Die Saat von heute ist das Brot von morgen

Kampagne 2014 (Bild: fastenopfer.ch)

Für die Ökumenische Kampagne 2014 wählten Fastenopfer und Brot für alle das Thema Generationengerechtigkeit. Guillermo Kerber, Philosoph und Theologe aus Uruguay und beim Weltkirchenrat in Genf verantwortlich für die Themen Bewahrung der Schöpfung und Klimagerechtigkeit, reflektiert über die biblischen und theologischen Wurzeln der Generationengerechtigkeit und ihre spirituelle Bedeutung:

Generationenübergreifende Gerechtigkeit

Die Frage der Gerechtigkeit wird in der Bibel so oft behandelt, dass gilt: Es ist eines ihrer zentralen Themen. Der Diskurs zur Gerechtigkeit ist sehr konkret. In Deuteronomium ist der Herr ein Gott der Gerechtigkeit und bringt Gerechtigkeit für die damals am stärksten Benachteiligten: «Er verschafft Waisen und Witwen ihr Recht. Er liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung» (Deut 10,18). Er bittet sein Volk, auf gleiche Weise zu handeln: «Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen!» (Jes 1,17). Auch in den ersten Versen der Bergpredigt nennt Jesus Gerechtigkeit und die Liebe zu den Armen als zentrale Punkte seiner Mission: «Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes» (Lk 6,20). Und ein paar Verse weiter in der Version von Matthäus heisst es: «Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit …» (Mt 5,6). Die Fastenkampagne von 2014 setzt wie die vorangegangenen die Gerechtigkeit ins Zentrum und ergänzt den Begriff mit «Generationen». Das Konzept der Generationengerechtigkeit als solches erscheint in der Bibel nicht, hingegen wird das Wort Generation häufig verwendet, oft übersetzt mit dem Ausdruck «von Generation zu Generation».

Das Matthäusevangelium beginnt mit dem Stammbaum Jesu, bei dem jeweils vierzehn Generationen zusammengefasst werden (Mt 1,17). Im Alten Testament wird nach der Sintflut ein generationenübergreifendes Bündnis zwischen Noah und Gott und der ganzen Schöpfung geschlossen: «Hiermit schliesse ich meinen Bund mit euch und mit euren Nachkommen und mit allen Lebewesen bei euch (…). Steht der Bogen in den Wolken, so werde ich auf ihn sehen und des ewigen Bundes gedenken» (Gen 9,9–16). Die Idee des Bundes zwischen Gott und der Schöpfung kehrt auch in den Psalmen wieder: «Herr, du warst unsere Zuflucht von Geschlecht zu Geschlecht» (Ps 90).

Ein ökologisches Bewusstsein

Das Konzept der Generationengerechtigkeit hat viele leidenschaftliche philosophische Diskussionen provoziert.1 Am Umweltbewusstsein lässt sich einer seiner Aspekte gut veranschaulichen. Die Verbrennung von fossilen Brennstoffen für unsere Autos und Heizungen ist eine der Ursachen des Klimawandels. Wissenschaftler, wie jene des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC ) mit Sitz in Genf, haben nicht nur das Phänomen des Klimawandels aufgezeigt, sie haben auch seine Auswirkungen für die Zukunft beschrieben. Die Berichte von IPCC erklärten wiederholt, dass die ärmsten Länder der Welt und die benachteiligten Gruppen wie Frauen, Kinder und Behinderte am meisten unter den Folgen der Erderwärmung leiden werden. Sie fordern eine deutliche Reduktion der Kohlendioxyd-Emissionen, damit die Durchschnittstemperatur des Planeten nicht weiter steigt. Dafür braucht es internationale Konferenzen und Abkommen wie das Kyoto-Protokoll. Aber die ambitionierten Verträge reichen nicht, wenn wir nicht gleichzeitig bereit sind, unseren Lebensstil zu ändern.

Opfer des Klimawandels

Die durch den Klimawandel am meisten gefährdeten Menschen haben selbst am wenigsten zu seinen Ursachen beigetragen, weil ihre CO 2-Emissionen minimal sind im Vergleich zu den Industrieländern.2 Unsere Verantwortung ist nicht bloss auf unsere Familie, unsere Beziehungen oder unsere Gesellschaft beschränkt. Wir müssen unsern Blick erweitern. Unsere Verantwortung hat eine ökumenische Dimension – ökumenisch im Sinne der ganzen bewohnten Erde – eine intergenerationelle Dimension und eine kosmische Dimension.

Wie die meisten Eltern frage ich mich oft, was ich meinen Kindern als Erbe hinterlassen werde. Ganz allgemein sollten wir uns alle fragen, was wir – als Generation – den künftigen Generationen hinterlassen möchten. In der Schweiz ist die Energie ein zentraler Punkt: Unser hoher Energieverbrauch ist ein Skandal, er ist verächtlich gegenüber den Armen, gegenüber der Natur und gegenüber den künftigen Generationen. Genauer gesagt, wir müssen unseren Energieverbrauch deutlich reduzieren.

Eine Fastenzeit für die Schöpfung

Die Fastenzeit ist eine Zeit der Introspektion, es ist eine gute Zeit, Veränderungen anzugehen. Generationengerechtigkeit ist ein gutes Thema, um innezuhalten, nach innen zu schauen, nachzudenken. Der Bund mit Gott ist ein Segen für die ganze Schöpfung, der von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es gibt Autoren, welche die ökologische Krise darauf zurückführen, dass die jüdisch-christliche Tradition nur die reduzierte Weisung Gottes, sich die Erde untertan zu machen (Gen 1,28), verbreitet hat. Wir sollen aber nicht vergessen, dass Gott Adam den Garten Eden gegeben hat, «damit er ihn bebaue und hüte» (Gen 2,15). Die Bewahrung der Schöpfung ist eine unumgängliche Aufgabe für alle Menschen, vor allem für Christinnen und Christen.

Der brasilianische Theologe Leonardo Boff – für den Spiritualität eine Haltung ist, welche das Leben ins Zentrum setzt, es fördert und verteidigt gegen alle Mechanismen des Todes – sagt, dass das aktuelle spirituelle Projekt der Menschen durch die ökologische Krise gekennzeichnet ist, durch eine kosmische Mystik.3 Diese Idee hat nichts zu tun mit einer «neuen Spiritualität», die sich näher an New-Age-Bewegungen orientiert als am Christentum. Sie verweist auf die Schriften von Teilhard de Chardin wie «La messe sur le monde» von 1923 und «Le milieu divin» von 1957. In der Geschichte der christlichen Spiritualität erinnerte Franz von Assisi mit seinem Sonnengesang an eine Tradition, die bis ins 7. Jahrhundert zurückgeht, als Johannes von Damaskus schrieb: «Die ganze Erde ist ein lebendiges Symbol des Angesichts Gottes.»

Unsere Generation hat eindrucksvolle Fortschritte in der Technologie gemacht, unser Wissen hat sich erweitert. Aber sind wir klüger geworden? « Ihr k önnt d as W etter aus d en Zeichen am Himmel erkennen (…). Aber was heute vor euren Augen geschieht, das könnt ihr nicht richtig beurteilen!» (Mt 16,3–4 ). Wenn die Fastenzeit Metanoia – Umkehr – und Hinwendung zu Gott bedeutet, ist der erste Schritt, die Zeichen der Zeit zu deuten. Es geht darum, unsere Verantwortung wahrzunehmen, gegenüber der Erde und gegenüber den künftigen Generationen.

Wenn wir in unseren Gemeinden an Gebetsabenden teilnehmen, wo wir nachdenken und uns austauschen, gehen unsere Gedanken nicht nur zu den Armen und Ausgeschlossenen, zu den am stärksten Gefährdeten, sondern auch zu den kommenden Generationen und zur Erde selbst, zu unserem kleinen blauen Planeten, so schön und von Gott gesegnet.


Der vorliegende Artikel erschien in französischer Sprache in: Revue Choisir n° 651, mars 2014, 9 –12. Er wurde für die SKZ durch Barbara Steinmann, Fastenopfer, übersetzt und leicht gekürzt.

 

Sehen und handeln

Unter dem Slogan «Die Saat von heute ist das Brot von morgen» findet vom 5. März bis zum 20. April 2014 die Ökumenische Kampagne von Fastenopfer, Brot für alle und Partner sein statt. Im Zentrum der Kampagne steht die Gerechtigkeit zwischen den Generationen, versinnbildlicht an der Jeans als generationenübergreifendes Symbol.

Informationen: www.sehen-und-handeln.ch

1 Weiterführend: Philippe Van Parijs: La justice entre générations, in: Dan Sylvain / Jeorg Tremmel (éd.): Générations équitables. Paris 2010, 31–54; Axel Gosseries / L ukas H. Meyer (ed.): Intergenerational Justice. Oxford 2012.

2 Guillermo Kerber: La justice climatique, in: Sources, janvier–février 2011, 14 –22.

3 Leonardo Boff: Ecologia, griot da terra, grito dos pobres. São Paulo 1995, 259 f.

Guillermo Kerber (Bild: churchauthority.org)

Guillermo Kerber