Der Staat streicht der Kirche in Luxemburg viele Privilegien

In Luxemburg kündigt sich mit der neuen Konvention zwischen Staat und Kirche ein Epochenwechsel an, der nicht ohne Brüche verlaufen wird. Der überraschende Rücktritt von Generalvikar Ernest Gillen (55), der gleichzeitig auch Präsident von Caritas Europa ist, ist dafür nur ein Zeichen. Nur drei Wochen nach der Unterzeichnung der neuen Konvention zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, nach der die Kirche in Luxemburg viele ihrer bisherigen Privilegien verlieren wird, ist der Luxemburger Generalvikar Gillen, nach nur drei Jahren im Amt, am Aschermittwoch auf eigenen Wunsch zurückgetreten. Generalvikar Gillen war neben Erzbischof Jean Claude Hollerich und Seminardirektor Jean Ehret der Hauptverhandlungsführer von Seiten der katholischen Kirche bei den Verhandlungen mit dem Staat. In einem Interview mit der Zeitung "Luxemburger Wort", deren Aufsichtsratsvorsitzender Erny Gillen auch ist, sagte er, dass die letzten Monate viel Kraft gekostet hätten und er sich auch von den "Kurien-Krankheiten", die Papst Franziskus so harsch vor Weihnachten angesprochen habe, betroffen fühle. Erny Gillen ist von seiner Ausbildung her Moraltheologe. Er hatte an der Theologischen Hochschule Chur sein Diplom gemacht und anschliessend an der katholischen Universität Löwen ein Doktorat in Moraltheologie mit der Arbeit "Wie Christen ethisch handeln und denken. Zur Debatte um die Autonomie der Sittlichkeit im Kontext katholischer Theologie" erworben. Viele Jahre hatte er auch einen Lehrauftrag an der Caritas Hochschule Freiburg i. Br. Vor seiner Ernennung zum Generalvikar hatte er den Luxemburger Caritasverband zu einem der grössten Dienstleistungsunternehmen des Grossherzogtums im Sozialbereich aufgebaut. Auf der Liste der erfolgreichsten Wirtschaftsmanager Luxemburgs, das die Luxemburger Zeitschrift "Paperjam" erst im Januar veröffentlicht hatte, belegte Erny Gillen Platz sieben, ohne die Vertreter der in Luxemburg alles überragenden Finanzwirtschaft sogar Platz zwei.

Erny Gillen begründete seinen Amtsverzicht mit der im Bereich des Managements und auch im Bereich der Diplomatie üblichen Gepflogenheit, dass Unterhändler von Verträgen nicht mit deren Umsetzung beauftragt werden sollen. Deshalb habe er den Zeitpunkt jetzt für günstig erachtet, abzutreten. Aschermittwoch sei ja auch der Anfang der grossen christlichen Besinnungszeit. "Der Bischof gestattet mir eine Auszeit, die ich gerne wahrnehme, um neue Kraft und Energie für kommende Aufgaben zu tanken", so der scheidende Generalvikar, der sich über seine weiteren Zukunftspläne nicht äusserte. Allerdings wird er während seiner Sabbatzeit vorübergehend für einzelne Geschäftsbereiche zur Verfügung stehen. Erny Gillen ist auch Mitglied des trägerübergreifenden Ethikrates des Bistums Trier. Seine Ämter als Präsident von Caritas Europa und Vizepräsident von Caritas International, die er seit 2007 innehat, wolle er im Mai aufgeben, so Erny Gillen.

Die Kirche Luxemburgs gesellschaftlich neu positionieren

Zum Nachfolger von Erny Gillen bestellte Erzbischof Hollerich den bisherigen Domkapitular, Bischofsvikar und Pfarrer des Pfarrverbandes Steinsel-Walferdingen, Leo Wagener (52). Den neuen Generalvikar erwarten mit der Neuregelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat grosse Herausforderungen. Das gesamte kirchliche Personalwesen, das bislang zum grossen Teil vom Staat bezahlt und verwaltet wurde, muss umstrukturiert und in Zukunft von der Kirche selbst verwaltet und bezahlt werden. Die Kirche Luxemburgs muss nach der neuen Konvention in Zukunft mit einem Viertel seiner bisherigen Staatszuschüsse auskommen. Als Experte in pastoralen Fragen ist der neue Generalvikar zuständig für die Umsetzung der Konvention, die neben der Besoldung der Kultusdiener auch die Einführung eines Werteunterrichts in den Schulen und die Neuregelung der Pfarreienvermögen (Kirchenfabriken) beinhaltet.

Die Luxemburger Kirche war nach Zustandekommen der Luxemburger Koalitionsregierung zwischen Liberalen, Sozialisten und Grünen im Jahre 2013, die eine vollständige Trennung zwischen Kirche und Staat in ihrem Regierungsprogramm festgeschrieben hatten, zum Kampf um den Erhalt ihrer Besitzstände, vor allem was den in der Verfassung festgeschriebenen Religionsunterricht in den Schulen betrifft, bereit, und auch die starke Oppositionspartei, die Christlich-Soziale Volkspartei (CSV), war bereit, die Kirche in diesem Kampf zu unterstützen. In Luxemburg hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nur zwei Regierungen ohne CSVBeteiligung gegeben. Als die Regierung jedoch ankündigte, die Frage des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zum Gegenstand einer Volksbefragung zu machen, stimmte die Kirchenführung den Neuverhandlungen einer wesentlich ungünstigeren Konvention zu, um einen Rückfall in einen "Kirchenkampf", wie ihn Luxemburg zum letzten Mal 1912 erlebt hatte, zu vermeiden. Denn auch für die Anhänger einer vollständigen Trennung zwischen Staat und Kirche ist die jetzt ausgehandelte Konvention, vor allem da jetzt erstmals auch die muslimische Glaubensgemeinschaft in den Genuss staatlicher Zuschüsse kommt, nur ein "fauler Kompromiss", zumal die Unterzeichnung der Konvention nur wenige Tage nach den islamistischen Anschlägen von Paris stattfand. 

 

 


Bodo Bost

Bodo Bost studierte Theologie in Strassburg und Islamkunde in Saarbrücken. Seit 1999 ist er Pastoralreferent im Erzbistum Luxemburg und seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Public Responsibility an der kircheneigenen Hochschule «Luxembourg School of Religion & Society».