Dem Menschen fehlt die Kenntnis

Gegen die gute Schöpfungsordnung in Gen 1 erhebt das Ijobbuch existenziellen Einspruch. Ijob klagt Gott an, die Schöpfung im Chaos versinken zu lassen. Gott lädt ihn ein, ihm vorbehaltlos zu vertrauen.

«Und siehe, es war gut» (Gen 1,4.10.12 usw.) bzw. sogar «sehr gut» (Gen 1,31). Die in Gen 1 wie ein Refrain siebenfach wiederholte Aussage über die gute Schöpfung bringt den Kern der alttestamentlichen Schöpfungstheologie zum Ausdruck. Bereits im ersten Kapitel des ersten Buches des biblischen Kanons scheint damit alles Wesentliche gesagt zu sein, was uns die Heilige Schrift bezüglich des von Gott geschaffenen Kosmos und der in ihm angelegten Ordnung zu berichten hat. Die Weisheitsliteratur und besonders das Buch Ijob erhebt aber Einspruch gegen eine solche Sichtweise. Spricht Gott in Gen 1,3 «es werde Licht», so hält Ijob entgegen «es werde Dunkelheit» (Ijob 3,4). Der Gegensatz ist vermutlich nicht zufällig, sondern intendiert.

Ist die Schöpfung wirklich gut?

In der Eingangsklage (Ijob 3) stellt der leidgeprüfte Ijob infrage, ob die Schöpfung wirklich gut oder sogar sehr gut sei. Zumindest für ihn selbst stellt sich die Situation gegenteilig dar. Durch Naturgewalten (Wind und Feuer) und Räuberhorden hat er seinen ganzen Besitz verloren, seine Kinder sind ums Leben gekommen, und schliesslich ist er von schwerer Krankheit heimgesucht worden. Entsprechend heftig bricht die Klage aus ihm heraus:

Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, 
die Nacht, die sprach: Ein Knabe ist empfangen.
Jener Tag werde Finsternis, nie frage Gott von oben nach ihm, 
nicht leuchte über ihm des Tages Licht. (Ijob 3,3 f)

Entgegen der geläufigen Auslegungstradition, die das Ijobbuch in den Horizont der Theodizeefrage stellt, zeigt sich hier, dass es in dem Buch nicht allein um die Frage nach Gottes Gerechtigkeit angesichts des menschlichen Leidens geht, sondern auch und vor allem um die Schöpfungsordnung und damit um die Dichotomie von Ordnung und Chaos, die in den altorientalischen Schöpfungsmythen von zentraler Bedeutung ist. Ijobs Vorwurf an den Schöpfer in Ijob 3 (und in 9,5–24) lautet denn auch, dass dieser aufgehört habe, die Ordnung in der Welt aufrecht zu erhalten und den Kosmos stattdessen in das uranfängliche Chaos zurückfallen lasse. In einer solch chaotischen Welt aber wäre es – so Ijob – besser, gar nicht geboren zu sein (3,3–10), wäre der Tod besser als das Leben (3,11–26).

Das Geheimnis der Schöpfung

Wer nun aber ausgehend von dieser Problemstellung eine Antwort im Sinne einer Bekräftigung der Aussagen über die gute Schöpfung aus Gen 1 erwartet, wird enttäuscht. Die Antwort, die das Ijobbuch liefert, besteht ihrerseits in einer Infragestellung der Sichtweise Ijobs – genauer: seines Erkenntnisanspruchs –, und sie erfolgt in zwei Etappen, nämlich im Lied über die Weisheit (Ijob 28) und in den Gottesreden (Ijob 38–41).
Das Lied in Ijob 28 gehört formal zu den Reden Ijobs, inhaltlich präsentiert es sich aber als eigenständiger Text, als eine Art Interludium in der Buchmitte. Das Leitthema bildet die in der Form eines Refrains wiederholte Frage nach dem Fundort der Weisheit:

Die Weisheit aber, wo ist sie zu finden,
und wo ist der Ort der Einsicht? (Ijob 28,12.20)

Dass es bei der gesuchten Weisheit und Einsicht um die göttliche Schöpfungsordnung geht, klingt im ganzen Lied an und kommt im Schlussteil der dritten und letzten Strophe deutlich zur Sprache, wenn von den Grenzen und Massen die Rede ist, die Gott den Elementen des Kosmos (Wind, Wasser, Wetterphänomene) bestimmt hat (Ijob 28,25–27). Die Antwort auf die Leitfrage des Liedes fällt allerdings negativ aus: Wohl dringt der Mensch im Bergbau tief ins Erdinnere vor, um kostbare Metalle zu gewinnen (28,1–11), zu einem Ort, wo die Weisheit zu finden wäre, kann er aber nicht gelangen. Die Schöpfungsordnung bleibt vielmehr «verhüllt vor den Augen aller Lebenden» (28,21). Nur Gott allein verfügt über umfassende Kenntnis der kosmischen Ordnung, dem Menschen bleibt allein das vorbehaltlose Vertrauen in den Schöpfer, das im Schlussvers im Begriff der Gottesfurcht zum Ausdruck kommt (28,28).
Auf Ijobs Vorwurf, Gott habe seine Schöpfung im Stich gelassen und die Welt dem Chaos anheimgegeben, erwidert das Lied über die Weisheit also indirekt damit, dass es dem Menschen – und damit auch Ijob – die Erkenntnisfähigkeit bezüglich der von Gott geschaffenen Ordnung in der Welt abspricht. Es fehlt Ijob die Grundlage für die in Ijob 3 erhobene Anklage Gottes, da er die Weltordnung, deren Versagen er Gott anlastet, gar nicht zu erkennen vermag.1
Noch deutlicher erfolgt die Zurückweisung von Ijobs Vorwurf in der ersten Antwort Gottes an Ijob (Ijob 38–39). Bereits der erste Vers birgt eine scharfe Zurechtweisung Ijobs:

Wer ist es, der den Ratschluss verdunkelt mit Gerede ohne Einsicht? (Ijob 38,2)

Die Bedeutung des Wortes Ratschluss deckt sich hier weitgehend mit dem, was in Ijob 28 mit dem Begriff Weisheit bezeichnet wird. Gottes Erwiderung stellt klar, dass Ijob Gottes Schöpfungsplan in seiner Eingangsklage (Ijob 3) zu Unrecht «verdunkelt» hat, denn seine Worte waren «ohne Einsicht». Die anschliessenden rund vierzig rhetorischen Fragen und Aufforderungen verdeutlichen, dass Ijob die kognitiven Fähigkeiten fehlen, die göttliche Schöpfungsordnung (den «Ratschluss») zu verstehen und ironisieren Ijobs Anmassung, Gottes Weltordnung nach seinen eigenen Massstäben beurteilen zu wollen:

Wo warst du, als ich die Erde gründete? 
Sag es denn, wenn du Bescheid weisst! (Ijob 38,4)

Die Infragestellung der Erkenntnisfähigkeit zielt hierbei nicht nur auf Ijob und dessen Vorwürfe, sondern hintergründig auch auf den Schöpfungsbericht in Gen 1. Der Mensch kann gemäss dem Ijobbuch wohl Spuren der ordnenden Hand Gottes im Geschaffenen erahnen, aber daraus keinen Anspruch ableiten, die tiefsten und innersten Absichten Gottes für die Welt zu verstehen oder Gottes ordnendes und richtendes Wirken im Einzelfall – etwa in Bezug zu Ijobs tragischem Schicksal – klar und eindeutig zu erkennen. Gegen eine usurpatorische Theologie, wie sie Ijobs Freunde vertreten, bringt damit die erste Gottesrede – in den Begriffen von Eckhard Nordhofen gesprochen2 – eine privative Theologie in Anschlag, die der Alterität Gottes Rechnung trägt und damit auch die Affirmationen von Gen 1 unter den Vorbehalt der epistemologischen Begrenztheit theologischer Aussagen stellt.

Die Schönheit der Schöpfung

Die Gottesreden verbleiben aber nicht im Modus des Vorbehalts. In der zweiten Hälfte der ersten Gottesrede (Ijob 38,39–39,30) werden zehn Tierarten beschrieben. Zurecht hat Othmar Keel hier das Bildmotiv des «Herrn der Tiere» als Hintergrund geltend gemacht.3 Das vor allem auf Rollsiegeln und Skarabäen vorkommende Motiv zeigt eine Gottheit, die als anthropomorphe Figur in der Bildmitte erscheint und zwei flankierende Wildtiere mit den Händen festhält. Die Bildsymbolik bringt die Dominanz der abgebildeten Gottheit über die chaotischen Bereiche und Mächte in der Welt zum Ausdruck. Die in der Gottesrede genannten Tierarten stimmen nun zwar weitgehend mit jenen überein, die in den bildlichen Darstellungen vom «Herrn der Tiere» auftreten, da es sich meist um Wildtiere (Löwe, Rabe, Wildesel, Strauss usw.) handelt. Im Unterschied zu dem Bildmotiv hebt der Bibeltext aber nicht auf die Bändigung und Kontrolle der beschriebenen Tiere ab, sondern kreist um Gottes Sorge für sie, wie etwa in dem Vers über den Raben sichtbar wird:

Wer bereitet dem Raben seine Nahrung, 
wenn seine Jungen schreien zu Gott und umherirren ohne Futter? (Ijob 38,41)

Über die Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit hinaus enthält damit die erste Gottesrede eine Zusage Gottes für seine Geschöpfe: Zwar ist Gottes Plan für die Welt, die von ihm gegründete Ordnung des Kosmos, für den Menschen nicht bis ins Letzte ergründbar, dennoch verliert sich das menschliche Dasein nicht im Mysterium, das ihn umgibt, sondern darf sich von Gott gehalten wissen.
In eine ähnliche Richtung weist auch die zweite Gottesrede (Ijob 40,6–41,26), die von Behemot (Nilpferd) und Leviatan (Krokodil) handelt. Der bewundernde und anerkennende Ton der Gottesrede lässt Gottes Gefallen an seinen Geschöpfen hörbar werden und verweist dadurch auf die Schönheit des Geschaffenen. Die zweifache Aufforderung zum Hinschauen, die den Abschnitt über Behemot eröffnet (40,15f), erscheint dabei als Einladung, dem wertschätzenden Blick Gottes auf seine Geschöpfe zu folgen. Angesichts der gegenwärtigen ökologischen Herausforderungen, die alle bisherigen menschheitsgeschichtlichen Bedrohungslagen in den Schatten stellen, spricht diese Einladung unmittelbar in unsere Zeit hinein.

Tobias Häner

 

 

1 Mit Ludger Schwienhorst-Schönberger (Ein Weg durch das Leid. Das Buch Ijob, Freiburg i.Br. 2007, 223–225) kann hier von einem «befreienden Nichtwissen» gesprochen werden.

2 Nordhofen, Eckhard, Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus, Freiburg i.Br. 2018, 15–24.

3 Keel, Othmar, Jahwes Entgegnung an Ijob. Eine Deutung von Ijob 38–41 vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Bildkunst, Göttingen 1978.

 


Tobias Haener

Prof. Dr. Tobias Häner (Jg. 1978) studierte in Luzern und Jerusalem Theologie und promovierte 2013 in Augsburg. Er habilitierte sich an der Universität in Wien. Seit 2003 ist er Professor für Einleitung und Exegese des Alten Testaments und Dialog mit den Kulturen des Vorderen Orients an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie.

 

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