Christentum und Populismus

Tausende demonstrieren alljährlich deutschlandweit gegen Pegida, Kurzform für Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. (Bild: Jens Meyer, 2016 in Dresden)

 

Vor wenigen Tagen war ich in einer reformierten Kirchgemeinde in Budapest zu Gast. Im gut besuchten Gottesdienst steht man vor dem Segen zur Nationalhymne auf und schaut zur Flagge, die neben der Kanzel steht. Man sagte mir, es sei auch in katholischen Gottesdiensten so.  Alle waren äusserst liebenswürdig, gastfreundlich und fromm. Aber beim Thema Flüchtlinge versteinerten sich die Mienen. Diese Haltung hat sich seit der letzten gros- sen politischen Kampagne verschlimmert. Wen wundert es, wenn die Opposition ausgeschaltet wird und die Medien in einer Hand sind? Am letzten Tag meines Aufenthalts war Recep Tayyip Erdogan bei Viktor Orbán zu Besuch. Es war nicht einfach, an so vielen Blockaden vorbei zum Flüchtlingszentrum Kalunba zu kommen. Die Leiterin erzählte, dass keine Kirchgemeinde, nur die schottische Mission in Budapest, ihre Arbeit mit Flüchtlingen unterstütze. Flüchtlinge bekommen vom Staat keine Hilfe mehr. Organisationen, die ihnen helfen, werden kriminalisiert. Wie konnte es so weit kommen?

Populistische Führungspersönlichkeiten beanspruchen für sich, die Stimme des Volks zu sein. Alle, die sie kritisieren, sind Feinde des Volks. Die sogenannte Elite gehört nicht zum Volk. Ob in Polen, Deutschland, Frankreich, den USA, England, Ungarn oder der Türkei – populistisch Denkende malen sich ein moralisch reines, homogenes Volk, das durch die Fremden mit anderen Religionen und Werten und durch die korrupten Eliten gefährdet wird. Freiheitlich-demokratische Strukturen seien zu marode, um diese Gefahr abzuwenden. Darum muss der starke, autoritäre Führer durchgreifen, das Parlament, die Justiz und die «Lügen-Presse» diskreditieren. Ich glaube, die Vorstellung des unschuldigen, moralisch überlegenen Volkes mit den richtigen Werten kommt bei religiösen Gemeinschaften gut an. An diesem Punkt sind sie anfällig und machen sich manipulierbar.

Als Gegengift dazu möchte ich zwei kritische Christen zitieren, die wie die Propheten Götzendienst anprangerten, wenn sie ihn sahen. Huldrych Zwingli: «Gottes Wort muss Widerstand haben, damit man seine Kraft sieht. Wenn ein Pfarrer nur leisetritt und süss schwatzt, geht alle Gerechtigkeit und Freiheit zugrunde. Ich habe alle meine Anfeindungen daher, dass ich kämpfe gegen Raub, Krieg und Gewalt» (aus den Matthäuspredigten). Karl Barth in der Barmer Theologischen Erklärung von 1934: «Jesus Christus […] ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung ausser und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.» Bedingungslose Loyalität schulden Christen nur Christus. Die Gewissensfreiheit und die Menschenwürde gilt es zu beschützen. Kein vermeintlicher Volkswille darf sich über die Menschenrechte der Einzelnen erheben. Wie leicht ist es doch, den «Volkswillen» zu manipulieren, wenn die Checks und Balance ausgehebelt werden und ein autoritärer Führer entscheidet, was gesehen und gehört werden darf.

Unsere Zeit braucht prophetische Stimmen und Gemeinschaften, die Mitmenschen im Sinne von Jesus Schutz bieten vor dem «Hate Speech» des Populismus.

Catherine McMillan*

 

*Catherine McMillan, 1961 in Schottland geboren, studierte in Frankreich, Deutschland und den USA. Sie war Pfarrerin im Bezirk Konstanz (D), im Toggen- burg SG und seit 2014 in Dübendorf-Schwerzenbach ZH. Sie ist Reformationsbotschafterin der Zürcher Landeskirche und Sprecherin beim «Wort zum Sonntag».