Die «liturgische Frage»: ein brennendes Thema der Gegenwart

Inspirationen aus der Liturgiekonstitution des Konzils (II)

4. Ein Vorspiel: Die «Liturgische Frage» bei Lambert Beauduin (1914) und in der Liturgischen Bewegung

«Die tätige Teilnahme am liturgischen Leben der heiligen Kirche ist ein entscheidendes Element im übernatürlichen Leben des christlichen Volkes (…). Andererseits: Muss man erst eigens bei den Gläubigen eine beinahe vollständige Unwissenheit und Abkehr vom Kult feststellen? Dieser Sachverhalt ist zu offenkundig, um sich damit aufzuhalten, ihn zu beschreiben. (…) Lasst uns also die routinemässige und gelangweilte Anwesenheit an den kultischen Akten in eine tätige und verständige Teilnahme umwandeln; lehren wir die Gläubigen, zu beten und gemeinsam diese Wahrheiten zu bekennen, und die solchermassen vollzogene Liturgie wird mit aller Härte einen eingeschlafenen Glauben aufwecken und im Gebet und im Handeln die untergründig vorhandenen Kräfte der getauften Seelen zur Geltung bringen.»19

So beschrieb der bekannte belgische Benediktiner Lambert Beauduin, Impulsgeber und eine der führenden Gestalten der Liturgischen Bewegung, 1914 die grosse Herausforderung seiner Zeit in Bezug auf die Liturgie der Kirche. Er war nicht der Erste, der ein solch unzureichendes Verhalten der Gläubigen in der Liturgie konstatierte; schon ein knappes Jahrhundert zuvor hatte sich der französische Abt Prosper Guéranger von Solesmes zu ähnlichen Äusserungen veranlasst gesehen.20 Viele weitere Theologen und Seelsorger könnte man zitieren, die sich im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vergleichbaren liturgischen Missständen gegenübersahen. Die «liturgische Frage» lag damit schon vor einem Jahrhundert auf dem Tisch – und beschäftigt die Kirche bis heute.

Beauduin, der vor seinem Eintritt in die Abtei Mont-César (Louvain) als Arbeiterseelsorger gewirkt hatte und bestens mit den sozialen Fragen seiner Zeit, mit materieller Armut und geistlicher Verwahrlosung der Menschen und anderen oft bitteren Realitäten der Gesellschaft vertraut war, hatte die «liturgische Frage» zuerst in seiner berühmt gewordenen Rede beim Katholikentreffen in Mecheln (bei Brüssel) im September 1909 in der Öffentlichkeit thematisiert.21 Seine Grundeinstellung zur Liturgie und sein Aktionsprogramm gegen die geistliche und liturgische Vernachlässigung der Gläubigen sowie sein intensives Bemühen um deren volle, bewusste und tätige Teilnahme an der Liturgie gründeten in diesen Erfahrungen. In monastischen Kreisen in Belgien, Deutschland und anderen Ländern, aber auch in Kreisen der Jugend und in enger Verbindung mit der bibelpastoralen Arbeit22 wuchs in wenigen Jahrzehnten weit über alle Landesgrenzen hinaus das heran, was gemeinhin als Liturgische Bewegung bezeichnet wird. Sie war getragen von den Fragen: Wie kann die Liturgie fruchtbarer gefeiert werden und ihre Kraft zur Prägung des Glaubens entfalten? Wie den Menschen in der Liturgie und mit Hilfe der Liturgie eine geistliche Heimat schenken? Wie sie in der Liturgie ihre Gliedschaft in der Kirche, der Gemeinschaft des Volkes Gottes, leben lassen und somit die Liturgie in ihrem eigentlichen Sinn entfalten? Aus diesen zentralen Themen der Liturgischen Bewegung, die im damaligen kirchlichen Kontext eine herausfordernde Innovation bedeuteten, erwuchsen in der theologisch-historischen Arbeit genauso wie durch eine sich nur langsam wandelnde liturgische Praxis Impulse, die in pastoralliturgischen Programmen und liturgiewissenschaftlicher Forschung, in reicher Bildungstätigkeit genauso wie in gottesdienstlichen Feiern zum Tragen kamen. Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils ist bekanntlich eine Frucht dieser Liturgischen Bewegung. Ohne sie hätte es keine so mutige Liturgiekonstitution des Konzils geben, hätte die Liturgie nicht so zielstrebig, theologisch fundiert und gestaltmässig durchdacht erneuert werden können.

5. Die «liturgische Frage» – damals und heute

Trotz des Konzils und trotz der Liturgiereform: Sind – nach einer bedeutenden Aufbruchphase in den ersten beiden Nachkonzilsjahrzehnten, die sich mit einem bemerkenswerten kirchlichen Optimismus verband – die Kernfragen vom Beginn des 20. Jahrhunderts nicht auch unsere Fragen heute? Gegen alle Kräfte, die die Liturgiereform des Konzils für Verluste im kirchlichen Leben, in der Glaubenspraxis, in der Weitergabe des Glaubens und in anderen Bereichen verantwortlich machen wollen, kann man nicht oft genug betonen, dass sich schon die «Klassiker» Prosper Guéranger, Lambert Beauduin, Romano Guardini, Pius Parsch und andere, die sich theologisch, historisch und unter pastoralen Aspekten im 19. und frühen 20. Jahrhundert intensiv mit der Liturgie befasst haben, mit der Kernfrage konfrontiert sahen, wie der Mensch der Gegenwart in der Liturgie und aus der Liturgie leben kann.23 Das Konzil hatte diese Defizite klar gesehen, das Fehlen echter Teilnahme und andere Schwierigkeiten als gravierende Defizite erkannt, wie es Artikel 21 der Liturgiekonstitution klar aussagt.24 Wenn sich heute die Kirchen leeren und dieser Trend vorläufig auch nicht aufzuhalten scheint,25 wenn sich bisweilen Schwierigkeiten in der liturgischen Teilnahme zeigen, wenn die innere Distanz vieler Gläubigen zur Kirche wächst und mitunter keine fruchtbare liturgische Mitfeier mehr erlaubt, sind das keine Phänomene, die unsere Zeit erstmals erlebt; frühere Generationen waren ebenso stark damit konfrontiert. Erschwert wird die heutige Lage allerdings durch die völlig veränderten Lebensgewohnheiten, die allgemeine Vertrauenskrise in die traditionellen Institutionen der Gesellschaft und genauso der Kirche, durch den gegenläufigen Trend zu einer weitreichenden Selbstbestimmung unabhängig von institutionellen Vorgaben und anderen zeitgenössischen Trends.26 Ein nur kursorischer Blick auf manche Internetseite und in Kommunikationsplattformen reicht aus, um solche Tendenzen und Zusammenhänge zu erkennen.

6. Impulse für die Gegenwart aus der Liturgiekonstitution

Lassen sich angesichts dieser Situation und angesichts der Umbrüche und Infragestellungen herkömmlichen kirchlichen und speziell liturgischen Lebens Impulse und Weisungen aus dem Konzilstext zur Liturgie gewinnen?

6.1. Liturgie, die betroffen macht

Der Liturgiekonstitution geht es darum, das «christliche Leben der Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen » (SC 1). Die Gläubigen sollen in der Liturgie die Quelle und den Höhepunkt ihres Lebens finden; sie sollen aus der Liturgie heraus ihr ganzes Leben gestalten (SC 10); sie sollen in ihr eine geistliche Grundlage finden (SC 12). Bei diesen und ähnlichen weiteren Konzilsaussagen geht es darum, dass die Mitfeiernden von der Liturgie, von der dort verkündeten und gefeierten Botschaft betroffen sind. Nicht ein oberflächliches Berührtsein ist damit gemeint, sondern eine in die Tiefe gehende Betroffenheit, die das Leben insgesamt zu prägen vermag. Dazu bedarf es glaubwürdiger Zeugen des Evangeliums, auch in der Liturgie.27 Völlig zu Recht sagt das Konzil: «Es besteht aber keine Hoffnung auf Verwirklichung dieser Förderung [der umfassenden Teilnahme der Gläubigen], wenn nicht zuerst die Seelsorger vom Geist und von der Kraft der Liturgie tief durchdrungen sind und in ihr Lehrmeister werden» (SC 14).

Diese Durchdringung betrifft die Verkündigung genauso wie die anderen Vollzüge in Wort, Gesang und Ritus sowie den Stil der liturgischen Feier insgesamt. Die Vorsteher müssen so beten, dass das liturgische Gebet wirklich zum Gebet der Gemeinde werden kann, wie es schon die massgeblichen Vertreter der Liturgischen Bewegung mit aller Kraft angestrebt haben (vgl. z. B. Lambert Beauduin, Pius Parsch, die Mönche der Abtei Maria Laach usw.). Die Prediger müssen so die Botschaft verkündigen, dass sie ins Herz trifft, wie es die Apostelgeschichte bei der Pfingstpredigt des Petrus sagt (Apg 2,37); Predigten vertragen keine billigen Rezepte und künstlich konstruierten Lebenserfahrungen, die keine wirklichen Erfahrungen sind; solches merkt der Hörer der Botschaft schnell. Es geht um eine gehaltvolle Auslegung der Liturgie, der Heiligen Schrift, der zentralen Fragen des Lebens und Glaubens in heutiger Zeit28 – das alles im Dienst am Glauben der Kirche und des geistlichen Wohls der Gläubigen. Diese hier geforderte Grundhaltung in der Liturgie insgesamt verlangt eine grosse menschliche Reife von allen liturgisch Verantwortlichen, geistliche Persönlichkeiten, die selbst eine Spiritualität in Verbindung mit der Liturgie oder aus der Liturgie leben, eine kritische Reflexion des eigenen Handelns, den offenen und unvoreingenommenen Austausch mit den Gläubigen – und immer wieder die Bereitschaft zum Lernen. Eine Liturgie, die in diesem Sinn Betroffenheit weckt, wird weder unter dem faden Beigeschmack so mancher liturgischen Inszenierung ohne theologischgeistliches Fundament noch unter liturgischer Négligence leiden, sondern kann das konziliare Programm einer adäquaten liturgischen Betroffenheit erfüllen.

6.2. Liturgie, die von Optimismus und Vertrauen getragen ist

Die Liturgiekonstitution ist ein Dokument, das einen unglaublichen Optimismus ausstrahlt. Es geht ihr nicht darum, kleinteilig Einzelfragen der Liturgie zu regeln, so sehr dies in einem Reformprozess ebenfalls notwendig ist, sondern vielmehr darum, eine Vision von der Liturgie und damit auch von der Kirche der Zukunft zu entwickeln. Die Konzilsväter haben bei Weitem nicht alles absehen können, was sich aus den von ihnen initiierten Erneuerungsprozessen ergeben würde; jeder Prozess entwickelt eine gewisse Eigendynamik; neue Fragen und Probleme tauchen im Lauf der Arbeit auf. Aber das Konzil hat in den zentralen Punkten liturgischer Theologie, geistlichen Lebens und der Prägekraft der erneuerten Liturgie die Richtung gewiesen im festen Vertrauen darauf, dass die Verantwortlichen der Kirche über die unmittelbare Konzilszeit hinaus in der Lage wären, dieses umfassende Erneuerungskonzept adäquat umzusetzen. Zugleich haben sie ein tiefes Vertrauen in die Gläubigen selbst und deren Fähigkeit gesetzt, die eröffneten Wege mitzugehen. Solches kann nur sagen und entscheiden, wer selbst nicht ängstlich und kleinlich an den vermeintlichen Sicherheiten des bewährten Weges festhält, sondern wer in verantworteter Weise und im Vertrauen auf das Wirken des Geistes Gottes in seiner Kirche Neues wagt. Diesen Optimismus, der zu einer gelassenen Grundhaltung im Glauben führen kann, wiederzufinden, dürfte eine der grössten Aufgaben für alle Glieder des Volkes Gottes im Heute sein.

6.3. Liturgie, die den Menschen in seiner Würde als Getaufter ernst nimmt

Auf dem Gedankengut der Liturgischen Bewegung aufbauend entwickelt die Liturgiekonstitution eine Sicht der Liturgie, die den glaubenswilligen Menschen durch und durch ernst nimmt. Das theologische Konzept der vollen, tätigen, bewussten, inneren und äusseren Teilnahme an der Liturgie, das sich als ein leitendes Kriterium durch die ganze Konstitution hindurchzieht (vgl. z.B. SC 11, 14 und zahlreiche andere Stellen) und die nachfolgende Reform entscheidend geprägt hat, geht genau davon aus: Teilnahme an der Liturgie kommt allen Getauften zu. Solche Teilnahme ist nicht vom Amt abgeleitet, sondern gründet in der Taufe als Eingliederung in die Kirche. Damit traut die Liturgiekonstitution den mitfeiernden Getauften immens viel zu.

Für manche mag dieses Zutrauen auch eine Zumutung sein, denn diese Sicht von Liturgie verlangt, dass sich der oder die Einzelne wirklich auf das liturgische Geschehen einlässt. Die Erfüllung der Sonntagspflicht hinter dem letzten Pfeiler im Seitenschiff ist damit überholt; vielmehr geht es darum, die liturgischen Handlungen so umfassend wie möglich innerlich und äusserlich mitzuvollziehen. Die «Serviceleistung» des «Kultpersonals» allein reicht nicht aus; vielmehr ist Liturgie als heilige Handlung im Dialog von Gott und Mensch Sache des ganzen Volkes Gottes, Handeln der Kirche. Ein solches Verständnis verlangt einen ungleich höheren Einsatz aller Beteiligten als die stumme Anwesenheit früherer Zeiten. Liturgische «Gestaltung» kann nicht daherkommen wie seichte Kaufhausmusik im Hintergrund, die niemandem weh tut und eine reine Wohlfühlatmosphäre schaffen will. Die Wertschätzung des mitfeiernden Gegenübers verbietet das ebenso wie die Ernsthaftigkeit des Glaubens und die Notwendigkeit, dass die Liturgie die zentralen Fragen des Lebens mit aller Seriosität aufgreift.

Wir erleben in der Pastoral teils zu wenig Einsatz für die Liturgie, so dass diese Aspekte nicht genug zum Tragen kommen, teils aber auch einen fehlgeleiteten Einsatz, der davon ausgeht, dass eine liturgische Vorbereitung erst dann «gelungen» ist, wenn jedes einzelne Wort selbst neu verfasst wurde. Wer so handelt, hat kein Vertrauen in den Ritus der Kirche und dessen eigene Wirkkraft; er hat ebenso wenig Vertrauen in die Fähigkeit der Mitfeiernden, dem Geschehen selbst einen Sinn geben zu können; vielmehr schaffen solche Formen von «Gestaltung» eine falsche Abhängigkeit der feiernden Gemeinde vom Vorsteher und neigen tendenziell zu einer übermässigen, oft völlig individualisierten Anpassung.

Das dargelegte Konzept von Liturgie ist schliesslich kein Selbstläufer, sondern muss immer wieder thematisiert und neuen Generationen sowohl durch den angemessenen Vollzug als auch durch geistliche Erschliessung in der Feier und über die Feier hinaus nahegebracht werden. Für eine Kirche, die in der Liturgie alle Gläubigen wirklich ernst nimmt, geht kein Weg daran vorbei. Nur dann kann das geistliche Potenzial zum Tragen kommen, das die Liturgie in sich birgt.

6.4. Theologisches Verständnis gegen liturgischen Pragmatismus

Die Liturgiekonstitution ist mit ihrer theologischen Grundlegung eine Herausforderung gegen allen liturgischen Pragmatismus. 50 Jahre nach «Sacrosanctum Concilium» geht es nicht mehr an, sich im liturgischen Vollzug auf das liturgische Minimum zu beschränken. Vielmehr verlangt die konziliare Sicht der Liturgie als Feier des Pascha-Mysteriums Jesu Christi, verkündet im wirkmächtigen Wort und vollzogen unter wirklichkeitsverändernden Zeichen und Symbolen, eine umfassende Entfaltung der liturgischen Handlung. Die theologischen Akzente der Liturgiekonstitution dulden keine Minimallösungen, auch kein Fragen, das sich nur in klassischen Kategorien der Sakramententheologie auf die «sakramentale Gültigkeit» beschränkt. Vielmehr muss es immer wieder neu darum gehen, der Zuwendung Gottes zu den Menschen, seinem sich je neu vollziehenden errettenden Handeln genauso wie der Danksagung und dem Lobpreis der feiernden Gemeinde mit den der Liturgie eigenen Ausdrucksformen Gestalt zu verleihen. Dazu ist so oft und so umfassend wie möglich der Ritus in seiner Vollform zu leben und zu entfalten. Das Vertrauen in die Riten und ihre Wirkkraft ist eine unerlässliche Voraussetzung. Letztlich stehen dahinter die Überzeugung und das Vertrauen, dass wir alle nur «Mitspieler» sind, dass Christus selbst aber der erste Liturge ist, der uns seine Botschaft verkündet und der auch dann an uns wirkt, wenn unsere menschlichen Möglichkeiten erschöpft sind.

7. Schluss: Der Weg in die Zukunft

Fünf Jahrzehnte nach Verabschiedung der Liturgiekonstitution hat die Kirche weite Wege zurückgelegt. Sehr vieles von dem neuen Angesicht der «Kirche in der Welt von heute» wurde erreicht. Nicht alle Wege gingen und gehen geradeaus, nicht alles verlief und verläuft konfliktfrei. Unter den Bedingungen dieser Weltzeit wäre dies auch eine falsche Erwartung. Allerdings sind daraus Verunsicherungen und auch Enttäuschungen gewachsen. Immer wieder wird deutlich, wie sehr die Liturgie die Mitte des kirchlichen Lebens bildet. An der Liturgie und in der Liturgie entscheiden sich viele Fragen und Optionen.

Bei allem bleibt die Leitfrage, aus der sich die Kernaufgabe für eine zukunftsgewandte Liturgiepastoral ergibt: Woraus lebt die Kirche? Woraus leben die einzelnen Gläubigen? Wird die Liturgie so gefeiert, dass sie Mut, Zukunft, Hoffnung schenkt? Dass sie gleichzeitig die ganze Ernsthaftigkeit des menschlichen Lebens und des christlichen Glaubens in den Blick nimmt und nicht zu billiger Vertröstung neigt? Das Potenzial ist immens gross; es gilt immer neu, die liturgischen Quellen daraufhin auszuschöpfen. Glücklicherweise ist die Zeit des liturgischen Rubrizismus überwunden, wenngleich gewisse Kreise Anziehungskraft ausstrahlen, die sich auf einen liturgischen Ästhetizismus kaprizieren und der zeremoniellen Form Vorrang geben vor den Fragen, auf welchem theologischen Fundament die Liturgie der Kirche aufbaut und wie der glaubenswillige Mensch je im Heute im Raum der Kirche seinem Suchen und Fragen, aber auch seinem Danken und Lobpreisen Ausdruck verleihen kann. Die eigentliche «liturgische Frage» – brennend seit mehr als einem Jahrhundert – wird in ihrer ganzen Tragweite in der Pastoral oft verkannt. Sie als Leitfrage für alle Liturgiepastoral zu begreifen und zu einem entsprechenden liturgischen Handeln zu ermutigen, gehört zu den Kernaufgaben des kirchlichen Wirkens und christlichen Glaubens – auch fünf Jahrzehnte nach «Sacrosanctum Concilium ».

 

 

19 So Lambert Beauduin: La piété de l’Église. Louvain 1944, hier zitiert nach: Mélanges liturgiques recueillis parmi les oeuvres de Dom Lambert Beauduin O.S.B. à l’occasion de ses 8 0 ans (1873–1953). Louvain 1954, 11–35, hier 15 und 17. Originaltext: «La participation active à l a vie liturgique de la sainte Église est donc un élément capital dans la vie surnaturelle du peuple chrétien (…). D’autre part, est-il besoin de constater chez les fidèles une ignorance et une désaffection presque complètes à l’endroit du culte? La chose est trop évidente pour s’attarder à la décrire (…). Transformons l’assistance routinière et ennuyée aux actes cultuels en une participation active et intelligente; apprenons aux f idèles à p rier et à c onfesser ensemble ces vérités; et la liturgie ainsi pratiquée réveillera insensiblement une foi endormie et mettra en valeur, dans la prière et l’action, les énergies latentes des âmes baptisées.»

20 So zum Beispiel in der Vorrede zum Band 1 des berühmten Liturgiekommentars zum Kirchenjahr «L’Année liturgique», der in 15 Bänden ab 1841 erschien.

21 Vgl. Balthasar Fischer: Das «Mechelner Ereignis» vom 23. September 1909. Ein Beitrag zur Geschichte der Liturgischen Bewegung, in: Liturgisches Jahrbuch 9 (1959), 203–219. Siehe auch das Themenheft: Le centenaire du Mouvement liturgique de Louvain. Congrès liturgique de Ciney, 2–3 octobre 2009. Hrsg. von André Haquin (= Questions liturgiques 91). 2010, H. 1–2. 22 Hier ist besonders das biblisch-liturgische Apostolat von Klosterneuburg (Österreich) um Pius Parsch zu nennen.

23 Eine besondere Stimme verleiht diesen Fragen Romano Guardini in seinem Schreiben an Johannes Wagner anlässlich des Dritten Deutschen Liturgischen Kongresses in Mainz von 1964, in dem es ihm um die «Liturgiefähigkeit» des Menschen ging. Vgl. Romano Guardini: Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe der liturgischen Bildung, in: Liturgisches Jahrbuch 14 (1964), 101–106; auch in: Gottesdienst nach dem Konzil. Vorträge, Homilien und Podiumsgespräche des Dritten Deutschen Liturgischen Kongresses in Mainz. Im Auftrag der Liturgischen Institute zu Trier, Salzburg und Freiburg/Schweiz, hrsg. von Anton Hänggi. Mainz 1964, 18 –23.

24 Der Artikel 21 der Liturgiekonstitution erkennt explizit die Reformbedürftigkeit der Liturgie an, wobei es nicht nur um nachrangige Aspekte geht, sondern das Wesen der Liturgie betroffen ist: «Denn die Liturgie enthält einen kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen Teil und Teile, die dem Wandel unterworfen sind. Diese Teile können sich im Laufe der Zeit ändern, oder sie müssen es sogar, wenn sich etwas in sie eingeschlichen haben sollte, was der inneren Wesensart der Liturgie weniger entspricht oder wenn sie sich als weniger geeignet herausgestellt haben» (Hervorhebung M.K.).

25 Vgl. neuestens: [Roger Husistein:] Katholische Kirche in der Schweiz. Kirchenstatistik 2013. Zahlen, Fakten, Entwicklungen. Hrsg. vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut. St. Gallen 2013. 26 Vgl. unter anderem Karl- Heinrich Bieritz: Gottesdienst und Gesellschaft, in: Theologie des Gottesdienstes. Gottesdienst im Leben der Christen. Christliche und jüdische Liturgie. Hrsg. von Martin Klöckener, Angelus A. Häussling und Reinhard Messner (= Handbuch der Liturgiewissenschaft «Gottesdienst der Kirche» 2,2). Regensburg 2008, 83– 158; Patrick Prétot: Liturgie und Ekklesiologie in einem Zeitalter der Individualisierung, in: Gottesdienst in Zeitgenossenschaft (wie Anm. 4), 139–160.

27 Vgl. Martin Klöckener: Die Glaubwürdigkeit der Liturgie. Anmerkungen zu einem ungewohnten Thema, in: Glaubwürdigkeit der Kirche – Würde der Glaubenden. Für Leo Karrer. Hrsg. von Michael Felder und Jörg Schwaratzki. Freiburg i. Br. 2012, 236 –250.

28 Vgl. Gunda Brüske: «Damit sie im Leben festhalten, was sie im Glauben empfangen haben». Die Predigt als Teil der Liturgie, in: Heiliger Dienst 66 (2012), 119–123; ursprünglich unter dem Titel: Ein heilshaftes Geschehen. Die Predigt als Teil der Liturgie, in: Gottesdienst 42 (2008), 89–91.

Martin Klöckener

Martin Klöckener

Prof. Dr. Martin Klöckener ist seit 1994 ordentlicher Professor und Inhaber des zweisprachigen Lehrstuhls für Liturgiewissenschaft an der Universität Freiburg/Schweiz. Er ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Vereinigungen im In- und Ausland und übt eine umfangreiche Dienstleistungs- und Beratungstätigkeit in wissenschaftlichen und kirchlichen Gremien und Kommissionen aus.