Auf der Suche nach der Wahrheit

Carmen Glaus ist mit Leib und Seele Religionspädagogin. Besonders die Arbeit mit Jugendlichen möchte sie nicht missen. Trotzdem beginnt sie jetzt noch mit dem Theologiestudium.

Carmen Glaus (1986) liebt ihre Arbeit als Religionsädagogin. (Bild: zvg)

 

Gewählt hat Carmen Glaus den Beruf der Religionspädagogin eigentlich nicht – es hat sich so ergeben. Als dipl. Pflegefachfrau im Berner Inselspital arbeitete sie mehrheitlich mit Suizidpatienten, Drogensüchtigen und Unfallpatienten. Dadurch kam sie immer wieder mit der Frage in Berührung: Lohnt sich das Leben? «Ich merkte, dass ich die Antwort nicht hatte», erinnert sich Glaus. «Als Pflegefachfrau brauchte ich auch keine Antwort, ich musste einfach für die Patienten da sein.» Doch die Frage liess sie nicht los und ihr wurde bewusst, dass sie für sich eine Antwort brauchte. Sie, die sich bisher nicht gross mit dem Glauben auseinandergesetzt hatte, begann sich mit der Religion zu befassen. Sie besuchte einige Gottesdienste von Freikirchen, von denen es in Bern so viele gibt. Doch sie musste für sich feststellen: «Das ist es nicht.» Zurück in Luzern kam sie durch eine Kollegin mit einem 95-jährigen Priester in Kontakt, der in einem Altersheim in Sachseln OW lebte. Mit ihm traf sie sich einmal in der Woche zum Gespräch über den Glauben und die katholische Kirche. «Ich merkte, wie mich die Theologie faszinierte.» Auch das soziale Engagement der Kirche berührte sie sehr.

Durst nach Wissen

Eines Tages stand sie vor der beruflichen Entscheidung: Entweder besuchte sie eine Tanzausbildung oder machte eine Zusatzausbildung in der Notfallpflege. Doch Glaus spürte, dass beide Ausbildungen sie nicht wirklich glücklich machen würden. So beschloss sie, sich für den Entscheid eine Woche Zeit zu nehmen. In dieser Woche realisierte sie, dass sie die Frage anders stellen musste: also nicht «Welche von beiden Ausbildungen wähle ich?», sondern «Was würde ich tun, wenn ich ganz am Anfang meiner beruflichen Ausbildung wäre?». Und ihre Antwort war klar: «Dann würde ich Theologie studieren!» Zu diesem Zeitpunkt war Glaus 27 Jahre alt, konfessionslos und hatte eine Ausbildung als Pflegefachfrau. Sie erkundigte sich bei der reformierten Kirche, welche Möglichkeiten es für ein Theologiestudium gäbe. Diese wollte wissen, ob sie reformierte oder katholische Theologie studieren wolle. «Das war mir ziemlich egal», erzählt Glaus und lacht bei der Erinnerung. «Ich wollte einfach die Frage nach Gott klären.» Sie wurde an die reformierte Uni-Seelsorgerin in Luzern verwiesen. Beim Rundgang durch die Uni stellte ihr diese auch das RPI vor und es kam zu einem Gespräch mit Nicola Ottiger, einer Dozentin am RPI. Von ihr erfuhr Glaus, dass die Ausbildung am Institut auch berufsbegleitend möglich wäre. Das gefiel ihr. Der Studienleiter, damals noch Markus Arnold, wollte von ihr wissen, ob sie sich vorstellen könne, Religionsunterricht zu erteilen. Glaus musste zugeben, dass sie das nicht wisse. «Ich wusste nur, dass ich mich für Theologie interessiere und ich mich vor keiner Arbeit drücken würde.» Da sie in ihrer Zeit im Spital bereits Auszubildende betreut hatte, wollte sie es versuchen. Sie bestand das Aufnahmeverfahren und nahm in der Woche vor Studienbeginn den katholischen Glauben an.

Freiheit versus Strukturen

Das Grundstudium absolvierte sie mit Begeisterung. Endlich konnte sie sich mit ihren Fragen zu Gott und Glauben auseinandersetzen. «Ich habe alles aufgesogen wie ein Schwamm. Es war ein Luxus, den ich mir gegönnt habe.» Sie merkte aber auch, dass ihr grundlegendes Wissen fehlte. Mit dem Priester hatte sie über die Theologie und das soziale Engagement der katholischen Kirche gesprochen, aber nie über deren Strukturen und Ämter. «Ich wusste noch nicht einmal, was ein Bistum ist», erinnert sie sich. Als ein freiheitsliebender Mensch hatte sie Mühe mit der Begleitung durch ein Bistum. «Ich verstand diese Welt nicht und fragte mich, warum man alles so kompliziert macht.» Auch die Hierarchie und die Strukturen waren ihr fremd. Glaus war es in ihrem früheren Beruf gewohnt, dass sie bei einer Visite den Arzt durch gute Argumente überzeugen konnte. Sie musste lernen, dass es in der katholischen Kirche anders läuft. «Hier gibt es Wahrheiten, die sind einfach festgelegt. Punkt. An denen wird nicht gerüttelt.» Inzwischen nimmt sie es mit Humor.

Mit Jugendlichen unterwegs

In der Pfarrei sollte Glaus die Jugendarbeit aufbauen – eine Aufgabe, vor der sie Respekt hatte. Doch sie merkte schnell, dass es gar nicht so schwierig war. Ihr Rezept: «Man muss sich wirklich für die Jugendlichen interessieren und man muss sich bewusst sein, dass sie das Ziel vorgeben und nicht wir.» Freiheit ist Glaus wichtig, und so setzt sie sich auch konsequent für die Freiheit der Jugendlichen ein. «Alles, was jemandem übergestülpt wird, geht für mich nicht. Ich habe es selber nicht gerne, also will ich es auch bei anderen nicht machen», hält sie vehement fest. Manchmal helfe es in der Jugendpastoral, wenn die Jugendlichen merkten, dass auch sie als Religionspädagogin gewissen Zwängen unterworfen sei.

Von einer angeblichen Flaute in der Jugendpastoral hat sie nichts gemerkt. In den Pfarreien, in denen sie tätig war, lief die Jugendpastoral. Die Jugendlichen hätten ein gutes Gespür dafür, ob sich jemand wirklich für sie interessiere und mit ihnen zusammen etwas aufbauen oder nur ein Ergebnis wolle. Glaus fragte die Jugendlichen jeweils, was sie wollen. Das funktionierte gut. So kamen die Jugendlichen z. B. mit dem Wunsch, Weihnachten zu feiern. Sie stellten, unterstützt durch Glaus, alles alleine auf die Beine und engagierten sich sehr. Am Schluss nahmen 400 Jugendliche an der Weihnachtsfeier teil. Dieser partizipative Ansatz ist ihr sehr wichtig. Auch in der Gottesdienstvorbereitung. «Die Verantwortung für einen Schulgottesdienst tragen die Jugendlichen und der Priester. Ich als Religionspädagogin schaue nur, dass die Jugendlichen das nötige Rüstzeug dafür haben.» Während ihrer Arbeit mit Jugendlichen merkte sie auch, dass diese Probleme hatten, Lesungstexte zu verstehen. Das einmalige Hören im Gottesdienst reicht nicht. Es war ihr deshalb wichtig, die Texte im Vorfeld zu besprechen. Zudem machten die Jugendlichen im Gottesdienst jeweils eine Auslegung des Textes in ihrer Sprache. Dies bedeutet einen grossen Zeitaufwand, doch er lohnt sich. «Ich bin selber noch auf der Suche», erklärt Glaus. «Dies muss ich mir immer wieder bewusst machen.» Die Jugendlichen seien offen für theologische Fragen, wenn ihnen erst einmal bewusst sei, wo in ihrem Leben der Glaube hineinspiele. Dabei ist es Glaus wichtig, nicht einfach das Bild «vom lieben Gott» zu vermitteln. Viele Jugendliche könnten Gott nicht spüren oder hätten Brüche in ihrer Beziehung zu Gott. «Ich finde es enorm wichtig, als Religionspädagogin diese Bruchstelle wahr- und ernst zu nehmen. Sie schätzt an den Jugendlichen, dass diese kritisch seien, auch mal eine freche Frage stellten oder sich schwierig verhielten. «Ich bin selbst auch kritisch. Die Dozenten am RPI hatten es nicht immer einfach mit mir.» Für sie verwirklicht sich Kirche vor allem in der Jugendarbeit; wenn Menschen etwas zusammen erarbeiten, das lebendig ist.

Sie kann es nicht lassen

An der Ausbildung am RPI schätzt sie besonders die Verknüpfung von Theorie und Praxis. Man werde kompetent und auch ehrlich auf die kommenden Aufgaben vorbereitet. Ehrlich deswegen, weil sie lernten, dass ihre zukünftige «Klientel» nicht einfach auf sie gewartet hätte. Man lerne, das System und die Zielgruppe zu verstehen und kompetent zu reagieren. «Ohne die Ausbildung am RPI hätte ich mich in verschiedenen Situationen überfordert gefühlt», gibt Glaus zu. «Ich würde das RPI sofort wieder machen, ich weiss aber nicht, ob sie mich noch einmal nehmen würden», meint sie mit einem Schmunzeln.

Obwohl die frisch gebackene Mutter ihre Arbeit als Religionspädagogin liebt, wird sie mit dem Theologiestudium beginnen. Sie ist immer noch fasziniert von der Theologie und kann es einfach nicht lassen. «Ich will weiterhin mit Menschen arbeiten und mit ihnen auf der Suche nach der Wahrheit sein. Deshalb muss ich selber auf der Suche nach der Wahrheit bleiben.»

Rosmarie Schärer