Der Messias im Judentum – einst und heute

«Das Königreich des Friedens» (1834) des US-amerikanischen Malers Edward Hicks (1780−1849), das auf einer Bibelstelle im Buch Jesaja basiert. (Bild: Wikipedia)

 

Das hebräische Verb «m-sch-ch» bedeutet nichts anderes als salben. Gesalbte waren zunächst die Könige Israels, begonnen mit Saul, danach (noch zu Sauls Lebzeiten) der spätere Dynastiegründer David. Die Vorstellung, dass der Maschiach bzw. Messias einmal zu einem Friedensfürsten werden könnte, verdankt sich vor allem der Vision Jesajas, dass einst, wenn ein Spross aus Isai (dem Vaterhaus Davids, also dessen Dynastie) ausziehen würde, eine Welt des Friedens anbrechen würde, in der sogar der Wolf beim Schafe friedlich liegt (Jes 11,1–10).

Später ist im Judentum die Messiasvorstellung ebenso zentral geworden wie die innere Übereinkunft, dieser Messias sei noch nicht gekommen. Wann immer jüdische Personen für den Messias erklärt wurden, führte dies innerjüdisch zu starken Verwerfungen und teilweise auch Aufspaltungen – sei es zur Zeit Jesu, als sich aus dem Judentum heraus das Christentum bildete, oder dann beispielsweise im 17. Jahrhundert, als sich ein Jude namens Sabbatai Zwi als Messias ausrufen liess und eine beträchtliche Anhängerschaft mobilisierte, bevor er zum Islam zwangsbekehrt wurde. Diese Debatten haben das Judentum auch heute nicht verlassen, gibt es doch eine Fraktion in der sehr wirkungsmächtigen chassidischen Gruppierung Chabad Lubawitsch, die deren letzten «Rebbe», den 1994 verstorbenen Menachem Mendel Schneerson als Messias betrachtet und zum Teil dessen Wiederkunft erwartet.

Eine weitere Frage, die im Judentum vor allem in den vergangenen hundert Jahren an Wichtigkeit gewonnen hat, lautet: Soll man den Messias demütig und passiv erwarten, während sein Kommen ganz in Gottes Hand liegt, oder kann man seine Ankunft aktiv beschleunigen? Letzteres glaubt vor allem ein Teil des heutigen nationalreligiösen Judentums. Für sie ist die Gründung des Staates Israel, zumal nach der Katastrophe der Shoah, ein Zeichen Gottes, dass nach der Vernichtung nun die Erlösung kommen kann – und alles, was diesem Staat zu mehr Kraft verhilft (und dazu gehört für viele auch das Besiedeln des umstrittenen Westjordanlands), bringt den Messias näher. Gewisse Teile der sogenannten Ultraorthodoxie meinen das Gegenteil: Die Erlösung beschleunigen zu wollen, sei das «Hauptverbrechen» der Zionisten gewesen, das schon zur Shoah geführt habe und nur noch zu weiterem Desaster führen könnte.

Der Grossteil der jüdischen Gemeinschaft aber sieht heute wie seit jeher im messianischen Gedanken vor allem eine grosse Hoffnung darauf, dass die Menschheit nicht dem Untergang, sondern einem wirklichen Frieden und einer gerechteren Welt entgegengehe. Und solange dies nicht der Fall ist, bleibt die Aufgabe, das zu tun, was ebenfalls ein zentraler religiöser Begriff des Judentums ist: Tikkun olam – mit den begrenzten, aber vereinten Kräften jedes Menschen daran zu arbeiten, dass die Welt, die wir kennen, eine bessere werde.

Alfred Bodenheimer*

 

* Alfred Bodenheimer (Jg. 1965) ist Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums an der Universität Basel und dort seit 2010 Leiter des Zentrums für Jüdische Studien.