Der vergessene Kontinent

Cover (Bild: weltbild.ch)

 

Ein aufrüttelndes Buch über Afrika

Wenn nicht gerade eine islamistische Terrorgruppe ein modernes Einkaufszentrum in Nairobi, der Hauptstadt von Kenia, erstürmt und wahllos Leute tötet und verwundet, bis Hunderte getroffen sind, nimmt man Afrika kaum zur Kenntnis, ausser die Leute gehen in Ägypten auf die Strasse, oder in Südafrika dämmere ein verdienter Nationalheld dem Tod entgegen.

Die grosse Frage

Der seit über 50 Jahren in Afrika lebende Benediktiner Peter Meienberg stellt sich die Frage: «Wieso wird in Europa ein dermassen interessanter Kontinent ausgeblendet? Wieso wird immer nur das Negative herausgestellt? Ich nehme an, dass es zum Teil daran liegt, dass dieser riesige Kontinent Afrika der technischen Möglichkeiten entbehrt, um sich einzufügen in die Massenkommunikation, die heute die westliche Welt dominiert. So bleibt natürlich vieles einfach verborgen. Was heute beispielsweise im Kongo passiert, ist satanisch. Seit 1994, dem Genozid in Ruanda, starben allein im Ostkongo infolge des Bürgerkriegs fünf Millionen Menschen. Das ist ein Holokaust, dessen man sich in Europa nicht bewusst ist. Vielleicht behandelt man Afrika einfach auch aus dem Vorurteil, dass es ja doch nie besser werde. Die negativen Eindrücke überwiegen. Das Böse ist an der Oberfläche, was gut ist, bleibt verborgen. »1

Mission als Sendung

Innert Jahresfrist hat sich dieser aus St. Gallen stammende «Missionar» – der sich nicht als Seelen sammelnder Bekehrer versteht, sondern als einer mit einer Sendung Beauftragter – in zwei Büchern über seine Erfahrungen und seine Tätigkeit in mehreren Ländern Afrikas geäussert.2 Er ist der beste Beweis dafür, dass man sich nicht dem Vorurteil ergeben darf, es werde nie besser: Er packt einfach an. Und was er geleistet hat, gewiss zunächst aus eigener Initiative, aber dann mit vielen Mitarbeitern und Förderern, ist umwerfend. Durch diese Bücher, aber auch durch einen Film «The Prison and the Priest»,3 erfährt man, was – in Hoffnung gegen alle Hoffnung – eben doch möglich ist, nicht nur aus eigener Tatkraft, sondern auch – was diskret, aber deutlich genug gesagt wird – tief verwurzelt in einem Sendungsauftrag.

Ein spannendes Buch

Während das erste Buch im ordenseigenen EOS Verlag in St. Ottilien bei München erschienen ist, kommt das zweite im evangelischen (aber wie ökumenischen!) Blaukreuz-Verlag in Bern heraus. Sein Verlagsleiter Lars Lepperhoff hat Peter Meienberg entdeckt und «spontan», wie der Verfasser sagt, «aus eigener Initiative und mit grossem Einsatz dieses Buch zustande gebracht». L. Lepperhoff hat P. Meienberg in Nairobi besucht, ihn auf seinen Ausgängen begleitet, fotografiert, Interviews geführt und selber dem Buch drei Abschnitte beigesteuert, sodass etwas herausgekommen ist, was nicht nur dokumentarisch aufschlussreich, sondern auch unterhaltsam zu lesen ist. Sehr vieles, was einem bei den disparaten Meldungen aus Afrika rätselhaft erscheint, wird hier ungeschminkt erklärt. Dabei erschöpft sich der Autor nicht in der Darstellung von Feindbildern, er entdeckt unendlich viel Gutes allüberall, vor allem eine ungeheure Durchhaltekraft der vielen Unterdrückten und ihre Fähigkeit, sich aufzurappeln und auf dem eingeschlagenen Weg weiter zu gehen. Peter Meienberg hat viel «Hilfe zur Selbsthilfe» geleistet, sodass seine Unternehmungen Zukunftsaussicht haben.

Hilfe zur Selbsthilfe

Entscheidendes geschah, als er in einem Gottesdienst im Frauengefängnis aus dem Evangelium des Lukas (4,18 f.) einen Abschnitt des Propheten Jesaja (61,1 f.) vorzulesen hatte:4 «Der Geist des Herrn ist über mir, denn er hat mich gesalbt und mich gesandt, den Armen frohe Botschaft zu bringen, Befreiung zu künden den Gefangenen, den Blinden neues Augenlicht – Geknechtete in Freiheit zu setzen, auszurufen das Gnadenjahr des Herrn» (Übersetzung Otto Karrer). Er hat diesen Satz nicht nur vorgelesen, nicht nur dazu gepredigt, sondern ihn in die Tat umgesetzt. Denn was er vorfand in diesem Frauengefängnis, spottete aller Menschlichkeit, und ähnlich war es in einem Männergefängnis; ganz Schlimmes hatte er erlebt, als er in die grauenhaften Schlächtereien zwischen Hutus und Tutsis mit Hunderttausenden von Toten eintauchte (verfeindete Stämme im christlichen Ruanda). Auch Kenia ist zu 82,5 Prozent von Christen bevölkert, aber ein Land, das ganz der Korruption ausgeliefert ist, der Anteil an fanatischen Islamisten unter den 11,1 Prozent Muslimen, womöglich aus Nachbarländern eingeschleust, hilft mit, das Land zu destabilisieren.

Die Tätigkeitsfelder

Im Zentrum steht seit 1999 die gemeinnützige, vom kenianischen Staat anerkannte Stiftung Faraja (das heisst auf Swahili «Trost und Ermutigung») – «ein kleines, aber brillantes Hilfswerk, welches finanzielle Mittel effizient zu Gunsten von möglichst vielen benachteiligten Menschen einsetzt, um ein Optimum an Wirkung zu erzielen» (S. 212 in diesem Buch). So gibt es eine Landwirtschaftsschule, wo halbjährlich Kurse abgehalten werden mit Theorie und Praxis, wobei die Teilnehmer einen Beitrag bekommen, den sie für ihre Unterkunft in benachbarten Dörfern ausgeben – so wird den Kursteilnehmern wie den Landbewohnern geholfen. Im Gefängnis werden den Frauen, die häufig ohne Grund hier sitzen und eine viel zu lange Untersuchungshaft absolvieren müssen, der Wohnraum anständig gestaltet, Kurse angeboten (inkl. Computer, Schneidern, Coiffeuse usw.), damit sie nach Erhalt der Freiheit ihren Lebensunterhalt besser fristen können. Die Kleinkinder der gefangenen Frauen werden in einem Hort neben dem Gefängnis betreut, sodass sie so oft wie möglich bei ihren Müttern sein können; früher wurden sie einfach weggenommen und weggegeben! Aber nicht nur für die Gefangenen wird gesorgt: Auch die Wärterinnen werden weiter gebildet, sodass sie ihr Amt vernünftig ausüben können; so wächst ihr Selbstvertrauen und sie verhalten sich menschengerechter.

Refinanzierung

Eine ganz originelle Idee war es auch, vornehme Wohnungen zu schaffen, in denen das zahlreiche Personal der internationalen Organisationen, die in Nairobi (über 3 Millionen Einwohner!) arbeiten, sich einmieten kann; die hohen Mietkosten helfen, die übrigen Tätigkeiten der Faraja-Stiftung zu ermöglichen.

Im Übrigen ist Peter Meienberg ständig in den Slums unterwegs, um überall zu helfen; immer wieder findet er Mittel und Wege, um entsetzliche Notsituationen zu überbrücken, er wird auch innigst verehrt von allen, ohne dass er daraus Nutzen für sich zieht. Hinter allem steht ein unerschütterliches Urvertrauen in Gott, dem er täglich im Gebet und in der Eucharistiefeier begegnet. In früheren Jahren hat er für Tansania ein Staatskunde-Lehrbuch geschrieben (Oxford University Press), das in den Schulen verwendet wurde, und für die Kirche die einheimischen Lieder gesammelt und in riesigen Auflagen verbreitet. Mit Rundbriefen, Predigten, Interviews (im Herbst 2013 im Radio und Fernsehen, u. a. bei «Aeschbacher») und bei vielen Vernissagen seines neuen Buches quer durch die Schweiz hat er einen Freundeskreis geschaffen, der ihn treu unterstützt. Dankbar ist er seiner Herkunftsfamilie, einer eigenwillig geprägten Personengruppe mit einem stillen, kunstsinnigen Vater, einer energischen Mutter, vielen einfallsreichen Kindern (u. a. dem wortgewaltig sich gegen das, was er für ungerecht hielt, einsetzenden Niklaus) – in Peter Meienberg kumulieren sich die vielen Ansätze zu einer beeindruckenden Synthese. Das Buch geht weit über persönliche Erlebnisse hinaus, es ist ein ethnologisch-politischreligiöses Kompendium.

 

 

 

1 Peter Meienberg: Mein Leben in Afrika. Schicksale und Begegnungen am Äquator. (Blaukreuz-Verlag) Bern 2013, 224 Seiten, sehr viele farbige Illustrationen (Zitat S . 89).

2 Peter Meienberg: Afrika – unter die Haut. 50 Jahre gelebte Solidarität. Mit einem Vorwort von Alois Riklin. (EOS Verlag) St. Ottilien 2012, 375 Seiten, viele farbige Illustrationen.Vgl. dazu mein Frontartikel in SKZ 180 (2012), Nr. 43 vom 25. Oktober 2012, 689 f.

3 Peter Meienberg in Nairobi. Insertfilm AG , Solothurn, DVD , PAL , 2009.

4 Dieser Artikel war schon abgeschlossen, als in der SKZ 181 (2013), Nr. 39, 593, der Artikel von Siegfried Ostermann zum Weltmissionstag erschien, worin der ganze erste Abschnitt Peter Meienberg gewidmet war und auch dieses Bibelzitat enthielt. Ich freue mich über diese Begegnung.

Iso Baumer

Iso Baumer

Dr. Iso Baumer, geboren 1929 in St. Gallen, studierte Sprach- und Literaturwissenschaft und war als Gymnasiallehrer in Bern und Lehrbeauftragter für Ostkirchenkunde an der Universität Freiburg (Schweiz) tätig. Er befasste sich früh mit Theologie und verfasste viele Publikationen zur westlichen und östlichen Kirchengeschichte (religiöse Volkskunde, Ostkirchenkunde).