Mit dem Aufkommen der Ich-Gesellschaft infolge der vielfältigen Modernisierungsschübe seit den 1960er-Jahren gewinnt die religiös-theologische Bildung Erwachsener eine Schlüsselbedeutung für die dialogisch-argumentative Anschlussfähigkeit von Glaube und Kirche. «Subjektivität, Freiheit und Selbstbestimmung wurden zum bestimmenden Lebensgefühl der Menschen», bilanziert die Studie «Religion und Spiritualität in der Ich-Gesellschaft». «Religion und Konfession werden als private und optionale Identitätsmerkmale gesehen, und das Christentum wird mehr und mehr als nur eine Religion unter anderen behandelt.»1
Vertiefte Bildung der Laien
In der Deutschschweiz kam es noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der Synode 72 zu einem erwachsenenbildnerischen Neuaufbruch: Mitte der 1950er-Jahre wurde die «Interdiözesane Vereinigung Theologie für Laien» gegründet, um «die theologische, spirituelle, katechetische und pastorale Aus- und Weiterbildung katholischer Laien» zu fördern. Der «Theologische Kurs für katholische Laien» (TKL) wollte Akademikerinnen und Akademikern eine adäquate religiös-theologische Bildung vermitteln; für Bildungsinteressierte ohne Matura wurde das am akademischen Fächerkanon orientierte Curriculum 1961 um den neu gegründeten «Katholischen Glaubenskurs» (KGK) erweitert.2
Dieser Aufbruch, um selber theologisch mündig zu werden, wurde vorangetrieben von den wegweisenden Impulsen und Erneuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils, das die biblische Volk-Gottes-Theologie wiederentdeckte und vor aller Unterscheidung der Dienste und Ämter in der Kirche die gleiche Würde aller Getauften hervorhob: Alle Gläubigen sind Träger der kirchlichen Sendung.3 So wurde das Fach Katechetik zu einem eigenen zunächst ein-, dann zweijährigen nebenberuflichen Lehrgang ausgebaut, den in den folgenden 25 Jahren über 1000 Frauen und Männer absolvierten.
Neuen erwachsenenbildnerischen Bedürfnissen Rechnung tragend4 lancierte der TKL seit Mitte der 1980er-Jahre zudem Kurs- und Medienpakete für selbständig zu gestaltende Erwachsenen-, Eltern- und Seniorenbildung in Pfarreien und kirchlichen Verbänden der Deutschschweiz: «Jahreszeiten des Lebens», «Mit Kindern leben, glauben und hoffen», «Unsere Jugendlichen fordern uns heraus», «Faszination Esoterik».
Kirche, Religion und Bildung im Wandel
Angesichts veränderter Interessen an kirchlich-religiöser Erwachsenenbildung erfolgte nach der Jahrtausendwende ein zeitgemässer Relaunch dieser Bildungsformate durch die neu profilierte «Interdiözesane Vereinigung theologiekurse.ch»: 2002 wurde der KGK in zwei eigenständige Jahreskurse «Bibel verstehen» und «Gott und Welt verstehen» mit jeweils drei Trimestern aufgesplittet. Zudem wurde der TKL zum «Studiengang Theologie» (STh) um- und ausgebaut. Seit 2009 entstand zudem die 16 Teilbände umfassende gleichnamige Buchreihe, die gut lesbar aufbereitete, solide und verlässliche Grundinformationen auf dem Stand des aktuellen Fachdiskurses bietet. Seit 2009 können neben der Teilnahme am vierjährigen Vollprogramm mit je zwei Abendvorlesungen pro Woche bzw. im sogenannten Fernkurs in Bildungshäusern Gasthörende wahlweise einzelne Fächer des theologischen Kanons nach individuellem Interesse belegen.
Zugleich wurden innovative andragogische Neuentwicklungen angestossen: 2006 entstand in Kooperation mit der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks das niederschwellige Kurspaket «Glaubenssache – 7 christliche Updates» für einen pfarreilichen «Mini-Glaubenskurs» an sieben Abenden. Und im Frühjahr 2009 starteten an verschiedenen Orten die ersten Matineen-Reihen «Theologie 60 plus», die thematisch bis in die jüngste Zeit weiter ausgebaut wurden. Alles dies wäre ohne die Gewinnung von Kursleiterinnen, Kursleitern und Dozierenden, ohne die Vernetzung mit kirchlichen Partnern in der ganzen Deutschschweiz weder denk- noch machbar.
Aktuelle Herausforderungen
Dabei fordert der fortschreitende Wandel der Religions- und Bildungslandschaft immer wieder neu heraus, kirchliche Erwachsenenbildung in christlich-weltoffener Zeitgenossenschaft «aus der Mitte der Kirche unter Miteinbezug ihrer offenen Ränder – ausgerichtet auf alle Menschen»5 profiliert weiterzuentwickeln. Für die Sprach-, Diskurs- und Zukunftsfähigkeit christlichen Glaubens ist eine gezielte Verstärkung der religiös-theologischen Bildung Erwachsener unerlässlich.6
2016 wurden die Angebote von «theologiekurse.ch» ins neu geschaffene deutschschweizerische Kompetenzzentrum für kirchliche Bildung «Theologisch-pastorales Bildungsinstitut» (TBI) überführt.7 Die veränderten Interessenlagen schlagen voll auf die «Theologische Grundbildung» des TBI durch: Besuchten die «Glaubenskurse» lange vorwiegend Bildungsinteressierte und freiwillig Engagierte aus Pfarreien, sind heute zwei Drittel der Teilnehmenden an den beiden Basismodulen M 3 «Grundzüge biblischer Theologie» und M 4 «Grundzüge christlicher Existenz» Absolventinnen und Absolventen der modularen Ausbildungsgänge Katechese bzw. Kirchliche Jugendarbeit von ForModula.8 Dagegen sind die Teilnehmendenzahlen am STh in den vergangenen zehn Jahren stark rückläufig.
Die Corona-Pandemie stellt die theologische Grundbildung vor weitere Herausforderungen. Das unhinterfragte Credo kirchlicher Erwachsenenbildung war es bisher, in Präsenzveranstaltungen fester Kursgruppen neben dem Wissenserwerb Reflexion und Austausch zu fördern. Die pandemiebedingt schnell aufgegleisten Onlineformate und Videokonferenzen erschienen daher zunächst ungewohnt, lösten dann aber, wie in der Bildungsbranche generell, einen Digitalisierungsschub aus – eine Rückkehr zum Status quo ante scheint kaum mehr vorstellbar.
Die Anfang 2021 in Betrieb genommene «Lernplattformreligion.ch» bringt unter der Federführung des TBI die Angebote unterschiedlicher Bildungsanbieter der Deutschschweiz zusammen. Durch den Plattformeffekt werden Bildungsmobilität und -flexibilität gefördert und einer zunehmend digital werdenden Lebens- und Lernwelt Rechenschaft getragen. Auch das Kursangebot der Theologischen Grundbildung des TBI ist aus der Pandemie stark verändert hervorgegangen: Die wöchentlichen Vorlesungen des STh in Zürich werden nach einer Teilnehmendenbefragung zu den gewünschten Formaten ab Kursjahr 2021/22 ausschliesslich hybrid angeboten (vier Präsenzabende, elf Mal Online). «Bibel verstehen» und «Gott und Welt verstehen» können neuerdings ebenso online besucht werden – mit Vorteil auch für Menschen, die abseits der Hauptverkehrs-
achsen wohnen.
Den Wünschen nach flexiblen, individuellen Bildungswegen und den meist knappen zeitlichen Ressourcen wird zudem ein neues Kursangebot entgegenkommen, das ab Frühsommer 2022 interessierten Christinnen und Christen, Nicht- und Andersglaubenden offensteht. Ein neues Format «Basiswissen Christentum» (Arbeitstitel) bietet einen niederschwelligen Einstieg in die theologische Grundbildung. In ihm werden digitale Lernsequenzen mit besonderen Begegnungen und Erlebnissen vor Ort verknüpft. Diese neuartige Verbindung vom Besten digitaler und analoger Welten wird die künftige Entwicklung der kirchlichen Erwachsenenbildung in den kommenden Jahren stark prägen.
Christoph Gellner* und Michael Hartlieb**