«Die deutsche Sprache ist wundervoll»

Sprache ist ein effektives Werkzeug. Richtig angewandt hilft sie, uns klar auszudrücken und erst noch höflich zu sein. Maria Hässig, unsere leitende Fachredaktorin, besuchte eine Weiterbildung in Sprache und Kommunikation und steht nun Red und Antwort.

SKZ: Maria, was war für dich die wichtigste Erkenntnis?
Maria Hässig: Die Wirkung von Sprache beschäftigt mich schon lange. In der Weiterbildung bei «Lingva Eterna»1 lernte ich, dass wir uns im Alltag beim Sprechen und Schreiben vor allem auf den Inhalt konzentrieren. Ebenso wichtig und wirksam ist die Satzstruktur – der Wortschatz, der Satzbau, die Grammatik und die Satzmelodie. Ich staune darüber, was kleine Änderungen in der Satzstruktur bewirken.

Das tönt spannend. Ich bitte dich, mir dies an einem Beispiel aufzuzeigen!
In die Weiterbildung sind wir mit einer Wortprobe eingestiegen. Wir haben Wörter «gekostet». Wörter erzeugen Bilder. Ich entdeckte, dass bei allen 17 Teilnehmenden beim gleichen Wort ganz unterschiedliche und erfahrungsgesättigte Bilder und auch Gefühle kamen. Beim Wort «Apfelbaum» meldete sich bei einer Teilnehmerin der Magen. Sie sah einen rotbackigen Apfel vor sich. Sie hatte grosse Lust, kraftvoll in ihn hineinzubeissen. Willst du eine Wortprobe machen?

Ja, gerne!
Welche Bilder kommen dir bei den folgenden Wörtern? Ich sage sie dir laut mit Pausen dazwischen vor: Quelle, Kirschbaum, Teamsitzung, reiten, müssen, hinhören, rasch, Gottesdienst, Wohlwollen, fröhlich. Seit meiner ersten Wortprobe schaue ich beim Schreiben genauer hin, welche Wörter ich brauche. «Ich öffne das Buch» erzeugt ein anderes Bild als «Ich schlage das Buch auf». Es wirkt auch auf meinem Umgang mit dem Buch. Das Sprach- und Kommunikationskonzept basiert auf drei Säulen: Die Präsenz der Sprecherin bzw. des Sprechers, die Klarheit der Botschaft und die Wertschätzung den Mitmenschen und der ganzen Schöpfung gegenüber.

Bei deinen E-Mails fühle ich mich durch den Schluss jeweils sehr angesprochen. Du bist für mich dadurch präsent. Wie machst du das?
Die standardisierten Grussformeln lauten «Freundliche Grüsse» usw. «Freundliche Grüsse» empfand ich schon lange als nüchtern und kalt. Ich suchte nach Alternativen. Im Idealfall konnte ich den Gruss mit einem Wunsch verknüpfen. Im Kurs lernte ich, wie wichtig die Personalpronomen für den Kontakt sind. Die beiden Kursleiter gaben Alternativen zur Hand wie «Es grüsst Sie freundlich», «Ich grüsse Sie freundlich», «Ich sende Ihnen freundliche Grüsse». Ich bin dadurch für die Empfängerin und den Empfänger präsent und mit dem «Sie/Ihnen» fühlen sie sich wahrgenommen. Am Anfang brauchte ich etwas Mut. Inzwischen schreiben mir die Autoren: «Haben Sie Dank für die ehrenvolle Einladung. Gerne schreibe ich für Sie.» Das ist eine gute Basis für die weitere Zusammenarbeit.

Wie schaffst du eine klare Botschaft?
Da gibt es verschiedene sprachliche Aspekte. Bei Informationen benutze ich neu kurze Sätze. Im Schriftlichen gelingt es mir schon besser als im Mündlichen. Zur Klarheit gehört auch die Anwendung einer widerspruchsfreien Grammatik. Beispielsweise packen viele Menschen eine Aufforderung in einen Fragesatz. Sie haben es so gelernt. Sie wollen, dass jemand etwas tut und sie fragen ihn, ob er dieses tun könne und erwarten gleichzeitig, dass er es macht. Zum Beispiel: «Brigitte, könntest du die Seiten in der Ausgabe 21 aufziehen?» Klarer formuliere ich meinen Auftrag mit: «Brigitte, die Beiträge für die Ausgabe 21 sind da. Bitte zieh die Seiten im Indesign auf.» Eine widerspruchsfreie Grammatik hilft, Missverständnisse und damit auch Ärger zu vermeiden.

Worauf schaust du seit dem Kurs noch?
Auf ganz vieles, je nach Situation wende ich den einen oder anderen sprachlichen Aspekt an. Begonnen habe ich mit vollständigen Sätzen in Kurznachrichten wie E-Mails und WhatsApp-Mitteilungen. Ich liess oft das «Ich» weg wie in «bin auch dabei». Anschliessend habe ich alles, was in der Zukunft liegt, im Futur ausgedrückt anstatt wie üblich im Präsens. Das verschaffte mir vor allem auch im Beruf Luft. Das Leben gewann an Leichtigkeit. Aktuell lege ich den Fokus auf die Passivsätze. Mir fällt auf, wie viele Passivsätze ich brauche. Auch in amtlichen Dokumenten entdecke ich sie oft. Passivsätze wirken distanziert, sie entbehren deshalb der Wärme; sie laden zur Passivität ein; bei ihnen gerät auch der oder die Handelnde aus dem Blick.

Ich finde es sehr anspruchsvoll, Änderungen in der gewohnten Sprache vorzunehmen.
Ja, das ist es. Mit Humor gelingt es mir gut, meine Sprache weiterzuentwickeln. Wichtig ist, es gibt kein Richtig oder Falsch. Es gibt ein Anders mit phänomenalen Wirkungen für ein gutes Miteinander und ein Mehr an Lebensqualität. Insbesondere darüber staune ich. Die deutsche Sprache ist wundervoll.

Interview: Brigitte Burri

 

1 Mehr Informationen zu «Lingva Eterna» unter: www.lingva-eterna.de