Bibel lesen im Dialog mit den ersten Christen

Wie können sich Umbruchsprozesse in der Pastoral von der Bibel leiten lassen? Eine Antwort darauf liefert die «Methode 3D».

Wie schon oft im Laufe der Geschichte des Gottesvolkes steht die Kirche auch in unserer Zeit vor der Herausforderung, auf gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen in der Lebenswelt der Menschen zu reagieren. Säkularisierung, Digitalisierung und Globalisierung sind, plakativ genannt, einige jener prägenden Faktoren, die das Lebensgefühl und die Lebensgestaltung der Menschen des 21. Jahrhunderts wesentlich mitbestimmen und Religion und Glaube unter neue Vorzeichen stellen. Die Auswirkungen dieser Trends auf das kirchliche Leben sind unübersehbar, und längst sind sich die Mitwirkenden in der Pastoral bewusst, dass neue Wege der Verkündigung unumgänglich sind.

Kann die Bibel dazu Wegweiser sein?

Die Tatsache, dass zahlreiche Konzepte zur Neuausrichtung der Pastoral ausdrücklich auf biblische Texte zurückgreifen, lässt dies bejahen. Und diese Orientierung an der Bibel geschieht auch durchaus zurecht – ist doch die «Ekklesia», die «Gemeinde Gottes», deren ursprünglicher «Sitz im Leben». Denn in einem hohen Ausmass können gemeindliche Kontexte als Hintergrund der Entstehung und als Raum der Erstleser bzw. -hörer biblischer Texte angenommen werden. Für die Schriften des Neuen Testaments liegt dies auf der Hand; doch auch für das Alte Testament gilt, dass eine erhebliche Anzahl der Schriften den Kontext der Vergemeinschaftung und die Stärkung gemeinschaftlicher Identität und Solidarität voraussetzen.

Methode 3D

Die im Institut für pastorale Praxisforschung und bibelorientierte Praxisbegleitung (IbiP) der Katholischen Hochschule NRW entwickelte Methode 3D versucht, dem Rechnung zu tragen. Mit 3D werden landläufig Abbildungen oder auch Filme bezeichnet, die durch ein bestimmtes Aufnahmeverfahren dem Betrachtenden den fiktiven Eindruck räumlicher Tiefendimension vermitteln. Dadurch wird das zweidimensionale Bild gefühlt realistischer und die dargestellte Welt erscheint unmittelbarer. Eine vergleichbare Absicht steht hinter der Methode 3D. Bei diesem zur Praxisreflexion entwickelten Textzugang werden die üblichen Schritte der Textanalyse (= Dimension 1) und Aktualisierung (= Dimension 3) um die Perspektive der Erstleser bzw. -hörer (= Dimension 2) ergänzt. Das heisst, es wird versucht, an jenen Erfahrungsraum anzuknüpfen, welcher sich beispielsweise für eine junge christliche Gemeinde im ersten Jahrhundert nach Christus annehmen lässt.

Im Dialog mit den ersten Glaubenszeugen

Sich auf den Erfahrungsraum der Erstadressaten biblischer Texte einzulassen, erfordert eine gewisse Anstrengung. Denn es ist unumgänglich, sich mit den wichtigsten zeitgeschichtlichen Faktoren, etwa des ersten Jahrhunderts nach Christus, vertraut zu machen. Noch viel mehr erfordert dies aber die Bereitschaft, sich auf eine ganz neue Sichtweise biblischer Texte einzulassen. Denn die leitende Perspektive ist zunächst nicht die Frage: Was sagt der biblische Text mir bzw. uns heute?, sondern: Auf welche Fragen, Schwierigkeiten und Themen der damaligen Gemeinde geht der Text ein? Es geht also darum, die Lebenswelt unserer Vorfahren im Glauben lebendig werden zu lassen und mit ihnen über Jahrhunderte hinweg ins Gespräch zu kommen. Auch wenn die biblische Zeit und die Lebenswelt der heutigen Pastoral auf den ersten Blick scheinbar weit auseinanderliegen, zeigen sich dabei dennoch gemeinsame Fragen und überraschende Parallelen, welche eine originelle Aktualisierung ermöglichen.

Die Anstrengung, die Geschichtlichkeit des biblischen Textes ernst zu nehmen, lohnt sich. Denn die Erfahrung mit der Bibelarbeit nach Methode 3D zeigt, dass gerade die zunächst ungewohnte und verfremdende Zugangsweise zu neuen Eindrücken führt, aus denen sich für den pastoralen Alltag einerseits kritische Anfragen, aber auch neue Ideen ergeben.

Christiane M. Koch

 

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«Methode 3D. Die Bibel als Orientierung in Zeiten pastoralen Umbruchs». Von Christiane M. Koch. Ostfildern 2018. ISBN 978-3-7966-1720-1, CHF 27.90. www.schwabenverlag-online.de


Christiane M. Koch

Prof. Dr. Christiane M. Koch (Jg. 1964) ist in Dornbirn (A) aufgewachsen. Sie ist seit 2008 Professorin für Biblische Theologie an der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Paderborn. Sie ist Mitbegründerin und Leiterin des Instituts für pastorale Praxis-
forschung und bibelorientierte Praxisbegleitung (IbiP) an der Katholischen Hochschule NRW.