Bedrohte Vielfalt in Indonesien

Die Texte der Weltgebetswoche stammen von Christen aus Indonesien. Die Mission 21 engagiert sich in dem jungen Staat, dessen Grundlage die Vielfalt in der Einheit kennzeichnet.

Yuanita Awiasi Wattimena (l.) von der evangelischen Kirche in Kalimantan (Borneo), Partnerorganisation von Mission 21, besucht muslimische Frauen, mit denen sie in verschiedenen Projekten zusammenarbeitet. Auch ein Vertreter von LK3 (Partnerorganisation von Mission 21, die in der interreligiösen Friedensarbeit tätig ist) ist dabei. (Bild: Mission 21/Heiner Heine)

 

Indonesien zeichnet sich durch seine Vielfalt aus: Auf dem riesigen Archipel mit mehr als 17'000 Inseln leben 255 Millionen Menschen, die über 300 ethnischen und 700 sprachlichen Gruppen sowie fünf offiziell anerkannten Religionen angehören. Neben der ethnischen Zugehörigkeit bildet die Religionszugehörigkeit eines der wichtigsten identitätsstiftenden Elemente. 87 Prozent der Bevölkerung sind muslimisch – Indonesien ist das Land mit der grössten muslimischen Bevölkerung weltweit. Rund 10 Prozent sind christlich, davon etwa ein Drittel katholisch und zwei Drittel protestantisch.

Von Pluralismus geprägt

Einige weitere Besonderheiten machen Indonesien interessant: Im Vorfeld der Unabhängigkeitserklärung und Staatsgründung von 1945 herrschte ein hartes Ringen zwischen Kräften, die einen islamischen Staat mit islamischer Gesetzgebung (Scharia) gründen wollten, und solchen, welche die Vielfalt anerkannten und Angst hatten, Indonesien würde auseinanderbrechen, wenn die Mehrheitsreligion Islam über den Minderheiten stehen würde. Die pluralistisch orientierten Kräfte um Sukarno, den ersten Präsidenten, setzten sich durch und verankerten die Religionsfreiheit in der Verfassung. Als ideologische Grundlage dafür wurden die Pancasila, die «fünf Prinzipien», formuliert. Nicht zufällig spricht das erste Prinzip das Verhältnis zur Religion an: «Glaube an den einen Gott». Die indonesische Praxis dieses Glaubensprinzips ist geprägt vom pluralistischen Kontext: Demnach spielt es keine Rolle, ob ich an den muslimischen oder christlichen Gott (als Evangelische oder Römisch-Katholische) glaube, hinduistischen oder buddhistischen Gottheiten oder dem Konfuzianismus folge. Wichtig ist, einer der fünf anerkannten Religionsgemeinschaften anzugehören. Atheisten werden nicht toleriert, auch heutzutage sitzen einige Atheisten wegen angeblicher Gotteslästerung im Gefängnis. Auch indigene, lokale Stammesreligionen werden offiziell nicht anerkannt, obwohl sie ihre Riten praktizieren dürfen. Die Einheit Indonesiens in der Vielfalt ist ebenfalls ein zentrales Prinzip der Pancasila und schmückt als offizielles Staatsmotto auch das indonesische Wappentier des Adlers.

Diese staatlichen Grundlagen fördern das Selbstverständnis einer pluralistischen Gesellschaft, in der Menschen unterschiedlicher religiöser und ethnischer Zugehörigkeit gleichberechtigt und friedlich Hand in Hand zusammenleben. Die indonesische Professorin für islamische Theologie Syafaatun Almirzanah hat bei einem Vortrag in Basel treffend bemerkt, dass in der pluralistischen Welt von heute «religiös leben» eigentlich «inter-religiös zusammenleben» bedeutet.

Bei Besuchen in Indonesien fällt auf, wie selbstverständlich die Religion ein Teil des Alltagslebens der Menschen ist und wie stark die religiöse Praxis geprägt ist von kulturellen Eigenheiten. So unterscheidet sich der Hinduismus auf Bali sehr stark vom indischen Hinduismus, und die Ausübung des Islams auf Java ist eingebettet in der javanischen Kultur, die ihrerseits nach wie vor geprägt ist von den früheren buddhistischen und hinduistischen Königreichen. In Westsumatra konnte sich die matrilineare1 Gesellschaft der Minangkabau trotz Annahme des Islams ebenso halten wie der Ahnenkult der christlichen Toraja in Südsulawesi. Trotz stark zunehmendem Einfluss aus dem arabischen Raum gilt Indonesien als relativ wenig arabisiert und die Mehrheit lebt einen lokal geprägten, moderaten Islam. Indonesien lehrt uns ganz deutlich, dass wir nicht von «einem» Islam oder «einem Christentum» sprechen dürfen und unsere Bilder dazu immer wieder hinterfragen sollten.

Vielfalt ist bereichernd, aber in Gefahr

Leider ist das Vorzeigemodell eines pluralistischen Staates in Gefahr. Radikale Gruppierungen, bestärkt durch den Islamischen Staat (IS), haben erfolgreich Schulen und Universitäten unterwandert. Der religiöse «Analphabetismus» gegenüber der eigenen wie auch der anderen Religionen trägt das Seine dazu bei, dass die Intoleranz gegenüber Andersgläubigen zunimmt. Verschiedene Studien unter Schülern und Lehrkräften bestätigen den Trend.

In verschiedenen Regionen ist die islamische Minderheit «Ahmadiyya» verboten und deren Mitglieder wurden vertrieben. Und in mehrheitlich christlichen Gebieten werden Stimmen lauter, die den Bau von Moscheen verbieten wollen. Ausserdem wird die Religion von antidemokratischen Kräften instrumentalisiert, bei denen sich reiche Ex-Militärs mit islamistischen Gruppierungen verbünden, um eigene politische Machtinteressen durchzusetzen. So wurde der christlich-chinesische Gouverneur Jakartas wegen angeblicher Gotteslästerung verurteilt und eingesperrt. Eine beunruhigende Serie von Terror- anschlägen im Osten Javas im vergangenen Mai, bei der ein Polizeiquartier sowie drei Kirchen angegriffen wurden, hat die Öffentlichkeit ebenfalls aufgeschreckt.

Interreligiöse Jugendgruppe gegen Gewalt

Doch die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben bleibt bestehen. Junge Erwachsene wie das interreligiöse Jugendnetzwerk «Jakatarub» in Westjava, einem Hotspot der religiösen Intoleranz, schaffen Begegnungen zwischen Jugendlichen, stiften Freundschaften über ethnische und religiöse Grenzen hinweg und stehen zusammen, wenn das friedliche Zusammenleben in der noch jungen Demokratie bedroht ist. So mobilisieren sie beispielsweise rasch zugewandte Muslime, wenn wieder einmal eine Kirche von der Schliessung bedroht ist, oder Christen wehren sich gegen das Verbot einer schiitischen Veranstaltung. «Jakatarub» arbeitet eng mit der Pasundan-Kirche (GKP) zusammen, einer toleranten, bewährten Partnerkirche des evangelischen Missionswerks Mission 21. Als kleine christliche Minderheit fördert und pflegt die GKP im überwiegend muslimischen Westjava die interreligiöse Friedensarbeit. Jedes Jahr führen die GKP und «Jakatarub» mit Unterstützung von Mission 21 gemeinsam ein interreligiöses Jugend- lager durch – damit die jungen Teilnehmer ihre Vorurteile gegenüber anderen Religionen und ethnischen Gruppen überwinden, die religiöse Vielfalt kennen und schätzen lernen und danach in interreligiösen Gruppen selbst aktiv werden.

So werben sie im Anschluss mit «Jakatarub» in aufsehenerregenden Kampagnen in der Öffentlichkeit und via soziale Medien für religiöse Toleranz. In Eigenregie haben die ehemaligen Teilnehmenden des interreligiösen Jugendlagers ausserdem selbst interreligiöse Jugendlager organisiert und kurzerhand einen Austausch zwischen muslimischen und christlichen Schulklassen initiiert sowie filmisch festgehalten, was nun jährlich wiederholt wird.

Wichtige interreligiöse Friedensarbeit

Mit der Unterstützung solcher interreligiöser Ini- tiativen unter jungen Erwachsenen wirkt Mission 21 der Radikalisierung entgegen. Das ist wichtig, denn im Bildungsbereich versuchen besonders viele extremistische Gruppierungen, junge Menschen zu radikalisieren. Umgekehrt sind junge Erwachsene wichtige Multiplikatoren als zukünftige Leitfiguren in ihren Gemeinschaften. Als Reaktion auf die terroristischen Vorfälle vom Mai 2018 und die vielen Stellungnahmen in der Öffentlichkeit geriet die indonesische Regierung unter Druck und kündigte an, ihre präventiven Massnahmen an Schulen und Universitäten zu intensivieren.

Pfarrer Supriatno, Koordinator der interreligiösen Friedensarbeit von Mission 21 in Indonesien, bestätigt: «Das interreligiöse Zusammenleben wurde durch die jüngste Terrorserie nicht beeinträchtigt, sondern eher gestärkt. Anstatt die Bevölkerung zu spalten und zu radikalisieren, hat der Terrorakt die kollektive Empathie zwischen Menschen verschiedener Religionen verstärkt.»
 
Katharina Gfeller

 

1 In der Erbfolge der mütterlichen Linie folgend.

Mission 21 und Indonesien
Das evangelische Missionswerk Mission 21 mit Sitz in Basel hat in jahrelanger Arbeit vertrauensvolle Beziehungen mit Partnerkirchen, aber auch mit muslimischen Bildungsstätten und NGOs aufgebaut. Dies macht Mission 21 zu einem glaubwürdigen Partner in der interreligiösen Friedens- arbeit. Weitere Informationen unter www.mission-21.org.


Katharina Gfeller

Katharina Gfeller (Jg. 1977) ist Programmverantwortliche für Indonesien. Die Friedensarbeit ist für sie eine Herzensangelegenheit. Katharina Gfeller hat zwei Jahre in Papua, Indonesien – einem Konfliktgebiet – gelebt und bedrohte Friedensbotschafter und Menschenrechtsverteidiger begleitet.