Das eine Kind - und die vielen Kinder von Bethlehem

50 Jahre Weihnachtskollekte für das Kinderspital in Bethlehem

Seit genau 50 Jahren wird das Mitternachtsopfer für das Caritas-Baby-Hospital in Bethlehem aufgenommen. Dieser jährliche Beitrag stellt für das Spital eine markante und unverzichtbare finanzielle Unterstützung dar und hat diese wichtige Institution über fünf Jahrzehnte in der ganzen Schweiz bekannt gemacht. Das von den Bischöfen der Schweiz unterstützte Opfer verbindet Jahr für Jahr die Feier des Weihnachtsfestes hier mit den heutigen Kindern von Bethlehem. Es ruft diese Verbindung Jahr für Jahr in Erinnerung und hat sie wachsen lassen.

Weihnachten 1964

Das Mitternachtsopfer ist in den Diözesen Chur, Basel und St. Gallen erstmals an Weihnachten 1964 aufgenommen worden. Jeder Bischof wandte sich damals mit einer eigenen Empfehlung an seine Pfarrer. Bischof Johannes Vonderach von Chur schrieb 1964 in seiner «Bischöflichen Empfehlung»: «Allen Spendern erflehen wir den Segen des göttlichen Kindes, in dessen Namen so vielen armen Kindern des Hl. Landes geholfen werden soll.» Bischof Josephus Hasler von St. Gallen erinnerte an seinen Besuch in Bethlehem: «Es war mir vergönnt, das alte Kinderspital in Bethlehem zu sehen und mich zu überzeugen, dass ein Neubau notwendig ist. Ich empfehle deshalb das Caritas-Kinderspital dem Wohlwollen der Pfarrherren.» Diesem Anliegen schloss sich auch Franziskus von Streng, der Bischof von Basel in Solothurn, an. Von Rom aus empfahl er «die in der Weihnachts-Mitternachtsmesse aufzunehmende Kollekte zu Gunsten des Baues des Kinderspitals in Bethlehem». «Es leiden vor allem die unschuldigen Kinder», hielt er in seiner Empfehlung fest.

Die Not der Kinder im Blick

Schon die Anfänge des Einsatzes in Palästina – das war 1949, als im Gefolge des ersten israelisch-arabischen Krieges Hunderttausende zu Flüchtlingen wurden – waren geprägt von der Sorge um die hungernden, kranken und obdachlosen Kinder. Die damalige Caritas-Zentrale in Luzern hatte noch unter Direktor Dr. Giuseppe Crivelli eine junge Mitarbeiterin, die aus dem Entlebuch stammende Hedwig Vetter, in den Nahen Osten entsandt. Sie sollte die Situation erkunden – und hat sogleich gehandelt. In Absprache mit der Zentrale hat sie Nahrung, Wolldecken und Zelte für die Flüchtlinge in den Lagern um Bethlehem organisiert und verteilt. Zusammen mit einem einheimischen Arzt verschaffte sie unterernährten und schwerkranken Kleinkindern Bettchen und Unterkunft. Aus dieser Arbeit heraus ist dann das Caritas-Baby-Hospital entstanden. Für dieses Werk haben sich ab 1951/52 der Sallettinerpater Ernst Schnydrig und ab 1954 auch Caritas-Direktor Albert Studer-Auer mit allen Kräften eingesetzt. Schnydrig, ein Teilzeitmitarbeiter der Schweizer Caritas, wechselte 1952 zum Deutschen Caritas-Verband. Doch da hatte sein Herz bereits für «das Kinderspital» zu schlagen begonnen. Er wurde zum äusserst aktiven, geschickten und unermüdlichen Promotor des Werkes. Die beiden Caritas-Verbände liessen ihn gewähren, hielten sich in der Trägerschaft des Hospitals aber sehr zurück. Während mehr als zehn Jahren trug Schnydrig – unterstützt von Freunden, einzelnen Pfarreien und Frauenverbänden – die Last und die Sorge um die Finanzierung des Werkes.

Basis für eine tragfähige Finanzierung

Erst 1963 wurde für das Kinderspital eine eigene Trägerschaft mit dem Namen «Verein Caritas-Kinderhilfswerk Bethlehem» (VCKB) gegründet. Damit wurde auch die Basis geschaffen, um an eine langfristige und tragfähige Finanzierung des Werkes zu denken. Und eben da kam dann dem Mitternachtsopfer eine immense Bedeutung zu. Der erste Brief des neu gegründeten Vereins an die katholischen Pfarrämter war unterzeichnet von Dompropst und Generalvikar Dr. Gustav Lisibach (Solothurn) und von Albert Studer-Auer als «Geschäftsführer» des Kinderhilfswerks. In der Person des Caritas-Direktors kam eine personelle Überschneidung mit der Kinderhilfe zum Ausdruck, wie sie auch noch bei seinem Nachfolger, Msgr. Peter Kuhn, andauerte.

Einer breiten Öffentlichkeit war es unter diesen Umständen fast nicht zu vermitteln, dass die nun als eigener Verein statuierte Kinderhilfe nicht identisch war mit dem Caritasverband und dass das Kinderspital nicht eine Einrichtung der Schweizer Caritas oder des Deutschen Caritas-Verbandes war. Beide Verbände blieben Mitglieder des Vereins und sind auch bis heute im Vorstand der Kinderhilfe vertreten. Der Trägerverein modifizierte später seinen Namen und nannte sich ab 1985 «Kinderhilfe Bethlehem» (KHB).

Nachdem die drei Diözesen Chur, St. Gallen und Basel mit dem Mitternachtsopfer einen Anfang gemacht hatten, stiessen in den folgenden Jahren auch die Diözesen Sitten, Lausanne-Genf-Freiburg und die Territorialabtei St-Maurice dazu. Die Diözese Lugano zog auch nach. Zuerst stand die Finanzierung des «Neubaus» im Zentrum. Es war das Ziel der Kinderhilfe Bethlehem, die medizinischen und sozialen Verhältnisse der ungezählten Flüchtlingskinder, aber auch der einheimischen, ortsansässigen Bevölkerung zu verbessern. Das «Mitternachtsopfer 1964 für die Hungerkinder von Bethlehem» ergab «nahezu Franken 200 000.–», schrieb die Kinderhilfe im März 1965 an die Pfarrämter.

Warum gerade in Bethlehem

Das Mitternachtsopfer erfuhr einen ungeahnten Aufschwung. Von Jahr zu Jahr verstärkten die Schweizer Katholiken ihre Unterstützung «für die Kinder von Bethlehem». Was schon Hedwig Vetter Jahre zuvor angesprochen hatte, erfuhr jetzt die Bestätigung. Schon 1949 hatte sie geschrieben: «Auch Jerusalem, Jericho und andere Orte rufen um Hilfe. Aber machen wir doch unseren winzigen Anfang im Zentrum der Welt; nicht Europa ist das Zentrum der Welt, sondern der Ort, an dem unser Erlöser seine Krippe und gleichsam die Wiege unserer Religion hingestellt hat: Bethlehem.» Jahrzehnte später wird dieses Motiv noch immer anklingen, wenn die Kinderhilfe Bethlehem davon spricht, dass uns noch heute in den Kindern von Bethlehem das eine Kind von Bethlehem begegnet. Der wachsende Spendenertrag der Weihnachtskollekte in den ersten Jahren weckte natürlich auch jene kreativen Kräfte, die versuchten, bei den Bischöfen für eine «Umnutzung» des Mitternachtsopfers Stimmung zu machen. Es versteht sich, dass solche Bemühungen zu reden gaben. Letztendlich aber blieben die Bischöfe bei ihren Empfehlungen. Statt dass jeder Bischof für seine Diözese eine eigene Empfehlung abgab, wurde später ein von Jahr zu Jahr neu gefasster Appell von allen Bischöfen unterzeichnet.

Einheimische Fachkräfte in Leitungsaufgaben

Der Gesamtaufwand für das Spital beträgt heute 9,6 Mio. Franken, und das bei einem markant ausgebauten Leistungsauftrag, bei ungleich grösseren Frequenzen und bei Bauten und Infrastruktur, die sich mit den Standards von 1978/79 nicht mehr vergleichen lassen. Aus dem Jahr 1978 stammen übrigens die ältesten Teile des heute neu ausgebauten Hauses. Dieser 1978 in Betrieb genommene Bau war das Werk vieler Kräfte aus der Schweiz und aus Deutschland. Motor des Neubaus und Seele zugleich war bis zu diesem Zeitpunkt der unermüdliche Ernst Schnydrig. Wenige Tage vor der Einweihung des Spitals verstarb er in Freiburg i. Br. nach einem Herzanfall.

Die Kinderhilfe Bethlehem weiss um die sozialen und politischen Hintergründe, die verhindern, dass das Spital selbsttragend geführt werden kann. Sie weiss, dass das Zusammenwirken von ausländischer Trägerschaft und einheimischem Management an diesem Ort zu einem Garanten des Werkes geworden ist. Schritt für Schritt sind in den letzten Jahren in den verschiedenen Leitungsaufgaben einheimische Fachkräfte eingesetzt worden.

Die Schweizer Bischöfe haben mit der Weihnachtskollekte die Verbundenheit der Schweizer Katholiken mit den Kindern von Bethlehem zweifelsohne gestärkt. Sie haben damit auch dem vergleichsweise «kleinen» Hilfswerk ihre andauernde Beachtung geschenkt. Ein weiterer Beleg für die Anteilnahme der Bischöfe am Grundanliegen der Kinderhilfe Bethlehem ist auch darin zu sehen, dass sämtliche Schweizer Diözesen Mitglieder des Vereins Kinderhilfe Bethlehem sind. Als Mitglieder der Trägerschaft werden sie in qualifizierter Weise über die Aktivitäten der Kinderhilfe informiert. Sie sprechen mit und tragen auch die Entscheidungen mit. Die Diözesen sind bei der Kinderhilfe durch Delegierte vertreten. Ein Ausdruck dieser engen Zusammenarbeit ist es auch, dass derzeit der Solothurner Ehrendomherr Paul Rutz als Präsident der Kinderhilfe Bethlehem wirkt.

Von den Weihnachtsengeln zu den Weihnachtsherzen

Eine der ersten Aktionen zur Finanzierung der Arbeit in Bethlehem zugunsten der hungernden und kranken Flüchtlingskinder war die erstmals 1951 in der Vorweihnachtszeit durchgeführte Aktion zum Verkauf von Schokolade-Engeln zugunsten des medizinisch noch sehr schwach ausgestatteten «Hospitals». Es war ursprünglich eine im Schoss der Caritas angestossene Aktion, die dann bald von der schweizerischen Blauringzentrale organisiert und durchgeführt wurde. Die Blauring-Schar von Sursee, angespornt von ihrem Präses Vierherr Andreas Hofer, war schon damals eine der aktivsten Scharen. Und sie blieb es über Jahre hin.

Als dann im Jahr 1969 die Caritas eine eigene Dezembersammlung ins Leben rief, wurde der Kinderhilfe mitgeteilt, dass der Schokolade-Verkauf nicht mehr stattfinden könne. Der Vorstand des VCKB (so hiess der Trägerverein des Kinderspitals zu dieser Zeit) und sein Mitglied Vierherr Andreas Hofer wurden umgehend aktiv. Der Vorstand stellte fest, dass es jedem Mitglied laut den Vereinsstatuten freigestellt war, eigene Aktionen durchzuführen. Andreas Hofer stimmte zu, die «Engel-Aktion» mit dem Blauring Sursee durchzuführen. So wurden also ab 1969 von Sursee aus zahlreiche Blauring-Scharen und mit der Zeit auch weitere kirchliche Schülerorganisationen vorab in der deutschsprachigen Schweiz mit den Schokoladen-Engeln bedient. Jahr für Jahr wurden so durch ungezählte ehrenamtliche Arbeitsstunden 60 000, 70 000, ja 80 000 Franken pro Jahr als «Reinerlös» an die Kinderhilfe überwiesen. Mit nicht erlahmendem Eifer haben Andreas Hofer und seine Blauring-Führerinnen die Aktion vorbereitet, Bestellungen entgegengenommen und Schokolade-Engel verschickt, Rechnungen gestellt und das Inkasso betreut. Kaum war an Weihnachten eine Aktion abgeschlossen, galt es, die Vorbereitung für das kommende Jahr an die Hand zu nehmen.

Eine Zäsur war das Jahr 1985. In diesem Jahr verstarb Vierherr Andreas Hofer. Die Blauring-Führerinnen blieben den Kindern von Bethlehem verbunden, bildeten ein eigenes OK und «machten weiter». Sie mussten allerding die Lieferfirma der «Engel» wechseln und verkauften nun ab 1985 «Schokolade- Herzen». Die Aktion lief jetzt unter dem Titel «Ein Herz für die Kinder von Bethlehem». Im Jahr 1990 ergab sich erstmals ein Reinerlös von über 100 000 Franken – und das bei gleichbleibendem Grundpreis von einem Franken pro «Herzli». 1993 hat der damalige Surseer Pfarrer Jakob Zemp im Pfarreiblatt eine «herzliche Gratulation und ein Dankeschön» ausgesprochen: «Ich möchte den ehemaligen Blauringführerinnen und den freiwilligen Helferinnen zu ihrem 25-Jahre-Jubiläum ganz herzlich gratulieren und ihnen für die immense und ehrenamtliche Arbeit ganz herzlich danken. Ich möchte allen jenen danken, die ihre Kräfte und ihre Freizeit den kranken Kindern und Müttern in Bethlehem, dem Geburtsort von Jesus, verschenkt haben und weiterhin verschenken werden.» Diese Worte darf man heute wiederholen – noch immer gibt es dieses «OK» – und diesem Dank schliesst sich die Kinderhilfe Bethlehem gerne an. Mit den Worten von Ehrendomherr Paul Rutz, Präsident der Kinderhilfe Bethlehem: «Kinder und Jugendliche in der Schweiz setzen sich Jahr für Jahr für kranke, benachteiligte, arme Kinder in Bethlehem und Umgebung ein. Die Kinderhilfe Bethlehem dankt allen für diesen grossherzigen Einsatz. Dazu zählen viele Erwachsene, viele Seelsorgerinnen und Seelsorger, die Leiterinnen und Leiter von Schüler-und Jugendgruppen – und nicht zuletzt alle die Kinder und Jugendlichen, die mit ihren Herzen zu den Kindern von Bethlehem und auch zur Krippe unterwegs sind.»

 

Klaus Röllin

Klaus Röllin war von 1993 bis 2004 Geschäftsführer der Kinderhilfe Bethlehem.