Der Bischof – ein Einzelgänger?

Die Macht, die sich auf einen Bischof konzentriert, kann mitunter zu Einsamkeit führen. Weihbischof Alain de Raemy hätte da eine Idee ...

Heute, wo Missbrauch und Vertuschung endlich ans Licht kommen können, werden gewisse Gewohnheiten der Machtausübung sehr stark infrage gestellt. Zu Recht. Erstaunlich ist aber, wie frisch das Evangelium wieder einmal ertönt. Auch in dieser Hinsicht. Jesus drückt sich ganz klar aus! In Mt 20,25–28 wird die Art und Weise der Ausübung der Macht unter Menschen allgemein, in Staat und Gesellschaft sehr kritisch beleuchtet. Daraus ergibt sich heute in der Kirche die andere Frage, ob nicht auch zu viel der Macht alleine beim Bischof sei. Man kann die Frage aber noch umkehren: Ob es gut sei, nicht nur so vieles «alleine beim Bischof» walten zu lassen, sondern auch noch «beim Bischof allein». Mit Letzterem meine ich nicht die eigenständige und unabhängige Geschäftsführung des Bischofs, was ich mit dem Ausdruck «alleine beim Bischof» bezeichnet habe. Mit dem Ausdruck «beim Bischof allein» ist das Alleinsein in der Lebensführung des Bischofs gemeint, und somit eine Macht, die beim Bischof als alleinstehendem Menschen, als einsamer Person, auch Konsequenzen haben kann.

Zu Zeiten des heiligen Augustinus wollten einige Bischöfe unbedingt in Gemeinschaft wohnen. Der Bischof wollte nicht alleine bleiben. Er wollte Mitbrüder haben, die seine Sorgen teilen und diese auch im Gebet mittragen. Wir erleben eine Zeit, die mit den gesellschaftlichen Zuständen des frühen Christentums gemeinsame Züge aufweist. Immer mehr wird die Kirche in unserer Gesellschaft quasi als Fremdkörper empfunden. Sie ist ins Private gerutscht. Sie hat nicht mehr unbedingt ein öffentliches, anerkanntes oder zumindest erwartetes Mitspracherecht. Der Bischof (wie der Priester, aber auch die Theologin und der Theologe) gehört nicht mehr zum allgemein anerkannten gesellschaftlichen Gut. Er steht alleine da.

Deswegen halte ich es für sinnvoll, die Gefahr einer dem Evangelium widersprechenden Einsamkeit des Bischofs zu hinterfragen. Alles soll weder «alleine beim Bischof» hängen noch «beim Bischof alleine» hängen bleiben. So frage ich mich: Wie soll ich Bischof sein? Oder besser gesagt: Wie soll ich leben?

Ich träume von einem Leben in Gemeinschaft, wo der Bischof Mitmensch, Mitchrist, einfach Freund in geteilter Lebensfreude am Evangelium sein kann. Ist es denn nicht Gold wert, wenn ich zu Hause die Freuden und Sorgen von und mit Schwestern und Brüdern teilen kann? Wenn ich in Freundschaft und Vertrauen alles besprechen kann, und die heilige Messe in Gemeinschaft gefeiert wird? Man kann sehr schöne Theorien und Pastoralpläne zur Förderung einer synodalen und geschwisterlichen Kirche auf dem Schreibtisch erarbeiten. Niemals werde ich aber selbst zum synodalen und geschwisterlichen Menschen, wenn ich im privaten, alltäglichen Leben nur mir selbst gegenüberstehe und somit nur mich selbst erlebe.

Als ich zum ersten Mal Pfarrer wurde und diese Verantwortung alleine tragen musste, habe ich zwei mit mir befreundete Ehepaare sowie eine ledige Frau zu meinem privaten Rat erklärt. Heute noch treffe ich sie regelmässig. Ein Segen! Ersetzen kann das aber die erlebte, alltägliche Gemeinschaft unter einem Dach niemals. Diese ist eine Herausforderung, die uns aus einer egozentrischen Ausübung des bischöflichen Dienstes hinausführen kann. So ist schon ein kleiner, aber wesentlicher Beitrag zur Frage der Macht in der Kirche geleistet. Denn wer daheim sich selber sein kann, im Spiegel des freundschaftlichen Gegenübers und im Teilen derselben christlichen Hoffnung, der wird nicht nur ein besserer Bischof für alle, sondern auch untrennbar Vater und Freund, ein geschwisterliches Kind Gottes mit allen sein.

+ Alain de Raemy, Weihbischof von Lausanne, Genf und Freiburg


Alain de Raemy

Alain de Raemy (Jg. 1959) studierte Philosophie und Theologie in Freiburg i. Ü. Am 25. Oktober 1986 wurde er in Freiburg zum Priester geweiht. Nachdem er von 1986 bis 1988 Vikar in der Pfarrei Saint-Pierre in Yverdon und von 1988 bis 1993 Pfarrer in solidum in Lausanne gewesen war, setzte er seine theologischen Studien an der Gregoriana und dem Angelicum fort. Von 1995 bis 2006 war er wieder in der Pfarreiseelsorge im Bistum Lausanne-Genf-Freiburg tätig. Am 1. September 2006 wurde er Kaplan der Päpstlichen Schweizergarde im Vatikan. 2013 ernannte ihn Papst Franziskus zum Weihbischof der Diözese Lausanne-Genf-Freiburg und am 10. Oktober 2022 zum Apostolischen Administrator der Diö-zese Lugano.

 

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