Die Kirche und ihr Geld

Denkanstösse zu aktuellen Debatten

In den «Nuancen und Details» von Ludwig Hohl habe ich kürzlich gelesen: «Bei einer Arbeit hatte ich plötzlich das eindringliche Gefühl, dass man nicht nur vom Ganzen aus das Einzelne finden kann, sondern auch vom Einzelnen aus das Ganze dominieren.» Das führte zur Idee, das Thema «Die Kirche und ihr Geld» für einmal nicht systematisch anzugehen, sondern von einzelnen Stichworten und Begriffen aus, die in den aktuellen Diskussionen um die Kirchenfinanzierung in der Schweiz immer wieder auftauchen. Entstanden ist eine kleine Reihe von thesenartigen Ausführungen, die mindestens so sehr Fragen aufwerfen als Antworten liefern wollen.1

1. Eine arme Kirche für die Armen

«Mir ist eine ‹verbeulte› Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Strassen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist» (Franziskus, Evangelii gaudium 49). «Aus diesem Grund wünsche ich mir eine arme Kirche für die Armen. Sie haben uns vieles zu lehren. Sie haben nicht nur Teil am sensus fidei, sondern kennen ausserdem dank ihrer eigenen Leiden den leidenden Christus. Es ist nötig, dass wir alle uns von ihnen evangelisieren lassen » (EG 198). Die von der Botschaft Jesu und von der lateinamerikanischen Kirchenwirklichkeit genährte Verkündigung des neuen Papstes ist eine heilsame Beunruhigung einer wohlhabenden Kirche, die ihr Gewissen allzu leicht mit dem Hinweis beruhigt, sie tue mit ihrem vielen Geld viel Gutes für Benachteiligte. Papst Franziskus erinnert an die Gefahr des Reichtums, von unserem Herzen Besitz zu ergreifen. Seine Verkündigung macht uns auf den skandalösen Gegensatz zwischen unserem Wohlstand und der von Armut und Ungerechtigkeit geprägten Lebenswirklichkeit unzähliger Menschen aufmerksam. Und sie konfrontiert uns mit der Frage, ob unsere Positionsbezüge (als Kirche und als individuelle Christen in der Gesellschaft) in Fragen sozialer und globaler Gerechtigkeit nicht zu stark von der Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Eigeninteressen geprägt sind. Damit macht Franziskus das Thema «Die Kirche und ihr Geld» zu einer fundamental theologischen Frage. Auch in diesem Bereich gibt es einen Primat des Evangeliums vor staatskirchenrechtlichen und finanztechnischen Fragen, der in den aktuellen Diskussionen um die Zukunft der Kirchenfinanzierung oft zu kurz kommt. Die päpstliche Forderung konfrontiert uns mit der Frage, ob unser Umgang mit dem Geld der Kirche – und mit ihren materiellen Ressourcen generell – dem Anspruch des Evangeliums standhält oder ob die Kirche auch diesbezüglich eine «ecclesia semper reformanda» ist.

2. Kirche als Volk Gottes

Wenn nicht nur die Institution und ihre Vertreter Kirche sind, sondern alle Glieder der Kirche das «Volk Gottes» und «Kirche Jesu Christi» bilden, kann es beim Thema «Die Kirche und ihr Geld» nicht bloss um die Finanzen der Institution Kirche gehen. Vielmehr geht es dann um unser aller Geld. «Eine arme Kirche der Armen», wie Papst Franziskus sie sich wünscht, entsteht nicht durch Senkung oder Abschaffung der Kirchensteuern. Denn Steuersenkungen machen insbesondere die wohlhabenden Glieder des Gottesvolkes reicher und schwächen die Solidarität. Eine arme Kirche mit und für die Armen aber erfordert mehr, nicht weniger Solidarität. Wenn wir im schweizerischen Kontext von «armen» und «reichen» Kantonalkirchen oder Kirchgemeinden sprechen, sollten wir daher nicht den Fehler machen, dabei nur die Kirchensteuererträge zu vergleichen. Der Wohlstand einer Kirche am Ort bemisst sich auch an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder. So wichtig die materielle Bescheidenheit der Institution Kirche für ihre Glaubwürdigkeit ist – in einer von hohem Wohlstand geprägten Gesellschaft, in der auch viele Kirchenmitglieder wohlhabend sind, fordert die «Option für die Armen» weit mehr als das und verwirklicht sich ebenso sehr im Lebensstil der Kirchenmitglieder und in ihrem gesellschaftspolitischen Einsatz für eine Welt ohne Armut.

3. Öffentlich-rechtliche Anerkennung

Das Institut der öffentlich-rechtlichen Anerkennung von Kirchen und Religionsgemeinschaften und das damit verbundene Steuerbezugsrecht, wie wir es in der Schweiz, vor allem in der Deutschschweiz kennen, beruht auf den Prinzipien, dass finanzielle und organisatorische Belange des kirchlichen Lebens demokratisch und nach rechtsstaatlichen Prinzipien entschieden werden und dass die Kirchensteuerzahlenden und die Öffentlichkeit transparent über den Einsatz der finanziellen Mittel informiert werden.

Jene, die dieses System als «nicht mit dem Wesen der Kirche in Einklang stehend» beurteilen, setzen sich damit dem Verdacht aus, sie hätten Schwierigkeiten mit der gemeinsamen Verantwortung aller Getauften für das materielle Wohl, mit dem Mitspracherecht der Gläubigen über das von ihnen bereitgestellte Geld und mit dem Prinzip der finanziellen Transparenz. Dabei prägt kaum etwas das Kirchenbild des Zweiten Vatikanischen Konzils, das die Gegner des Systems jeweils bemühen, so sehr wie die aktive Mitverantwortung aller Getauften an der Sendung der Kirche. Zwar ist die Ausgestaltung der staatskirchenrechtlichen Strukturen und der Kirchenfinanzierung nicht frei von Mängeln – aber die Kritiker vermögen mit ihrem ekklesiologischen Mäntelchen kaum zu verdecken, dass es ihnen letztlich um die Macht übers Geld geht. Dass auch die Befürworter Eigeninteressen haben, sei ebenfalls nicht verschwiegen.

4. Kirchensteuern juristischer Personen

Die anhaltende Diskussion um die Kirchensteuern juristischer Personen hat neben juristischen, steuerrechtlichen und politischen Aspekten auch im engeren Sinn kirchliche und ethische Aspekte. Vertretbar ist diese Art der Kirchensteuer in dem Masse, in welchem die Kirche gesamtgesellschaftliche Leistungen erbringt und damit nachweislich entsprechende Wirkungen erzielt. Eine Kirche, welche sich auf die sakramentale und spirituelle Versorgung ihrer Kerngemeinde als ihr «Kerngeschäft» zurückziehen möchte, müsste konsequent auch auf diese Kirchensteuern verzichten. Und auch eine gesellschaftlich aktive Kirche muss aus Gründen der Glaubwürdigkeit (und des politischen Risikos) dafür sorgen, dass die Kirchensteuern juristischer Personen eine Ergänzung der hauptsächlich von den Gläubigen kommenden Kirchensteuern bleibt – und einen gewissen Anteil an den Gesamteinnahmen nicht übersteigt. Schliesslich muss die Kirche sich immer wieder die selbstkritische Frage stellen, ob sie trotz dieses Beitrags der Wirtschaft bereit und frei ist, das zu verkündigen und zu praktizieren, was dem Evangelium entspricht, oder ob sie in Gefahr kommt, doch zwei Herren dienen zu wollen – Gott und dem Mammon (vgl. Mt 6,24).

5. Zukunft

Die Kirchenfinanzierung ist in der (Deutsch-)Schweiz derzeit in erheblichem Ausmass von staatlichen Regelungen abhängig. Der Aspekt der freien, persönlichen Mitverantwortung der Kirchenmitglieder und der eigenverantwortlichen Mittelbeschaffung der Kirche bzw. kirchlicher Einrichtungen beschränkt sich auf gewisse Bereiche (z. B. Hilfswerke, Orden und Gemeinschaften, spirituelle Zentren). Angesichts der lockerer werdenden Bindungen zwischen Kirche und Gesellschaft, Kirche und Staat ist es angezeigt, das Gleichgewicht zwischen öffentlichen, gesetzlich geregelten, und freiwilligen Formen der Kirchenfinanzierung immer wieder zu überprüfen. Das gilt auch dann, wenn es mit einem Stück Besitzverzicht und höherer Unsicherheit verbunden ist. Urs Josef Cavelti hielt in einem nach wie vor aktuellen Artikel zur «Kirchenfinanzierung im Widerstreit der Erwartungen und Interessen» schon 1997 fest: «Für die Kirchen muss im Vordergrund stehen, dass sie trotz staatlicher Hilfestellung rechtlich und psychologisch ihre Unabhängigkeit vom Staat glaubhaft darstellen können.» «In politischen wie auch innerkirchlichen Diskussionen wird das Modell der Kirchenfinanzierung oft als Kriterium für die Lauterkeit und Glaubwürdigkeit der Kirchen dargestellt.» In diesem Zusammenhang dürfe nicht übersehen werden, «dass die Kirchensteuer die freiwilligen Opfer und Gaben nicht überflüssig macht und nicht machen kann. Aus dem Ertrag der Kirchensteuer werden im Wesentlichen die kirchlichen Grunddienste finanziert. Vor allem kirchliche Werke, die der Initiative der Mitglieder entspringen, sind weiterhin auf die freiwilligen Leistungen der Kirchenglieder angewiesen. Diese faktische Zweiteilung der Einnahmequellen erweist sich für die kirchliche Arbeit als fördernd. Die kirchlichen Infrastrukturen bleiben damit relativ gesichert vor kurz- oder mittelfristigen Trends. Spontane Aktionen, soziale Engagements und Hilfeleistungen beruhen nach wie vor auf freiwilliger finanzieller Unterstützung.»

Wichtig ist für die künftige Entwicklung, «dass einzelne Finanzierungsarten auf ihre Übereinstimmung mit der immer bewusster werdenden religiösen Neutralität des Staates neu zu überprüfen, allenfalls auch zu bereinigen oder im Einzelfall aufzugeben sind». Was die Beurteilung der verschiedenen Modelle betrifft, gibt es nach Urs Josef Caveltis Auffassung kein Modell, das «mit einem schlichten Qualitätszeichen » versehen werden kann – vieles ist von der gesellschaftspolitischen Tradition abhängig. Kirchenfinanzierung «muss für die Kirchen sachgerecht, die religiöse Neutralität des Staates widerspiegelnd und einer Mehrheit der Bürger gesellschaftspolitisch einsichtig und durch sie abgesichert sein». Die Bezeichnung der Kirchgemeinden und kantonalkirchlichen Organisationen als «Selbstverwaltungskörperschaften der Getauften» ist längerfristig im Kontext einer pluralen und säkularen Gesellschaft nur plausibel, wenn diese Körperschaften ihr finanzielles Geschick eigenverantwortlich und in starker Rückbindung an die Botschaft des Evangeliums gestalten.

Das eingangs zitierte Wort von Papst Franziskus, das mich als Kritik an einer selbstgefälligen und selbstbezüglichen Kirche spontan angesprochen hat, ist für mich als Kirchenmanager und Kirchenfinanzierungsmensch mit der Zeit immer unbequemer geworden. Deshalb stelle ich es in Frageform ans Ende dieser Überlegungen: Was heisst es für unseren kirchlichen Umgang mit Geld konkret, einer «verbeulten » Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Strassen hinausgegangen ist, den Vorrang zu geben?

 

 

1 Überarbeitetes Thesenpapier für das vom «aki Katholische Hochschulgemeinde Zürich» durchgeführte «Café philosophique» vom 11. März 2014. Faktenreichere und systematischere Überlegungen habe ich in folgenden Publikationen vorgelegt:

  • Demokratisch – solidarisch – unternehmerisch. Organisation, Finanzierung und Management in der katholischen Kirche in der Schweiz (=FVRR 19). Zürich 2007;
    Kirchliches Handeln im Spannungsfeld von Geist und Geld, in: Pius Bischofberger / Manfred Belok (Hrsg.): Kirche als pastorales Unternehmen. Anstösse für die kirchliche Praxis. Zürich 2008, 72–90;
  • Finanzielle Überlegungen zur katholischen Kirche in der Schweiz, in: SKZ 177 (2009), Nr. 36 604.609–610;
  • Fakir untermauert den gesellschaftlichen Nutzen der Kirchen, in: SKZ 178 (2010), Nr. 48, 821–822.;
  • Kirchenfinanzierung im Spannungsfeld von katholischer Ekklesiologie und schweizerischer Demokratie, in: Libero Gerosa / Ludger Müller (Hrsg.): Katholische Kirche und Staat in der Schweiz (= Kirchenrechtliche Bibliothek). Wien 2010, 351–363;
  • Kirchenfinanzierung. Aktuelle Fakten und Debatten, in: SKZ 179 (2011), Nr. 36, 572–574.579–580;
  • Mitwirkungsrechte und Mitverantwortung der Angehörigen staatskirchenrechtlicher Körperschaften, in: René Pahud de Mortanges (Hrsg.): Mitgestaltungsmöglichkeiten für Laien in der katholischen Kirche. Rechtslage und pastorale Perspektiven (= FVRR 29). Zürich 2013, 89–107;
  • Die öffentliche Finanzierung der katholischen Kirche in der Schweiz. Zahlen, Zusammenhänge und Zukunftsperspektiven (= FVRR 30). Zürich 2013;
  • Befiehlt, wer zahlt? Kirchenfinanzierung und Gestaltung des kirchlichen Lebens, in: SKZ 181 (2013), Nr. 35, 522–524.533–534.
Daniel Kosch

Daniel Kosch

Dr. theol. Daniel Kosch (1958) ist seit 2001 Generalsekretär der Römisch- Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz. Zuvor leitete er während rund 10 Jahren die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Kirchenfinanzierung, Kirchenmanagement und Staatskirchenrecht.