Das Erste und Wesentliche, was auch die Frömmigkeit von morgen bestimmen muß, ist das persönliche unmittelbare Gottesverhältnis. Das ist eine Binsenwahrheit, weil sie nur sagt, was das ewige Wesen der christlichen Frömmigkeit ausmacht. Und doch ist es heute alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir leben in einer Zeit, die vom fernen, schweigenden Gott redet [...]. Wenn einer es heute fertig bringt, mit diesem unbegreiflichen, schweigenden Gott zu leben, den Mut immer wieder neu findet, ihn anzureden, in seine Finsternis glaubend, vertrauend und gelassen hineinzureden, obwohl scheinbar keine Antwort kommt als das hohle Echo der eigenen Stimme, wenn einer immer wieder den Ausgang seines Daseins freiräumt in die Unbegreiflichkeit Gottes hinein, obwohl er immer wieder zugeschüttet zu werden scheint durch die unmittelbar erfahrbare Wirklichkeit der Welt, ihrer aktiv zu meisternden Aufgabe und Not und ihrer immer noch sich weitenden Schönheit und Herrlichkeit, wenn er dies fertig bringt ohne die Stütze der «öffentlichen Meinung» und Sitte, wenn er diese Aufgabe als Verantwortung seines Lebens in immer erneuter Tat annimmt und nicht als gelegentlich religiöse Anwandlung, dann ist er heute ein Frommer, ein Christ. [...]
Um in diesem Sinn der kargen Frömmigkeit den Mut eines unmittelbaren Verhältnisses zum unsagbaren Gott zu haben und auch den Mut, dessen schweigende Selbstmitteilung als das wahre Geheimnis des eigenen Daseins anzunehmen, dazu bedarf es freilich mehr als einer rationalen Stellungnahme zur theoretischen Gottesfrage und einer bloß doktrinären Entgegennahme der christlichen Lehre. Es bedarf einer Mystagogie in die religiöse Erfahrung, von der ja viele meinen, sie könnten sie nicht in sich entdecken, einer Mystagogie, die so vermittelt werden muss, dass einer sein eigener Mystagoge werden kann. Solange jemand die selbstverständliche Unentrinnbarkeit der Verwiesenheit seines um sich wissenden und sich selbst aufgebürdeten Daseins auf das absolute Geheimnis, das wir «Gott» nennen und das sich uns selbst mitteilt, nicht ergriffen hat, hat er noch nicht einmal den Anfang dieser Mystagogie verstanden. [...]
Nur um deutlich zu machen, was gemeint ist, und im Wissen um die Belastung des Begriffs «Mystik» (der recht verstanden, kein Gegensatz zu einem Glauben im Heiligen Pneuma ist, sondern dasselbe) könnte man sagen: Der Fromme von morgen wird ein «Mystiker» sein, einer, der etwas «erfahren» hat, oder er wird nicht mehr sein. [...]
Solche Mystagogie muss uns konkret lehren, es auszuhalten, diesem Gott nahe zu sein, zu ihm «Du» zu sagen, sich hineinzuwagen in seine schweigende Finsternis, nicht sich zu ängstigen, man könne ihn gerade dadurch verlieren, indem man ihn beim Namen nennt.
Karl Rahner*