Der Papst wird Mensch

Während des Papstgottesdienstes vom 6. Januar 2013, der mit der Bischofsweihe Georg Gänsweins die Absicherung des päpstlichen Privatsekretärs ermöglichte, machte Papst Benedikt XVI. einen erschöpften Eindruck, so dass unwillkürlich der Gedanke aufkam, dass dem stark gealterten Benedikt XVI. ein Rücktritt zu gönnen wäre. Ich schätzte diesen Schritt jedoch als höchst unwahrscheinlich ein, denn zu viele haben kein Interesse an einer Amtsniederlegung, die automatisch mit einem Bedeutungsverlust der Schlüsselpersonen des jeweiligen Pontifikats verbunden ist.

Die Vorahnung wird Wirklichkeit

Als Weihbischof Peter Henrici SJ 2010 in der Zeitschrift «Sonntag» die prophetische These aufwarf, Benedikt XVI. würde noch vor dem 800. Geburtstag von Papst Coelestin V., also vor 2015, zurücktreten, führte dies in rechtskatholischen Kreisen zu Aufruhr. Aber seine Voraussage ist nun Wirklichkeit geworden, und Papst Benedikt XVI. überrascht erneut. Mit der Amtsniederlegung macht Benedikt XVI. deutlich, dass auch der Papst nur ein Mensch ist – ein für die Kirche und die Welt starkes, sympathisches Zeichen. Benedikt XVI. ist nun nach anstrengenden Jahren ein «otium cum dignitate » zu wünschen: ad multos annos! Die Amtsniederlegung ist in mehrerer Hinsicht souverän und singulär: Benedikt XVI. tut diese im Gegensatz zu Coelestin V. im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und ohne Druck von aussen. Dass er den Mut dazu hat, ist nicht selbstverständlich. Eine Hilfe dazu dürften ihm die letzten Jahre Johannes Pauls II. gewesen sein, die auf ihre Art eindrücklich waren, aber deren Wiederholung weder der Kurie noch der Kirche als Ganzer zu gönnen sind.

Die Begründung für den Rücktritt – ein Programm für die Zukunft

Aufhorchen lässt die päpstliche Begründung für die Amtsniederlegung: «Aber die Welt, die sich so schnell verändert, wird heute durch Fragen, die für das Leben des Glaubens von grosser Bedeutung sind, hin- und hergeworfen.» Benedikt XVI. sieht sich wegen der abnehmenden körperlichen und geistigen Kräfte nicht mehr in der Lage, unter dieser Problemstellung seinen päpstlichen Dienst auszuüben. Indirekt aber gibt er mit diesem Satz seinem Nachfolger ein Regierungsprogramm mit: Der neue Papst und die Kirche müssen sich in diese faktische Welt einbringen und Jesus Christus in diesem Umfeld aufleuchten lassen – also nicht Flucht aus der «bösen» Welt, sondern Sendung in die säkulare Welt, in der sich Gott verbirgt.

«Die Häresie der ‹Institutionalitis›»

Wo in der Kirche Handlungsbedarf besteht, ist offensichtlich, und es ist zu hoffen, dass die kirchlichen Amtsträger diesen nüchtern feststellen und dementsprechend handeln. Aber: «Römische Verhältnisse » gibt es nicht nur in «Rom», sondern sind auf allen Ebenen kirchlichen Lebens möglich. Es gilt die Aussage Walter Kardinal Kaspers, dass die Kirche nicht allein auf die Reformen der Institution setzen dürfe: «Wir leiden an der Häresie der Institutionalitis » – nicht nur in Rom, auch bei uns. So ist neben notwendiger «Fremdbesinnung» immer auch die ebenso notwendige «Selbstbesinnung» angesagt – gerade in der Fastenzeit.

 

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.