«Christus ist auferstanden»

Grenzend sprengend! (Foto: Jean-Marie Duvoisin)

Christus ist auferstanden – er ist wahrhaft auferstanden!" Das Grosse, das wir an Ostern feiern, ist ganz unscheinbar geschehen. In der grossen Einsiedler Klosterkirche gibt es nur eine Darstellung davon, zudem eine ganz kleine und unscheinbare, so dass die meisten Besucherinnen und Besucher der Kirche sie nicht sehen. Auf der Tabernakeltüre ganz hinten im Chorraum ist die Auferstehung dargestellt: Jesus Christus, der aus dem Grab aufsteigt, und sechs Männer, die völlig ratlos dastehen.

Unscheinbar …

Die Auferstehung Jesu ist etwas Unscheinbares. Und doch: Ostern sprengt alle Grenzen. Es zählt nicht mehr die Nation, aus der wir kommen, oder die Sprache, die wir sprechen. Es zählt nicht mehr der Stand, den wir in der Gesellschaft haben. Es zählt nicht mehr das Geschlecht. Der heilige Paulus bringt das Grenzensprengende auf den Punkt, wenn er schreibt: "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‹einer› in Christus Jesus" (Gal 3,28). Ostern sprengt die Grenzen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ostern sprengt die Gewohnheiten. Ostern sprengt die Grenzen von Versagen und Sünde. Und letztlich: Ostern sprengt die Grenze des Todes. Auf dieser Ostererfahrung gründet die Kirche. Diese Sprengkraft aller Grenzen müssen auch heute Menschen durch uns Getaufte erfahren dürfen. Als österliche Menschen bekennen wir durch unser Leben: Ostern sprengt alle Grenzen. Genau das heisst "katholisch": die menschlichen Grenzen sprengend, die göttliche Weite schenkend. Davon ist auch der heilige Benedikt überzeugt, wenn er schreibt: "Wer im Glauben voranschreitet, dem weitet sich das Herz."

... und die Grenzen sprengend

Auch wenn die Auferstehung Jesu Christi in der Klosterkirche nur einmal und ganz klein dargestellt ist, so kommt doch überall die Auferstehungserfahrung zum Ausdruck. Die imponierende, aber nüchterne Fassade hält, was sie verspricht. Ja, weit mehr. Der erste Eindruck beim Betreten des Gotteshauses ist überwältigend für Alt und Jung. Wenn wir zudem ein paar Details anschauen, können wir noch mehr staunen. Alle grossen Gemälde sprengen die Grenzen – sowohl vorne im Chor als auch hinten im Raum über der Gnadenkapelle. Sie halten sich nicht an den Rahmen. Gemalte Personen treten plastisch aus den Gemälden heraus.

... wie eine Orgel mit vielen Registern

Die Kirche ist berufen, die Auferstehung nicht nur mit Worten zu verkündigen, sondern zu leben. Die "eine, heilige, katholische und apostolische Kirche" (so heisst es im Glaubensbekenntnis, das alle Konfessionen verbindet) kommt mir vor wie eine grosse Orgel. Unzählige Register stehen uns zur Verfügung, die wir je nach Situation zum Erklingen bringen können. Und trotzdem klingt es manchmal erbärmlich, weil wir die Register nicht zu ziehen wissen. Oder wir wollen schon vorher wissen, was nächstens passieren wird. Überraschungen sind nicht vorgesehen. Aber mit dieser Haltung gehen wir an den Menschen und am Leben vorbei. Denn Menschen überraschen immer wieder. Das Leben fordert uns immer neu heraus. Wie eine gute Organistin auf das Geschehen hinhört und ihre Talente hineinspielt, so soll die Kirche ihre Register ziehen, angepasst an die Herausforderungen. Mit Begeisterung und Freude. Wer auf einem Register beharrt und es zur Ideologie macht – sei es nun alt oder modern –, nimmt die mögliche Vielfalt nie wahr.

In der Osterliturgie dürfen wir alle Register ziehen. Das zeigt sich im Pontifikalamt in der Einsiedler Klosterkirche schon in den Äusserlichkeiten. Abt Urban wird ein Mailänder Messgewand tragen, das sein Vorgänger Abt Thomas Schenklin angeschafft hat. Er war nicht sein unmittelbarer Vorgänger … Er war Abt des Klosters Einsiedeln von 1714–1734. Unter seiner Amtszeit wurde die Klosterkirche von 1719 bis 1735 erbaut. Abt Thomas starb ein Jahr vor deren Vollendung. Im Jahr des Baubeginns, 1719, wurde Leopold Mozart geboren, der Vater von Wolfgang Amadeus Mozart, dessen Musik an Ostern in der Klosterkirche erklingt, und der einen Mönch aus dem Kloster Einsiedeln im 10. Jahrhundert als Namenspatron hatte, den heiligen Wolfgang, den späteren Bischof von Regensburg. Wir hören über 1000 Jahre alte Gesänge im gregorianischen Choral – schon damals im Kloster Einsiedeln gesungen. Diese sind selbstverständlich in lateinischer Sprache, die einmal so vulgär war, dass man die lateinische Bibelübersetzung heute noch Vulgata nennt. Die Grenzen der Sprachen werden wir im Gottesdienst oft überschreiten. In Griechisch wird das "Kyrie eleison" ertönen. Und Hebräisch kommt in jedem Gottesdienst und in all unseren Gebeten vor, wenn wir "Amen" sagen. Als katholische Kirche bleiben wir nicht einfach in unserer Muttersprache oder in einer Muttersprache früherer Zeiten sitzen. Menschen aus verschiedenen Nationen feiern miteinander Gottesdienst. Das ist typisch katholische Vielfalt!

Das Beispiel Franziskus

Papst Franziskus führt uns die Katholizität der Kirche durch sein selbstverständliches Beispiel seit seiner Wahl vor drei Jahren Tag für Tag vor Augen. Er schreitet über Grenzen. Er verlässt das, woran wir uns gewöhnt haben. Er wagt neue Wege. Er nimmt die Menschen in ihrer Not wahr und lässt sich durch sie bewegen. Das beunruhigt diejenigen, die festgefahren sind. Aber: Festgefahrener Glaube ist nicht Auferstehungsglaube! Ostern sprengt alle Grenzen und schenkt Weite. Ostern überrascht.

Etwas wird immer deutlicher: Unsere erste Frage in der Kirche darf nicht sein: Wer darf was tun? Wer darf was nicht tun? Eine solche Fragestellung zeugt von Angst und Enge. Wir dürfen uns als Gemeinschaft der Getauften fragen: Wie können wir als Begeisterte Jesus Christus heute verkündigen, nicht nur mit Worten, sondern mit dem ganzen Leben? Das ist die erste Frage. Die konkreten Regelungen müssen immer dieser prioritären Ausrichtung dienen. So ist klar: Kirche mit einer Osterbotschaft darf sich nicht abkapseln, sondern muss zu den Menschen gehen, sie ansprechen, ihnen zuhören, sie dort abholen, wo sie sind. Kirche mit einer Osterbotschaft kommt nicht von oben herab, sondern erzählt von der Erfahrungen, die ihr geschenkt werden und die sie tragen. Das heisst nicht, dass wir uns jeder Mode anpassen müssen. Wir müssen auch nicht dem Zeitgeist huldigen, der meist einen kurzen Schnauf hat. Aber wir müssen uns diesem Zeitgeist stellen: in der jeweiligen Situation glaubwürdig vom Auferstandenen Zeugnis ablegen. Aus einer solchen Einstellung heraus war es für den Erzbischof von Buenos Aires selbstverständlich, dass er nicht mit einer Limousine und einem Chauffeur unterwegs war, sondern in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer mit dem Auto unterwegs ist, bleibt in seinen eigenen vier Wänden, wer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fährt, begegnet der ganzen Welt. So begegnen wir Menschen, die wir nicht ausgesucht haben. Wir begegnen einer Vielfalt, die alle ideologischen Raster sprengt. Das bringt immer auch Risiko mit sich. Ein dafür nötiges kindliches Gottvertrauen ist die Frucht einer kindlichen Begeisterung. Das überzeugt!

... in Brot und Wein

Das Ostergeschehen ist ein unscheinbares Geschehen, das alle Grenzen sprengt. Das zeigt sich auch im Sakrament der Eucharistie. Christus schenkt sich uns selbst in einem unscheinbaren Stücklein Brot und in einem Schluck Wein. Er will bei uns zu Gast sein und uns bewegen, dass wir wirklich katholisch sind – alle engen Grenzen sprengend und Weite schenkend. Papst Franziskus sagte es in seiner ersten Osternachtspredigt mit den einfachen Worten: "Brüder und Schwestern, verschliessen wir uns nicht dem Neuen, das Gott in unser Leben bringen will!" Ja: Öffnen wir uns dem Neuen, das Gott in unser Leben bringen will! Heute!

 

 

 

Martin Werlen

Martin Werlen

P. Martin Werlen OSB ist nach seinem Rücktritt als 58. Abt des Klosters Einsiedeln als Novizenmeister tätig.