Der Pfingst-Mensch

Bilder: Peter Fischer / Brigit Bürgi (Hrsg.): A kind of magic. Ausstellungskatalog Kunstmuseum Luzern 2005, 55–58.

Der Befund einer jüngeren empirischen Untersuchung von Julia Gerth ist deutlich: Die mit «Heiligem Geist» assoziierten Symbole «Taube», «Feuer» und «Wind» sind Schülerinnen und Schülern heute nicht mehr geläufig. Dass die Bibel die Wirkmacht des göttlichen Geistes darüber hinaus mit einer Vielfalt von Bildern und Erfahrungen beschreibt, ist ihnen in der Regel erst recht fremd. In der Folge bilden Schüler aus den Begriffen «heilig» und «Geist» ihre eigenen Assoziationen. Sie verbinden nicht selten den Heiligen Geist mit personalen Vorstellungen von «Engeln» und «Gespenstern » (vgl. Literaturhinweis). Die Frage drängt sich auf, wie denn – nicht nur bei Kindern und Jugendlichen – das Wirken der Geistkraft im Alltag der Menschen und in der Kirche als lebensfördernde Macht deutlicher sicht- bzw. erfahrbar gemacht werden kann. Dass der Mut machende und gemeinschaftsstiftende Gottesgeist seine Wirkung bei den Menschen entfalten kann, auch wenn er weniger spektakulär als in der lukanischen Pfingsttheophanie erfahren wird, dafür gibt es im Alten und Neuen Testament zahlreiche Belege. Pfingsten bietet sich an, diese Vielfalt neu zu entdecken, sie zur Sprache zu bringen und ihren Reflex auch in der darstellenden Kunst zu suchen. Ein zeitgenössisches Kunstwerk soll deshalb mit dem Gedanken der Geist-Einwohnung in Verbindung gebracht und mit Texten der Bibel verknüpft werden, die nicht zuletzt auch Anstoss bieten könnten, die Rede vom Gottesgeist über die Grenzen des eigenen Bekenntnisses hinaus zu führen.

Berni Searle, Snow White (2001)

Die 2001 entstandene Videoarbeit der südafrikanischen Künstlerin Berni Searle zeigt eine Frau (die Künstlerin selbst), wie sie in einem dunklen Raum nackt und reglos in einem Lichtkegel kniet. Nach einer Weile rieselt weisses Mehl auf den Körper nieder. Das Mehl deckt den Körper immer mehr zu und macht ihn gleichzeitig immer deutlicher sichtbar. Nach einer Weile hört der Mehlregen auf. Irgendwann schüttelt die Frau das Mehl ab und beginnt, mit kreisenden Bewegungen das Mehl vor sich aufzuhäufen. Von oben tropft Wasser, und die Frau geht dazu über, das Mehl zu kneten und einen Brotteig zu formen. Peter Fischer, der diese Arbeit 2005 in der Ausstellung «A kind of magic» im Kunstmuseum Luzern gezeigt hat, nennt sie eine «weise Geschichte»: die Geschichte einer südafrikanischen Frau, die unter dem Einfluss dessen, was ihr zufällt, nicht im weissen «Schneewittchen-Traum» verharrt, sondern zu ihrer Hautfarbe und zu sich selbst findet und das Notwendige tut, für sich und diejenigen, mit denen sie das Brot teilen wird.

Gottes Geist im Menschen

Im Verständnis der christlichen Theologie kann die Einwohnung des Geistes im Menschen als ein «übernatürliches Existential» (Karl Rahner) bezeichnet werden. Begrifflich wird damit zum Ausdruck gebracht, was beim Propheten Ezechiel bereits für das Land Israel ausgesagt wird. Ez 36,26–28 beschreibt, dass das Volk nach seiner Rückkehr aus dem Exil und nach erfolgter Läuterung das neue Leben im Land nicht aus eigener Kraft erkämpfen kann, sondern nur, wenn es von Gott neu erschaffen und mit seinem Geist belebt wird: «Und ich werde euch geben ein neues Herz und einen neuen Geist werde ich geben in euer Inneres, und ich werde wegschaffen das Herz von Stein in eurem Fleisch, und ich werde euch geben ein Herz von Fleisch. Und meinen Geist werde ich euch geben in euer Inneres, und ich werde machen, dass ihr in meinen Satzungen gehen und meine Rechtsentscheide bewahren und sie tun werdet.»

Dies heisst: Auch der als Ebenbild Gottes (vgl. Gen 1,27) geschaffene Mensch bedarf des Geistes, damit er, quasi von innen heraus, die Lebensordnungen der Tora realisieren kann. Im Ps 51 bittet der Beter oder die Beterin deshalb um ein «reines Herz», dass er/sie die Lebensordnungen der Tora voll erfassen kann, und überdies um einen «neuen Geist», damit er/sie das mit dem Herzen Erkannte auch leidenschaftlich in die Tat umsetzen kann. Eine Lebensgemeinschaft schliesslich, die ihre Lebensordnungen so verinnerlicht hat, kann auch von sich sagen: «Keiner wird mehr den andern belehren …» (Jer 31,34).

Ausgiessung des Geistes auf alle

Das dritte, eschatologisch gefärbte Kapitel im Buch Joel enthält die bekannte Verheissung der Ausgiessung des Geistes Gottes über allen Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter und sozialem Status (Joel 3,1–5). Genau das ist es, was der Apostel Petrus in seiner Pfingstpredigt aufnimmt (Apg 2,17–21). Für Lukas erfüllt sich an Pfingsten die alttestamentliche Verheissung. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass gerade auch in der Apostelgeschichte sich eine Entwicklung abzeichnet, die zur Einschränkung des Geistes auf Amtsträger führt (vgl. Apg 6,5 f. und 13,1–3). Um so wichtiger ist es, an dieser Stelle nochmals auf das Alte Testament, genauerhin auf Num 11,26–29, zu rekurrieren: Als sich Mose für seine Führungsaufgabe von Gott eine Entlastung erbittet, ergreift der Geist nicht nur die für diese Aufgabe vorgesehenen und im Heiligtum versammelten 70 Ältesten, sondern auch zwei Männer, die unter dem Volk im Lager geblieben sind. Während Josua über das Geschehene erbost ist, reagiert Mose mit dem Satz: «Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legte» (Num 11,29).

Im Gespräch mit dem Judentum und dem Islam

Die Videoarbeit von Bernie Searle macht in der Zusammenschau mit den erwähnten Bibelstellen anschaulich, wie Geistes-Gegenwart aussehen kann, wie Geist das Leben wandelt und einbindet in ein grösseres Ganzes, das sogar die Grenzen von Konfession und Religion überschreitet. Als Christinnen und Christen sind wir gehalten, an Pfingsten ein Fest zu feiern, das sich auch zu anderen, besonders aber zu den abrahamitischen Religionen hin öffnet.

Zum Judentum hin: Es feiert am 50. Tag nach Pessach Schawuot. Der 50. Tag hiess in der griechischen Welt Pentecoste, was dem Pfingsttag den Namen gab. Es ist das Fest der Gabe des Lebens (zum Abschluss der Getreideernte) und das Fest der Gabe der Tora zur Bewahrung der Freiheit.

Zum Islam hin: Die Lehre von der Trinität ist mit dem absoluten Monotheismus, wie er vor allem im Islam gelebt wird, nicht kompatibel. Es gilt allerdings zu beachten, dass es in der Frühzeit des Islam auf der arabischen Halbinsel Monophysiten mit interessanterweise stark tritheistischen Tendenzen gab. Ihnen galt mit guten Gründen die koranische Kritik in der Formulierung: «Sagt nicht Drei!» (Sure 4,171). Doch die muslimische Theologie steht nichtsdestotrotz vor der Frage, wie sich das ungeschaffene Wort Gottes (im Koran) zum Wesen des Einen Gottes verhält. Vielleicht können auch Muslime in der Rede von einer Geistwirklichkeit Gottes einen Weg erkennen, Gottes präexistentes Wort mit Gottes Wesen zu verbinden (vgl. Literaturhinweis).

<hr />

Literaturhinweis:

Julia Gerth: Der Heilige Geist – Das ist mehr so ein Engel, der hilft Gott. Der Heilige Geist im RU der Grundschule und der Sekundarstufe 1. Göttingen 2011; Muna Tatari / Klaus von Stosch (Hrsg.): Trinität – Anstoss für das islamischchristliche Gespräch. Paderborn 2013.

Urs Winter (Bild: unilu.ch)

Urs Winter

Dr. theol. habil. Urs Winter ist emeritierter Dozent für Altes Testament und Einführung in die Weltreligionen am Religionspädagogischen Institut (RPI) der Theologischen Fakultät der Universität Luzern