Die NZZ und ihre Mühe mit Papst Franziskus

 Die «Neue Zürcher Zeitung» hat Papst Franziskus von Anfang an beobachtet. Seine Auftritte, insbesondere aber seine pointierten kapitalismuskritischen Äusserungen haben im Leitmedium des Schweizerischen Wirtschaftsliberalismus für Irritationen gesorgt. Man glaubte Konter geben zu müssen. Den Anfang machte Peter A. Fischer, Wirtschaftschef der NZZ, der am 31. 12. 2013 einen Leitartikel unter dem Titel «Kapitalismus für alle!» auf das päpstliche Schreiben «Evangelii Gaudium» reagierte. Nicht Kapitalismuskritik sei, so Fischer, die Lösung des Problems der Armut, vielmehr mehr Kapitalismus. In den Ländern des globalen Südens verhinderten verkrustete Strukturen, Monopole und fehlende Eigentumsrechte die ökonomische Entwicklung. Im Norden sei die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht einer Fehlfunktion der Märkte zuzuschreiben; die Institutionen, die den Kapitalismus hätten «schützen» (sic!) müssen, hätten versagt. Immerhin gesteht der Artikel zu, dass das kapitalistische System nicht ohne Werte wie Verlässlichkeit, Masshalten und Redlichkeit funktionieren könne – Werte, die der Markt selbst nicht hervorzubringen imstande ist. Auch ein schlankes Sozialsystem gehört nach Fischer zum Rahmen für eine gute wirtschaftliche Ordnung.

Unterschiede und Übereinstimmungen

Nun gibt es durchaus Punkte, wo die päpstliche Kritik und die wirtschaftliberale Sichtweise übereinstimmen. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern herrscht eine schmale, aber sehr reiche Oberschicht, die durch ihre wirtschaftliche Vormachtstellung und durch das Monopol auf den Rohstoffhandel fast alle Ressourcen für sich beansprucht. Strittig ist, ob die Liberalisierung der Wirtschaft ausreicht, um die Armen aus ihrer Zwangssituation zu befreien. Überdies macht der Argentinier klar, dass das jetzige Wirtschaftssystem, das ohne einen höheren Zweck funktioniert, sinnlos ist. Von einem wirtschaftsliberalen Standpunkt kann nur auf den «pursuit of happiness», auf die individuelle Suche nach dem eigenen Glück hingewiesen werden. Der methodische Individualismus verbietet es, einen höheren Zweck im Wirtschaften zu suchen.

Am 21. 12. 2015 – die Weihnachtszeit ist offenbar der Kairos für die Auseinandersetzung mit dem Papst – legt Hernando De Soto, einer der bekanntesten liberalen Entwicklungsökonomen nach: Für ihn sind die fehlenden Eigentumstitel der Hauptgrund für die Stagnation der Armen. Wer kein gesichertes Recht auf sein Stück Land oder sein Haus besitzt, kann keine Hypothek aufnehmen, kann sein Eigentum auch nicht sicher verkaufen oder vererben. Die Einführung eines Grundbuches würde die Situation, so De Soto, wesentlich verbessern und eine Entwicklungsdynamik auslösen, die die Armen aus ihrer Armut herausführen würde. Auch hier ergeben sich Übereinstimmungen mit der katholischen Soziallehre, die bekanntlich das Recht auf Privateigentum immer verteidigt hat.

Die Machtfrage bleibt im Dunkeln

Im Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer bliebe aber auch nach dieser Reform eine Situation bestehen, wo wenige fast alles und viele fast nichts besitzen. Und noch bedenklicher wäre das Weiterbestehen der ungleichen Machtverteilung in diesen Gesellschaften, wo viele Regierungen die Interessen der sehr kleinen Oberschicht vertreten. Die Machtfrage aber sparen die liberalen Denker aus, sodass ihre Sichtweise abstrakt bleibt.

Den bislang letzten Streich führte am 5. 4. 2016 Martin Rhonheimer, Priester und Professor an der Römer Universität Santa Croce, im Feuilleton der Zeitung. Unter dem Motto «more business», einem Motto von Kardinal Pell, präsentiert Rhonheimer einen Gegenentwurf zur Systemkritik Bergoglios. Der Unternehmer sei es, der Reichtum und Arbeit schaffe. Mehr Unternehmertum sei die Lösung für die Dritte Welt. Die Wertgrundlage, die Peter A. Fischer immerhin noch erwähnt hatte, wird hier unbeachtet gelassen.

Der Neoliberalismus ist mit der katholischen Soziallehre unvereinbar

Der schlaue NZZ-Feuilletonchef lässt einen Kirchenmann den Neoliberalismus angelsächsischer Prägung als Heilmittel für die Länder des Südens anpreisen. Damit verlässt Rhonheimer den Boden der katholischen Soziallehre, die zwar das Recht auf Eigentum vertritt, aber das Privateigentum auch in der Pflicht gegenüber den Angestellten und der Gesellschaft sieht. Auch Papst Bendedikt XVI., nicht eben bekannt für linke Umtriebe, hat das in seiner Enzyklika «Caritas in Veritate» bekräftigt. Als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise spricht Benedikt XVI. von einer Steuerung der Globalisierung und benutzt so eine Formel, die die Neoliberalen scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Papst Franziskus führt diese Linie weiter, verschärft dabei den Ton. Im Gegensatz zu den liberalen Meinungsmachern kennt er die Armen aus jahrzehntelanger, direkter Erfahrung. Er kennt ihre Not und tritt ein für ihre berechtigten Ansprüche. «Kapitalismus» ist für ihn nicht nur Synonym für freie Marktwirtschaft, vielmehr für ein System, in dem die Macht bei ganz wenigen liegt und diese wenigen in Kauf nehmen, dass viele im Elend vegetieren. Wie schon Erzbischof Romero selig hat der Papst Dtn 26, 7 vor Augen: «Wir schrien zum Herrn, dem Gott unserer Väter, und der Herr hörte unser Schreien und sah unsere Rechtlosigkeit, unsere Arbeitslast und unsere Bedrängnis.»

 

Francesco Papagni

Francesco Papagni

Francesco Papagni ist freier Journalist. Er lebt in Zürich.