubeginn hinarbeiteten. Und je grösser die Enttäuschung über die Folgen der Revolution und je drückender die Lasten der Kriege auf der Bevölkerung lasteten, desto lauter wurde aus verschiedenen Kreisen der Ruf nach einer Rückkehr der Gesellschaft Jesu. So fanden an verschiedenen Orten in ganz Europa und Nordamerika Jesuiten, die entweder noch vor 1773 oder danach in Russland eingetreten waren, Nischen, wo sie ein bescheidenes Apostolat entfalteten. Zusammen entwickelten sie eine beachtliche Stosskraft, so dass der Orden 1814 bereits gegen 600 Mitglieder zählte.

Dabei spielte das Wallis eine nicht zu unterschätzende Rolle. 1805 wurde eine Priestergemeinschaft aus Italien, die sich an Ignatius von Loyola orientierte, nach Sitten berufen, um die alte Jesuitenschule zu übernehmen. Die französischen Besatzer schätzten die Patres als solide Lehrer. Pius VII. förderte die kleine Gemeinschaft als Vorposten des geplanten Neuanfangs der Gesellschaft Jesu in Mitteleuropa. 1814 wurde sie mit der offiziellen Wiederherstellung in einem kanonischen Akt in den Orden integriert. Einige ihrer Mitglieder übernahmen bald führende Positionen in Italien, Frankreich und im deutschen Sprachraum. 1814 und 1818 haben die Jesuiten ihre alten Gymnasien von Brig und Freiburg wieder übernommen. Die international zusammengesetzte Lehrer- und Schülerschaft veränderte die Bildungslandschaft der Schweiz, die sich nur mühsam von den Revolutionskriegen erholte, nachhaltig, wessen sich die Geschichtsschreibung aber bisher zu wenig gewahr geworden ist.

Wegen dieser noch weitgehend im Dunklen liegenden Anfänge organisiert die Schweizer Jesuitenprovinz am 4./5. September 2014 in Brig in Zusammenarbeit mit dem dortigen Kollegium Spiritus Sanctus und am 2./3. Oktober in Freiburg mit der Theologischen Fakultät der Universität je eine Tagung. Dabei werden Historiker mit unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten Hintergrundwissen zur Restauration in verschiedenen Ländern vermitteln. In Brig stehen die Neuanfänge im Wallis im Vordergrund. In Freiburg gilt die Aufmerksamkeit der Zeit zwischen 1773 und 1814, der verschiedenartigen Wahrnehmung des Neuanfangs sowie dem dortigen Kollegium St. Michael. Für weitere Informationen wende man sich an den Verantwortlichen der beiden Kongresse: Paul Oberholzer SJ, Byfangweg 6, 4051 Basel, E-Mail

 

Paul Oberholzer

Paul Oberholzer

Der Historiker und Theologe Paul Oberholzer (Dr. phil. et lic. theol.) ist Archivar/ Bibliothekar der Schweizer Jesuitenprovinz.