Ich schreibe diese Carte Blanche mitten in meinen Sommerferien. Etwas abseits vom Alltag versuche ich ein wenig abzuschalten und neu aufzutanken. Dazu gehört für mich auch ein Nachdenken über meine Arbeit. Was hat mich beschäftigt, wie habe ich mich verhalten, wie sieht eine ehrliche Bilanz meiner Arbeit aus. Dabei wird mir bewusst, wie sehr auch meine Arbeit, mein Alltag von den Diskussionen über die Lage der Kirche geprägt ist. Die Kirche ist auf der Suche nach einem Weg in die Zukunft und ich selber soll in meiner Funktion zu dieser Diskussion einen Beitrag leisten. Dabei will ich nicht nur mitdiskutieren, sondern da, wo es möglich ist und in meiner Kompetenz steht, Veränderungen in Gang bringen.
Mir fällt dabei oft die Apostelgeschichte ein. Erzählt wird darin vom Alltag der ersten Christen, von ihren Erlebnissen und ihren Fragen, von Erfolgen und Misserfolgen, kurz von dem, was diese Menschen wirklich beschäftigt hat. Da lesen wir manchmal ganz Erstaunliches. Geschildert wird, wie diese Menschen mit Konflikten umgegangen und wie sie zu Entscheidungen gekommen sind. Verschiedene Einflussgruppen haben sich gebildet: um Petrus herum, der die Gemeinde in Jerusalem geprägt hat, oder um Paulus herum, der zum Leitungsteam der Gemeinde in Antiochia gehörte. Ihre Gemeinden machten unterschiedliche Erfahrungen und es dauerte nicht lange, bis sich erste wesentliche Unterschiede in ihren Zielsetzungen ergaben. Spannungen traten an den Tag zwischen jenen, welche eine stärkere Unabhängigkeit vom jüdischen Gesetz forderten und jenen, die sich streng an die jüdische Tradition halten wollten. Zur Lösung des Konflikts reiste eine Delegation der führenden Leute aus Antiochia nach Jerusalem, wo es zu einem Treffen kam, das als Apostelkonzil in die Geschichte einging.
Die Teilnehmenden an diesem Treffen setzten sich an den Tisch und legten ihre Sichtweisen und ihre Überzeugungen dar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihre Diskussionen in einer harmonischen Art und Weise verlaufen sind. Petrus und Paulus werden ihre Argumente vorgebracht haben. Beide wollten dem Reich Gottes zum Durchbruch verhelfen, sie wollten die Lehre, die sie auf ganz unterschiedliche Weise mitbekommen hatten, an alle Menschen guten Willens weitergeben. Es war ein Ringen um gute Ergebnisse und ein Suchen nach Kompromissen. Das Resultat des Treffens zeugt vom Erfolg der Gespräche. Ganz unverblümt schreibt der Autor der Apostelgeschichte: «Der Heilige Geist und wir haben beschlossen!» (Apg 15,28) Den klugen Köpfen war klar geworden, dass nicht das Gesetz rettet, sondern die Gnade. Sie machten einen Unterschied zwischen ewiger Wahrheit und pragmatischen Lösungen für den Alltag ihrer Gemeinschaften.
Seit diesem ersten Treffen von Verantwortlichen in einer kirchlichen Gemeinschaft geht das Suchen nach gangbaren Wegen weiter. Die Botschaft des Lebens, die Lehre des Auferstandenen soll authentisch, unverändert überliefert werden. Der Inhalt des Glaubens steht nicht zur Diskussion. Die Art und Weise aber, wie wir den Glauben im Alltag leben, welche Formen wir brauchen, um ihn auszudrücken, darf immer wieder neu überdacht werden. Die Kirche bleibt dann glaubwürdig und lebendig, wenn sie sich dem Menschen zuwendet und im Hören auf den Heiligen Geist Wege in die Zukunft sucht und findet. Wie gut wäre es, wenn wir auch heute sagen könnten: Der Heilige Geist und wir!
Richard Lehner