Die päpstliche Diplomatenakademie

Die Zahl der Staaten und internationalen Organisationen, zu denen der Heilige Stuhl diplomatische Beziehungen unterhält, steigt weiter und tendiert gegen 200. Damit fällt auch ein Schlaglicht auf die «Diplomatenschmiede» des Papstes. Ihr Standort ist typisch römisch: Seit über 300 Jahren hat die «Pontificia Accademia Ecclesiastica», die Päpstliche Diplomatenakademie, ihren Sitz im Palazzo Severoli an der zentralen Piazza della Minerva nahe dem Pantheon. Im stattlichen Palazzo bereiten sich derzeit 33 junge Priester aus aller Welt (darunter allerdings kein Schweizer, kein Österreicher, kein Deutscher) auf den Dienst in den diplomatischen Vertretungen des Heiligen Stuhls vor. 33 «alunni» – so viele gab es noch nie in einem Lehrgang. Der Akademiepräsident, zurzeit der italienische Erzbischof und Apostolische Nuntius Beniamino Stella, ist von Amts wegen Mitglied der «Päpstlichen Familie». Dies und schon der Name der Akademie unterstreichen die enge Bindung der Diplomatenschmiede an den Heiligen Vater. Loyalität gegenüber dem Papst, erläutert denn auch der amerikanische Jesuit Thomas J. Reese in seinem Buch «Im Inneren des Vatikan», ist hier selbstverständlich. «Keiner, der die Entscheidungen oder theologischen Ansichten des Vatikans in Frage stellt, würde je in die Akademie aufgenommen werden.»

Enorme Entwicklung

Den Absolventen der Akademie, könnte man mit Blick auf die universale Aktivität des Papstes und des Vatikanstaates sagen, steht neuerdings die ganze Welt offen. Während der Heilige Stuhl 1950 nämlich nur 20 Vertretungen im Ausland (einschliesslich der Republik Italien) hatte, sind es inzwischen sage und schreibe fast 180, meist im Rang von Nuntiaturen. Und hinzu kommen rund 20 «Rappresentanze» bei internationalen Organisationen. So ist der Heilige Stuhl, vertreten durch Nuntien, «Ständiger Beobachter » bei den Vereinten Nationen in New York wie auch beim UNO-Büro in Genf und bei der Liga Arabischer Staaten in Kairo.

Die «Pontificia Accademia Ecclesiastica» hat eine lange, sehr bewegte Geschichte, zu der auch Rückschläge bis hin zu Schliessungen gehören. Gegründet wurde sie 1701 vom Abt Pietro Garagni als «Akademie der adeligen Geistlichen» – ein Pensionat für angehende Priester aus der Aristokratie, aber auch generell eine würdige Begegnungsstätte für adelige Kleriker. Die Akademie, die schon bald de facto den Segen von Papst Klemens XI. erhielt, zog mehrfach um. 1764 allerdings musste sie aus Finanzgründen ihren Lehrbetrieb für elf Jahre einstellen. Dasselbe Schicksal erlebte sie noch mehrfach, zuletzt 1847. Erst nach den Revolutionswirren der folgenden Jahre konnte man die «Accademia» wieder eröffnen. Ihre Aufgabe, so der damalige Papst Pius IX.: Ausbildung junger Kleriker entweder für den diplomatischen Dienst oder für Verwaltungsarbeit an der Kurie und für den (damals noch relativ grossen) Kirchenstaat. Einen deutlichen Aufschwung erlebte die Akademie im späten 19. Jahrhundert, als Papst Leo XIII., einer ihrer «Ehemaligen», die Studien strenger regelte. Pius XI. förderte die «Accademia» sehr und wertete sie insofern auf, als er das Protektorat über sie für immer dem amtierenden Kardinalstaatssekretär übertrug. Pius XII. öffnete, obwohl selbst dem römischen Hochadel entstammend, die Akademie für Nichtaristokraten, also Bürgerliche. Er gab, was bereits von Pius XI. geplant war, kurz nach Beginn seines Pontifikates 1939 der Bildungsstätte den seither gültigen Namen «Diplomatenakademie». Ausserdem legte er fest, dass deren Mitglieder ein Praktikum im Staatssekretariat machen müssen.

Die Auswahl der Alumnen

Diese höchste Kurienbehörde wählt auch, wie der schon zitierte Vatikankenner Thomas J. Reese beschreibt, die geeigneten Studenten aus. Und zwar mit Hilfe der Diözesanbischöfe, der Nuntien und der Rektoren der nationalen Priesterkollegien in Rom. «Wer selber die Aufnahme beantragt, den will man normalerweise gar nicht. ‹Ruf uns nicht an, wir rufen dich an›, lautet die Devise.» Die meisten potenziellen Studenten werden schon bald nach ihrer Priesterweihe angesprochen. «Wir suchen gute Priester », sagte ein Beamter des Staatssekretariats dem Buchautor Reese, «aber wir suchen auch nach Leuten mit gesundem Menschenverstand. Da darf einer ruhig Einstein sein, aber er soll auch wissen, dass man den Klempner holt, wenn der Ausguss verstopft ist». Gefragt sind Weltklugheit, ein Talent für zwischenmenschliche Kontakte, Dialogbereitschaft und «die Fähigkeit zu friedlichen Problemlösungen». Wie verläuft die normalerweise dreijährige Ausbildung in der Akademie? Nun, die ersten zwei Jahre sind für jene Neulinge, die nicht schon ein Diplom in kanonischem Recht haben, vormittags für das Studium des Kirchenrechts an einer Päpstlichen Universität reserviert, nachmittags für Unterricht z. B. in Sprachen und internationalem Recht. In den Sommermonaten und erst recht im dritten Akademie-Jahr sammeln die Studenten praktische Erfahrungen, teils im Staatssekretariat, teils an einer Nuntiatur. Am Ende des ganzen Lehrgangs findet eine schriftliche und mündliche Prüfung statt, wozu ein «Ehemaliger» der Akademie verrät: «Im Allgemeinen wird einer, den man zum Examen zulässt, das Examen auch bestehen.» Nach Abschluss der Ausbildung arbeiten die frischgebackenen Papst-Diplomaten meist «draussen» – an einer Nuntiatur. Im Aussendienst sind sie fortan bis zu 20 Jahre in einer untergeordneten Position tätig und werden alle paar Jahre versetzt – von Japan bis Jamaika, von Schweden bis in die Schweiz, von Russland bis Ruanda. Wenn sie eventuell zum Nuntius avancieren, werden sie stets Titular-Erzbischöfe. Viele von ihnen kehren jedoch vorher (als Nuntiaturräte bzw. Nuntiatursekretäre) für immer bzw. vorübergehend an die Kurie zurück.

Laut dem Päpstlichen Jahrbuch 2012 arbeiten in dem von Kardinal Tarcisio Bertone geleiteten Staatssekretariat derzeit insgesamt 30 Diplomaten, allesamt «Monsignori». Und: Beide Abteilungsleiter dieser Topbehörde, nämlich der sogenannte Substitut Mons. Giovanni Becciu (ein Italiener) wie auch der – praktisch als Aussenminister fungierende – Mons. Dominique Mamberti (ein Franzose), haben einst die Diplomatenakademie absvolviert. Im Bewusstsein eines ausserordentlich wichtigen Dienstes für den Heiligen Stuhl feierte die Akademie 2001 ihr 300-Jahr-Jubiläum. Aus diesem Anlass besuchte Papst Johannes Paul II. die Bildungsstätte an der Piazza della Minerva. Das zum Jubiläum veröffentlichte umfangreiche Buch enthält unter anderem ein Verzeichnis aller «Ehemaligen» seit 1701 und unterstreicht stolz: Aus der Akademie gingen fünf spätere Päpste hervor – nämlich Klemens XIII., Leo XII., Leo XIII., Benedikt XV. und schliesslich Paul VI. Im diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls gibt es freilich keine eisernen Karriere-Regeln. Zwei Päpste der neuesten Zeit, nämlich, Pius XII. und Johannes XXIII. waren Nuntien, ohne je an der Akademie studiert zu haben. Fast jedes Jahr einmal empfängt der Pontifex die Mitglieder «seiner» Akademie im Vatikan. Seit ihrer Gründung 1701 absolvierten fast 2000 Priester die «Pontificia Accademia Ecclesiastica». Die weitaus meisten, versteht sich, waren Italiener. Doch neuerdings – angesichts der wachsenden weltweiten Aktivität des Heiligen Stuhls – zählt die Diplomatenschmiede immer mehr Studenten aus Osteuropa und den USA, aus dem spanisch-portugiesischen Sprachraum sowie gerenell aus Afrika und Asien. In der grossen Schar der aus der Akademie hervorgegangenen aktiven Apostolischen Nuntien befinden sich derzeit (immerhin) drei Schweizer.

Demgegenüber ist der Anteil der Deutschen und Österreicher im diplomatischen Dienst des Heiligen Vaters merkwürdig gering. Das Päpstliche Jahrbuch 2012 nennt nur einen Deutschen (den in Guinea) und keinen Österreicher als amtierenden Nuntius. Viele Diözesanbischöfe, erklären Insider, hätten zwar gute Kandidaten, sie behalten diese angesichts des Priestermangels aber lieber für ihre eigene Diözese. Immerhin war in der langen Liste der Akademiepräsidenten seit 1701 der 33. ein Deutscher: Mons. Karl-Josef Rauber, der die Akademie vor seiner Zeit in Bern 1990 bis 1993 leitete. Derzeit sind sowohl der Nuntius in Berlin, Jean-Claude Périsset, wie auch jener in Wien, Peter Stephan Zurbriggen, sowie der Nuntius im Heimatland des neuen Papstes, in Argentinien, Emil Paul Tscherrig, gebürtige Schweizer.

 

Bernhard Müller-Hülsebusch

Bernhard Müller-Hülsebusch

Dr. Bernhard Müller-Hülsebusch, seit vielen Jahren Korrespondent von deutschen und schweizerischen Medien in Rom und Buchautor, beschäftigt sich vor allem mit Themen rund um den Vatikan