Auf Empfang für die Friedensvision

1. Adventssonntag: Jes 2,1–5; Röm 13,11–14a; Mt 24,37–44 od. 29–44

Die Wochen im Advent zeigen ein merkwürdig doppeltes Gesicht. Im Flackern der Lichter überall spiegelt sich das Allerlei von persönlichen, familialen und ökonomischen Erwartungen vor dem Fest der Feste. Die Sonntage im Advent sind mehr als eine Randnotiz dazu. Sie unterbrechen auf ihre Weise den Lauf der Dinge.

Alle Welt will verbunden sein. Von Mensch zu Mensch finden kurze Nachrichten ihren Weg, um sich mitzuteilen und anzukommen. Der Sog dieser geschäftigen Wochen führt viele in die Zerstreuung. Niemand zählt die Erwartungen. Sie gleichen hohen Bergen. Subito sollten alle möglichen Konflikte aus der Welt geschaffen sein: Wenn doch nur alle vom Lebensstandard Verwöhnten vom hohen Ross stiegen und die Menschheit endlich über den Berg! Anders die Einladung, im Advent auf Empfang zu gehen. Jedem Advent wohnt ein Anfang inne, die Chance zur Umstellung auf die Verheissung eines ungeahnten Wandels.

Mit dem Feuer der Zerstörungs-wut spielen?

In den ersten Zeilen von Jesaja 2 hebt die Vision an, vom Zions-Berg in Jerusalem werde der Herr sein Wort ausgehen lassen. Felsenfest die Ansage: «Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht.» Die Konflikte auf jene Art schlichtend, die Wandel hervorruft, wo die Menschen die Chance erhalten, Pflugscharen aus Schwertern zu schmieden, Winzermesser aus den Spitzen ihrer Speere. Kein Volk mehr Spielball von Waffen und ihren Händlern, die Nachkommen Jakobs dazu aufgerufen, im Licht zu leben, das «der Herr uns schenkt». Das visionäre Wort, das Jesaja hört, spielt nicht mit dem Feuer des alles zerstörenden Kriegs- Handwerks. Solche Vision meint nicht diplomatisches Kreisen um faulen Frieden. Wo der Stachel der Gerechtigkeit ausgeblendet bleibt, werden keine Pflugscharen und Winzermesser geschmiedet, die für neue Lebenschancen nützlich wären. Wie können solcher schon fast harmoniesüchtigen Vision Beine wachsen und Hände geliehen werden?

Wovon der Jesaja-Text spricht

Eine Harmonie im Jesajabuch finden, bleibt schwierig.1 Bereits Jes 2,1 markiert eine Zäsur. Wie in Mi 4,1–3 geht es um die Völker. Das Wort, das Jesaja in seiner Vision hört, vermittelt den vielen Nationen «eher eine positive Zukunftshoffnung» und «ermutigt auch das Hause Jakobs». Die Gedichtform der Perikope (H. Wildberger) verstärkt die eigentliche Heilsschilderung. Sie hat «bis heute eine sehr grosse Bedeutung». Im Sinne hebräischen Denkens weist der Text auf die «Vollendung der Geschichte durch Gottes Handeln», deutet diese also «keineswegs» apokalyptisch. Auf dem Zion steht das Haus Gottes, dem Jakob begegnete. An diesem Ort symbolisiert findet sich «das irdische Gegenstück zum himmlischen Jerusalem». Hierher pilgern verschiedene Völker in erster Linie «um Gott zu begegnen», nicht etwa «um eine Heilige Kultstätte zu besuchen». Im Subtext der Stelle höre ich die vielen Nationen an diesem Ort mit ihrem «Wunsch, von dem Herrn in dessen Wegen unterwiesen zu werden» ebenso wie dem «Wunsch, diese Wege oder Pfade dann auch zu gehen» (W. Beuken). Hier schon wird wichtig, was später lautet: «... denn mein Haus wird ein Bethaus heissen für alle Völker» (Jes 56,7). Zion wird zur «Chiffre für das erhoffte Heil». Mit Jes 2,4 wird klar, dass an diesem Ort «Gottesrecht bei den Völkern durchgesetzt wird» und die Vision der vollständigen Vernichtung aller Waffen für alle Zeiten angesagt ist. Doch nicht nur die Waffen werden abgerüstet, auch «die Gesinnung der Menschen. Gott wird zur Mitte der neuen Welt» (H. Frey).

Sehnsucht nach gerechten Verhältnissen

Prophetisch bleibt die Vision, dass Konflikte «nicht mehr mit Waffen ausgetragen werden» müssen und Friede heranwächst aus gerechten Verhältnissen. Visionen vermitteln Ziele, die der Menschheit über den Berg helfen, die sie demütiger stimmen, nicht auf Waffen, sondern auf Neu-Aushandeln gerechter Partnerschaften zu setzen. In der Informationsgesellschaft sind viele nur mehr auf Sendung, um im Geschäft zu bleiben. Seelsorgende sagen, was sie an gestörtem Empfang mitbekommen, wo Zerbrochenes nicht mehr zusammengebracht, innere Stärke verloren, keine Kraft mehr vorhanden ist, um die Dinge auf die Reihe zu bringen.

«… wie soll ich dich empfangen»

Die Melodie zu Paul Gerhardts Text aus Bachs Weihnachtsoratorium bleibt unbeschreiblich. Gleichzeitig spannt sie den Bogen zur Passionszeit.2 Wie ihn als Kind empfangen, der später ein leidender Mensch voll Blut und Wunden sein wird? Es war nicht die Art des gottbegnadeten Jesus, zu einem diplomatischen Empfang zu versammeln. Der Blick auf die Lebensbahn des Kindes, für welches im Advent die Türen aufgehen, ist Diplomaten dennoch zu empfehlen, um den Aufbau gerechter Verhältnisse nicht aus den Augen zu verlieren. Denn die Vision vom kommenden Frieden ist unauslöschlich. Es fällt auf, dass jede menschliche Kulturleistung ursprünglich in religiöser Sphäre beginnt, woraus kreative Kräfte geweckt werden. Es ist der Weg, den Jesaja umschreibt: «… wir wollen in dem Licht leben, das der Herr uns schenkt.» Das bedeutet, auf Empfang umschalten, sich selber und die menschlichen Institutionen auf diese Botschaft einstellen. Der Widerhaken des Evangeliums macht darauf aufmerksam: «Seid wachsam!» (Mt 24, 42 ff.). Die Brisanz liegt im glaubwürdigen Zeugnis jener, die sich aktuell Christinnen und Christen nennen: «Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst.» (Alfred Delp)

 

1 Vgl. die im WS 2010/11 an der Evangelischen Hochschule Tabor erstellte Seminararbeit von Lydia Fischer: Exegese von Jesaja 2,1–5. Studienarbeit, Books on Demand, Norderstedt, 2011, www.grin.com/de/e-book/231751/exegese-von-jesaja-2-1-5 (Hinweise und Zitate hier ohne Angabe der Seitenzahlen).

2 Teil I (Nr. 5) des Weihnachtsoratoriums und KG 389 «O Haupt voll Blut und Wunden».  


Stephan Schmid-Keiser

Dr. theol. Stephan Schmid-Keiser promovierte in Liturgiewissenschaft und Sakramententheologie. Nach seiner Pensionierung war er bis Ende 2017 teilzeitlich Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung. (Bild: zvg)