Bruder Klaus in der Musik

Bruder Klaus

1488, ein Jahr nach dem Tod des Eremiten im Ranft, schrieb Heinrich von Gundelfingen ein Offizium zu Ehren des Verstorbenen: Er verfasste die Texte für das kirchliche Stundengebet und versah die zu singenden Teile mit deutschen Choralnoten. Dieses Bruderklausen-Offizium ist ein bedeutendes Dokument spätmittelalterlicher Kirchenmusik.

Heinrich von Gundelfingen stammte aus der Bischofsstadt Konstanz. An der Universität Freiburg i. Br. bekleidete er das Amt eines Professors der Dicht- und Redekunst. Zugleich genoss er das Anrecht auf mehrere Pfründen, war Rektor der Kirche zu Sarnen und erhielt 1480 vom Rat der Stadt Luzern eine Chorherrenstelle in Beromünster. 1488 legte er sein Professorenamt nieder und übersiedelte ins Kollgiatstift Waldkirch an der Elz. Dort starb er im August 1490.

Bruderklausen-Offizium von 1488

Zur Geschichte dieser Handschrift: Gundelfingen schrieb im Jahr 1488 das Offizium zu Ehren von Bruder Klaus (kirchliche Tagzeiten). Er war fest überzeugt, dass der Verstorbene bald heiliggesprochen werde. Wohl aus Dankbarkeit für das Kanonikat in Beromünster widmete er das Offizium dem Rat von Luzern. 1591 befand sich die (zeitweise abhanden gekommene) Handschrift in der Pfarr- und Wallfahrtskirche von Sachseln. 1650 wird sie wieder im Hof zu Luzern aufbewahrt und durch den Stiftsorganisten und Choralkenner Johann Benn kopiert (in römischer Quadratnotation). Diese Luzerner Abschrift von 1650 kam nach Sachseln, das Original von 1488 wurde nach Rom an die Ritenkongregation für den Kanonisationsprozess von Bruder Klaus geschickt und wird letztmals 1657 in den Akten der Ritenkongregation aufgeführt.

1932 wurde in Bologna im Nachlass eines Jesuitenabtes das Original dieses Choral-Offiziums gefunden, das seit 1657 verschollen war. 1972 habe ich als Musikredaktor dieses Offizium in einer Radiosendung aus der unteren Ranftkapelle übertragen und wohl auch erstmals seit 1488 aufführen lassen.

Leider wurde die Wirkungsgeschichte dieser Handschrift im Hinblick auf die Kanonisation (Heiligsprechung) kaum erforscht, noch weniger wurde eine Einordnung dieser Musikhandschrift in die spätmittelalterliche Musikgeschichte vorgenommen. Sie ist ein wichtiges Dokument des vormedicäischen Chorals: Der vereinfachte («verkürzte», d. h. von Melismen – Verzierungen – befreite) Choral führt in direkter Linie zum deutschen Kirchenlied. So erinnert etwa die eingängige Antiphon ad Benedictus «Pie Eremita Nicolae» aus der Laudes an die Melodie des Weihnachtsliedes «Josef, lieber Josef mein». Die spätmittelalterliche Choralepoche vor der Editio medicaea (1614) wurde bisher nicht erforscht und als dekadent abgetan; sie spielt aber in der Musikgeschichte des 15., 16. und frühen 17. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle, es sei nur an bedeutende Komponisten wie Ludwig Senfl, Giovanni Palestrina, Francesco Soriano und Claudio Monteverdi (Marienvesper) erinnert.

Choral und (reformiertes) Kirchenlied

Lateinische Hymnen, Sequenzen und Antiphonen wurden ins Deutsche übertragen und vom Kirchenvolk auf die vereinfachten gregorianischen Melodien gesungen. Sie erhielten an genau festgelegten Stellen in der Liturgie ihren Platz, so etwa das Lied «Christ ist erstanden» in der Osternachtsfeier. Diesem bekannten, auch von Luther übernommenen Osterlied liegt textlich und melodisch die Ostersequenz «Victimae paschali laudes» zugrunde. Im 15. Jahrhundert war auch das Lied «Mitten unsers Lebens zeit» weit verbreitet (in Luthers Fassung von 1524: «Mitten wir im Leben sind vom Tod umgeben»); es geht auf die in St. Gallen im 12. Jahrhundert überlieferte Antiphon «Media in vita morte sumus» zurück.

Die schlichte, von weitläufigen Melismen befreite Choralmelodik des 15. Jahrhunderts – wie sie auch im Officium von Bruder Klaus von 1488 in Erscheinung tritt – und das spätmittelalterliche Kirchenlied führen im 16. Jahrhundert zum (reformierten) Psalmenlied und zum «Genfer Psalter».

In reformierten Landen der deutschen Schweiz und im Ausland wurde vor allem die deutsche Übersetzung der Genfer Psalmen von Ambrosius Lobwasser mitsamt den Genfer Melodien (Leipzig 1573), vielfach nach choralen Melodien, für die reformierte Kirchenmusik bis hin zu J. S. Bach richtungweisend.

Eine schlichte Melodik weisen auch die Bruderklausenlieder der Neuzeit auf.

Bruderklausenlieder

Johannes Duft zählt in seiner Schrift «Bruder Klaus in der Musik», erschienen 1937 in Stans, verschiedene Bruderklausenlieder des 16., 17. und 18. Jahrhunderts auf, die meist nach alten Weisen gesungen wurden («im Ton von»). Interessant ist, dass im 18. Jahrhundert ein Bruderklausenlied sogar in einer reformierten Liedsammlung von Johann Kaspar Lavater erschien mit einer einfachen Melodie des Wetzikoner Pfarrers und Komponisten Johann Schmidlin (vier Auflagen).

Die einzig bekanntere Komposition des 19. Jahrhunderts ist die Vertonung des Bruderklausengebetes (lat. «Dominus meus et Deus meus») von Gustav Arnold, dem in Luzern als Musikdirektor wirkenden Urner Komponisten.

20. Jahrhundert

Erst im 20. Jahrhundert mehren sich wieder die Kompositionen zu Ehren von Bruder Klaus. Zur Feier des 500. Geburtstages von Bruder Klaus erschienen 1917 Bruderklausenlieder von Bonifaz Kühne (Zug) und Ignaz Kronenberg (Luzern-Beromünster). Die Menzinger Schwester Arnolda Bartsch komponierte ein Melodram über Bruder Klaus, das im Kloster mehrmals aufgeführt wurde. 1926 schrieb der Surseer Musikdirektor Joseph Frei eine schwungvolle Melodie zum Bruderklausenlied «Vom Himmel blickt ein heller Stern»; das Lied fand Aufnahme im Basler Kirchengesangbuch und im Liederbuch der katholischen Jungmannschaft «Jungsang». Sogar der deutsche Komponist Max Reger hatte 1914 eine Version des Bruderklausengebetes vertont.

In der Westschweiz komponierte 1926 der bekannte Freiburger Komponist Joseph Bovet zwei Bruderklausenlieder (Cantiques au bienheureux Nicolas de Flue): «Au flanc des monts» und «Bénissez-nous».

Besonders viele Kompositionen erschienen in den 30er- und 40er-Jahren – vor der Heiligsprechung von Bruder Klaus (1947). Der St. Galler Komponist und Domkapellmeister Josef Gallus Scheel vertonte 1939 das heute noch viel gesungene Bruderklausengebet «Mein Herr und mein Gott» (Katholisches Gesangbuch Nr. 546). Messen und Kantaten schrieben Ignaz Martin Mitterer, P. Emanuel Bucher, Fridolin Roth, Johann Baptist Hilber u.a.

Wohl die bedeutendste Komposition aus dieser Zeit ist Arthur Honeggers Oratorium «Nicolas de Flue» auf einen Text von Denis de Rougemont, geschrieben im Auftrag des Kantons Neuenburg für die Landesaustellung von 1939.

Zur Heiligsprechung in Rom schrieb Benno Ammann 1947 eine Messe zu Ehren von Niklaus von Flüe, und zu den Heiligsprechungsfeierlichkeiten im Mai 1947 in Sachseln komponierten J. B. Hilber und Josef Garovi eine Festmesse. Der Sachsler Komponist Josef Garovi schrieb schon 1934 zur Altarweihe in Sachseln verschiedene Bruderklaus- Kompositionen, so besonders das gleichentags am Radio übertragene «Friedensgebet an Bruder Klaus» für Chor und Orchester auf einen Text von Ludwig von Moos, dem Sachsler Gemeindeschreiber und späteren Bundesrat.

1937, im Gedenkjahr des 450. Todestages von Bruder Klaus, wurde diese Kantate auf dem Flüeli in einer gekürzten Fassung mit Harmoniemusik nach der Rede von Bundespräsident Giuseppe Motta aufgeführt. Josef Garovi schrieb zum Papstbesuch von Johannes Paul II. auf dem Flüeli das Lied «Friedensheiliger Bruder Klaus».

1987 – 500. Todestag von Bruder Klaus

In den 80er-Jahren wurde die Tradition, eigens Kompositionen zu Ehren von Bruder Klaus in Auftrag zu geben, wieder aufgenommen. So schrieb zum 500. Todestag von Bruder Klaus am 21. März 1987 der avantgardistische Komponist und Zürcher Konservatoriumsdirektor Hans Ulrich Lehmann ein instrumentales Proprium zum gregorianischen Offizium des Heinrich von Gundelfingen (siehe oben). Er nannte diese Komposition «ad missam in honorem S. Nicolai de Flüe». Lehmann äusserte sich dazu: «Die Aufgabe, für die Festmesse zu Ehren von Niklaus von Flüe einzelne Propriumsteile komponieren zu dürfen, hat mich ausserordentlich fasziniert. Die grosse zeitliche und stilistische Distanz zwischen alter, in diesem Fall: gregorianischer Musik zu zeitgenössischen Kompositionen erscheint zunächst fast unüberbrückbar. Die Gegenüberstellung und Konfrontation erwies sich jedoch als äusserst anregend und reizvoll. Meine Musik nimmt, wenn auch niemals vordergründig, Bezug auf die Texte und/oder die gregorianischen Melodien der entsprechenden liturgischen Vorlagen.»

Im Juli 1987 wurde auch eine vielbeachtete Komposition in der Ranftschlucht aufgeführt: Klaus Cornells Ranftmusik «Aus der Tiefe». Diese Musik nimmt Bezug auf fünf Visionen des Niklaus von Flüe: Der Turm – Die vier Lichter – Lilie und Pferd – Der Brunnen – Der Pilger. Die tradierten Texte sind in freier Nachdichtung in die Musik integriert, der mystische Gehalt der Visionen wird musikalisch umgesetzt.

Der Berner Komponist konzipierte das Werk für eine Aufführung (elektroakustische Wiedergabe) in der Ranftschlucht zum Bruder-Klausen-Gedenkjahr 1987. Verschiedene Teile der Partitur wurden im elektronischen Studio vorproduziert und aufgrund eines sekundengenauen Zeitrasters von Band gespielt. Cornell schrieb zu seiner Musik: «Diese Ranftmusik ist eine Musik der Stille: Sie breitet sich rund um den Zuhörer aus und kreist ihn zugleich ein. Sie ist aber auch Musik des Raumes; grundiert vom Orgelpunkt der rauschenden Melchaa füllt sich das enge Tal mit ständig wechselnden Klangbildern und Tonstrukturen, strebt aus der Tiefe der Ranftschlucht hinauf. Es ist Musik, die der Zeit irgendwie ‹abhanden gekommen› ist, und doch gibt ihre Anordnung auf der Zeitachse Proportionen wieder, die in den Visisonen des Heiligen ihre Entsprechung finden: Musik, die mit Ohren erschaut werden will.»

2017

Auch im 21. Jahrhundert, gerade zum Jubeljahr 2017, werden wieder Kompositionen zu Ehren von Bruder Klaus geschaffen: So schrieb Erwin Mattmann eine Kantate «Gemeinsam zur Mitte» zum nationalen ökumenischen Gedenk- und Feiertag in Zug am 1. April 2017 (500 Jahre Reformation – 600 Jahre Niklaus von Flüe) und Carl Rütti eine Auftragskomposition für den Festgottesdienst am 24. September in der Jesuitenkirche Luzern. Der Obwaldner Musiker Jul Dillier komponiert eine Musik zum Visionengedenkspiel von Paul Steinmann, das Ende August und im September auf der Sachsler Allmend aufgeführt wird.

«Eremitam Christi Nicolaum Helvetia cantat», so beginnt die Sequenz Heinrich von Gundelfingens in seinem Offizium von 1488. Dieses in Choral gesetzte Offizium ist das frühste Zeugnis der Verehrung Bruder Klausens. Mit ihm beginnt eine bedeutsame Reihe von Bruderklausenkompositionen bis auf den heutigen Tag – einige wurden hier vorgestellt.

 

Angelo Garovi

Angelo Garovi (geb. 1944 in Sarnen) war Musikredaktor am Schweizer Radio, Staatsarchivar des Kantons Obwalden und zugleich Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Er veröffentlichte eine «Musikgeschichte der Schweiz» (Stämpfli Bern, 2. Aufl. 2015).