Die Landeskirchen im Umbruch

Nicht nur die Kirche, auch die Landeskirchen sind gefordert, sich den veränderten Verhältnissen anzupassen und ihre Verfassungen zu revidieren.

Im Sommer 2019 wurde die Totalrevision der Verfassung der Römisch-Katholischen Kirche in Basel-Stadt mit grossem Mehr angenommen. Die SKZ fragte bei Kirchenratspräsident Christian Griss nach.

SKZ: Warum war diese Totalrevision der Kirchenverfassung nötig?
Christian Griss: Es gab mehrere Gründe. So musste die Grösse der Gremien dem neuen Mitgliederstand angepasst werden, zwischenzeitlich neu entstandene oder revidierte Ordnungen mussten aktualisiert, diverse Bezeichnungen vereinheitlich und modernisiert werden. Zudem gab es Regelungslücken, z. B. wann Gremienmitglieder in den Ausstand treten müssen oder welche Ämter und Anstellungskategorien in der Kirche unvereinbar sind.

Welches sind die wichtigsten Änderungen oder Neuerungen?
Wichtig sind die Hinzufügungen über Bereiche, die bisher noch gar nicht geregelt waren: eine gesetzliche Grundlage für die kirchenübergreifende Zusammenarbeit respektive für kantonalkirchliche Ämter und Dienste, eine Regelung der Kompetenzen zur Genehmigung von Verträgen, die Ausübung der Befugnisse des Kirchenrates als Kollegialbehörde, die Errichtung selbstständiger kirchlicher Anstalten und wie bereits erwähnt, den Ausstand der einzelnen Amtsträger und die Unvereinbarkeit einzelner Ämter. Des Weiteren sind die gegenwärtigen Strukturen auf die ursprüngliche Mitgliederzahl der Landeskirche von 99 341 (Stand 19731) ausgerichtet. Per 31. Dezember 2017 hatte sie noch 25'623 Mitglieder. Da die Arbeit in der Synode, im Kirchenrat, in den Pfarreiräten und anderen Gremien grösstenteils aus unentgeltlicher Freiwilligenarbeit besteht, wird es zunehmend schwieriger, Mitglieder hierzu zu gewinnen. Demzufolge sollten die Strukturen insbesondere in den folgenden Bereichen der neuen Mitgliederzahl angepasst werden: Wahlverfahren für Synode und Pfarreiräte, Zusammensetzung und Grösse der Synode, Zusammensetzung und Amtsdauer des Synodenbüros sowie die Rolle des Pastoralraums respektive der Leitung des Pastoralraums, v. a. wenn ganz Basel einen Pastoralraum bildet.2

Zu reden gab im Vorfeld die Forderung im Ingress, welche die Zulassung zum Priesteramt unabhängig von Zivilstand oder Geschlecht verlangt.
Der neue Ingress ist nicht Teil der Totalrevision. Er kam 2014 über die Gleichstellungsinitiative zusammen mit einer kleinen Teilrevision mit den dringlichsten Änderungen in die Verfassung, ist aber aufgrund der damals hohen Zustimmung in der neuen Verfassung erhalten geblieben.

Gemäss Paragraf 2 kann jemand Mitglied der Kantonalkirche werden, ohne der römisch-katholischen Kirche anzugehören.
Paragraf 2 ist eine pragmatische Regel für nach Basel gezügelte Personen, deren Taufe (beispielsweise in Indonesien) nicht mehr nachgewiesen werden kann. Er zeigt aber auch, dass Mitgliedschaft nach kirchlichem Recht und Mitgliedschaft in der Landeskirche nicht dasselbe sind.

Neu gibt es keine Amtszeitbeschränkung mehr für Synodale sowie für Präsidium, Vizepräsidium und Sekretär in den Pfarreiräten. Würde nicht gerade ein Wechsel in diesen Gremien dazu beitragen, dass sie flexibel bleiben?
Wenn engagierte Personen langfristig wirken wollen und von den Wählerinnen und Wählern die Unterstützung finden, soll dies möglich sein. Es war ja auch bisher möglich, mit einer Pausenlegislatur oder einem Gremienwechsel langfristig engagiert zu bleiben.

Die Verfassung wurde mit über 90 Prozent und einer Stimmbeteiligung von rund 15 Prozent angenommen. Wie interpretieren Sie diese Zahlen?
Die Stimmbeteiligung entsprach mit 15 Prozent etwa der durchschnittlichen Beteiligung. Die Gleichberechtigungsinitiative machte mehr Menschen mobil als ein komplettes Gesetzeswerk und verzeichnete eine sehr hohe Stimmbeteiligung von 22,1 Prozent. Die aussergewöhnlich hohe Zustimmung freut uns. Sie honoriert auch die von der Synode gewählte Spezialkommission und deren Arbeit. Das Engagement dieser Gruppe war sehr hoch und fand unter Beratung von Experten wie dem renommierten Wissenschaftler im Kirchenrecht, Prof. Dr. Felix Hafner, statt.

Interview: Rosmarie Schärer

 

Die SKZ fragte bei den anderen Landeskirchen der Deutschschweiz nach, ob Verfassungsrevisionen anstehen respektive kürzlich durchgeführt wurden.

Bistum Basel

Die Landeskirche des Kantons Aargau hat sich bei der letzten Verfassungsänderung vom November 2012 die Kompetenz geben lassen, ein Personalgesetz zu erlassen, welches auch für die Kirchgemeinden verbindlich ist. Aktuell sind gemäss Kirchenratspräsident Luc Humbel keine Revisionsvorhaben geplant

Auch die Landeskirche Basel-Landschaft plant zurzeit keine Verfassungsrevision. Die letzte Teilrevision (2015) betraf die Umsetzung der sogenannten Kirchlichen Gleichstellungsinitiative. Die umfassende Teilrevision von Dezember 2011 legte u. a. die Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen Kirchgemeinden, auch im Hinblick auf die Einführung der Pastoralräume, regelte die Aufsicht über die Kirchgemeinden, führte eine Rekurskommission ein und nahm die Bistumsregionalleitung als zuständige Ansprechpartnerin des Landeskirchenrats und der Synode auf.3 Mit dem neuen Landeskirchengesetz des Kantons Bern wurde die Personaladministration des Seelsorgepersonals mit Missio der Landeskirche übergeben. Sie nahm dies zum Anlass, ihre Verfassung aus dem Jahr 1982 zu überarbeiten. Unter anderem wurden die parlamentarischen Mittel der Motion, des Postulats und der Interpellation eingeführt und eine Finanz- und Geschäftsprüfungskommission geschaffen sowie eine Kommission «Anderssprachige Gemeinschaften». Mit der am 1. September 2019 in Kraft getretenen Verfassung können zudem Personen in Ämter und Funktionen einer Kirchgemeinde gewählt werden, welche einer anderen Kirchgemeinde angehören.4

Die Landeskirche Luzern änderte ihre Verfassung letztmals 2002. Eine Verfassungsrevision ist gemäss Synodalrats- präsidentin Renata Asal-Steger nicht vorgesehen.

Die Landeskirche Schaffhausen plant weder eine Revision noch eine Änderung der Kirchenorganisation, wie deren Verwalterin, Barbara Leu, mitteilte.

Das Statut der Synode des Kantons Solothurn wurde letztmals 2018 geändert. Gemäss dem Präsidenten der Synode, Kurt von Arx, gab es dabei keine nennenswerten Änderungen.

Von der Landeskirche Thurgau gab es leider keine Rückmeldung.

Der öffentlich-rechtlich anerkannte Zweckverband der Katholischen Kirchgemeinden des Kantons Zug hat seine Statuten 2019 revidiert. Die Revision betraf vor allem die Anpassung an die neue kirchliche Struktur nach der Abschaffung des Dekanats Zug und eine Aktualisierung der vereinsinternen Abläufe.

Bistum Chur

Gemäss Stefan Müller, Präsident der Landeskirche Glarus, ist die Verfassung aus dem Jahr 2003 noch relativ «modern», weshalb gegenwärtig kein Revisionsbedarf besteht. Da die Grundverfassung der Katholischen Landeskirche Graubünden mittlerweile 60 Jahre alt ist, drängt sich eine generelle Überarbeitung der Verfassung oder zumindest eine vollumfängliche Überprüfung auf. Gemäss Thomas M. Bergamin, Präsident der Verwaltungskommission, wird an der ordentlichen Vollversammlung im Oktober ein entsprechendes Budget beantragt und eine Verfassungs-Kommission vorgestellt. Er hofft, dass die neue Verfassung auf den 1. Januar 2023 in Kraft gesetzt werden kann.

Die Verfassung der Landeskirche Nidwalden (im Jahr 2000 letztmals geändert) ist in Überarbeitung, doch wird der grosse Kirchenrat erst im Juni 2020 entscheiden, ob man diese Revision als notwendig erachtet oder nicht.

Der Verband der kath. Kirchgemeinden von Obwalden hat sich erst 2014 ein neues Statut gegeben.

Auch die Verfassung der Kantonalkirche Schwyz wurde 2014 letztmals geändert und ist somit aktuell.

Die Landeskirche des Kantons Uri ist sich gemäss Generalvikar Martin Kopp bewusst, dass eine Verfassungsrevision fällig wäre, doch sieht sie sich aktuell nicht in der Lage, diese in Angriff zu nehmen.

Die röm.-kath. Körperschaft des Kantons Zürich hat eine grössere Teilrevision der Kirchenordnung an die Hand genommen. Die Arbeiten in der Arbeitsgruppe sind schon weit vorangeschritten, sodass der Synodalrat voraussichtlich im Sommer den politischen Prozess mit den Vernehmlassungen usw. auslösen kann. Voraussichtlich im Frühjahr/Frühsommer 2021 wird die Kirchensynode über die Teilrevision der Kirchenordnung beschliessen können.

Bistum St. Gallen

Der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat seine «Ordnung der Verbandes Katholischer Kirchgemeinden» vor kurzem überarbeitet.

Im Kanton Appenzell Innerrhoden gibt es auf kantonaler Ebene keine Verfassung, weil sich die Kirchgemeinden lediglich in einem privatrechtlichen Verein zusammenschliessen, wie Kanzler Claudius Luterbacher erklärte.

Für den Katholischen Konfessionsteil des Kantons St. Gallen ist zurzeit keine Verfassungsrevision (letzte Änderung 2006) geplant, da in den letzten Jahren auf Gesetzesstufe viele Gesetzgebungsprozesse durchgeführt wurden.

 

1 Erlass der alten Kirchenverfassung.

2 Alle Änderungen finden sich im Bonusmaterial.

3 Weitere Themen der seit 1.1.2013 in Kraft getretenen Verfassung: Umfassende Regelung der Unvereinbarkeit von Funktionen in der Landeskirche, Erhöhung des Betrages betr. fakultatives Referendum, Erhöhung der Ausgabenkompetenz des Landeskirchenrats und die Einführung des kostenlosen Beschwerdeverfahrens vor dem Landeskirchenrat.

4 Ausführliche Stellungnahmen siehe Bonusmaterial.