An den Krieg erinnern, damit er verschwindet

Il Viandante (Der Wanderer) von Pedro Pedrazzini, nahe Gotthard-Passhöhe © Stephan Schmid-Keiser

29. Sonntag im Jahreskreis (16.10. zu Ex 17,8–13 ) bis 19.9.

Eben noch (Ex 17,6) schlägt Mose Wasser aus dem Felsen für das durstige und streitlustige Volk. Die Frage, ob Gott überhaupt eine Rolle spielt, steht im Raum. "Ist JHWH in unserer Mitte, oder nicht?" Eben noch gedenkt man dieser Stelle (V7) und nennt den Ort Massa und Meriba, Streitwasser1, an dem mit Mose und Gott gehadert wurde – da greifen die Amalekiter an. Prompt ergeht der Verteidigungsbefehl an Josua. Sowohl Amalek2 als auch Josua tauchen hier etwas unvermittelt in dem Erzählbogen der Wüstenwanderung vor dem Sinai auf. Der Text verzichtet komplett auf militärische Details. Hier wird nicht beschrieben, ob Josua kampferfahren ist oder ob sich sonst irgendwie auszeichnet oder was für Männer er sich sucht. Die Erzählung scheint sich nicht für den Krieg zu interessieren, sondern treibt eine andere Art von Bildrede auf die Spitze. Zentral sind der "Gottesstab", die Hände des Mose und deren Zusammenhang mit Josua, der mit seinen Leuten direkt mit dem Feind in Kontakt ist. Das Bild der vordersten Front ist naheliegend, wird aber vom Text nicht bedient.

Von Hand zu Hand

Das Motiv der ausgestreckten Hand Mose oder des Befehls JHWHs, dass Mose den Stab ausstrecken soll, findet sich auch beim Teilen des Meeres (Ex 14) oder eben beim Wasser, das aus dem Felsen geschlagen wird. Jetzt aber handelt Mose "auf eigene Faust". Er nimmt den Stab als Zeichen für seine Verbindung zu Gott. Doch er alleine kann den Stab nicht halten. Als sein dem Himmel entgegengetreckter Arm sinkt, verliert Josua (V11).

Erst als andere Hände (die von Aaron und Hur) seine Arme stützen, sind auch Josua und seine Leute dem Feind überlegen. Josua und seine Männer sind auf Mose und die Männer angewiesen und umgekehrt. Josuas Geschick hängt ganz von Mose und dessen Beziehung zu Gott ab. Dass die ganze "Schlacht" nur einen Tag dauert, unterstreicht, dass es hier nicht um den Krieg geht, sondern um eine Haltung, die den Feind zu überwinden vermag. Einige3 übersetzen ויחלש (wa’jachalosch) in V13 mit "Dann schwächte [eben nicht ‹besiegte›] Josua Amalek und sein Volk mit der Schärfe des Schwertes4." Der Feind bleibt im Kontext weiter bestehen und ist nicht weg.

Wer ist Amalek?

In Dtn 25,17–19 wird daran erinnert, dass Amalek die geschwächten Nachzügler anfiel. Zum Attribut als Feind Israels kommt die Niedertracht hinzu. Amalek wird zur Chiffre, zum Feind schlechthin. Diese Art der Bedrohung gilt es mit scharfer Zunge und dem Schwert der Zerstreuung zu schwächen. Und er wird tatsächlich schwach, solange die Haltung des Anführers sich Gott allein zuwendet und das Tun der Gemeinschaft mit dieser Haltung verbunden ist.

Die Erfahrungen von Unterdrückung und mörderischer Gewalt verdichten sich in jüdischer Tradition zu einem Begriff: Amalek. "Beim Sederabend an Pessach wird gesungen: ‹… nicht etwa nur Einer erhob sich, um uns zu verderben, sondern in jedem Zeitalter stand man wider uns auf, um uns zu vernichten.› So ist Agag, der in der Zeit Sauls Krieg gegen Israel führt, ein Amalekiter (1Sam 15), und auch Haman, der im Buch Ester alle Juden Persiens vernichten will, ist eine Verkörperung Amaleks. Die Rabbinerin Elisa Klapheck führt das weiter: ‹Hitler ist Amalek. Die Schoa und der Zweite Weltkrieg sind das Werk Amaleks. Amalek – das ist das radikal Böse.›5» Wenn dieser Name ausgelöscht werden soll, bedeutet es, dass niemand mehr so sein darf wie Amalek, der die Schwachen und Nachzügler angeht oder ihnen Hilfe verweigert.

Ur-Kunde weitergeben

Es ist sehr bedauerlich, dass die Leseordnung die Verse 14–16 nicht vorsieht. Der Kampf ist zwar in V13 vorbei, aber erst ab V14 wird offenbar, was JHWH von seinem Volk möchte: "Danach sprach JHWH zu Mose: Halte das zur Erinnerung in einer Urkunde fest und präg es Josua ein!6 Denn ich will die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel austilgen. […] Krieg ist zwischen JHWH und Amalek von Generation zu Generation."

Es gibt keinen Jubel über den Sieg, aber JWHW ist wieder in ihrer Mitte. Zum ersten Mal bekommt Mose den Auftrag, etwas aufzuschreiben. Es ist unklar, was mit "dies" gemeint ist, ob der Kampf aufgeschrieben werden soll oder das Vermächtnis, dass die Erinnerung an Amalek ausgetilgt werden wird. Neben dem Auftrag zur Verschriftlichung steht gleichzeitig das Einprägen in V14. Hier wird deutlich, dass Josua nicht nur der Heerführer ist, sondern als Nachfolger Mose in die Erzählung kommt.

Der Altar (V15) könnte neben Urkunde und mündlicher Weitergabe als drittes Erinnerungsmedium dienen – optisch sozusagen. Aber der Kampf Gottes (V16) gegen den Feind bleibt weiterhin vom Handeln des Menschen abhängig, von Händen, die den Schwachen stützen und von dem, was uns von den Ur-Kunden göttlicher Weisung in den Ohren klingt.

 

1 Luther übersetzt mit "Haderwasser".

2 In Gen 32,10–13 und 36,16 taucht der Name auf für eine Einzelperson (Enkel des Esau), hier eher eine Gruppe, "die Amalekiter".

3 Vgl: Christoph Domen: Exodus 1–18 in LThKAT, Freiburg 2015 folgt Buber/Rosenzweig. Oder "So hielt Joshua die amalekitischen Stämme mit Waffengewalt nieder." in: Bibel in gerechter Sprache.

4 " לפי חרב " (le’fi-chäräw) eigentlich "mit dem Mund des Schwertes". Die "Schärfe des Schwertes" gibt im Deutschen die Mehrdeutigkeit des Hebräischen kaum wieder, das gefrässige Schwert oder die scharfen Zungen, die eher an eine Einverleibung des Feindlichen erinnern.

5 Peter Zürn zitiert Elisa Klapheck in: Schweizerisches Katholisches Bibelwerk, Die siebzig Gesichter der Schrift. Auslegung der Alttestamentlichen Lesungen – Lesejahr C, Freiburg, 2012, 262. באזני יהושע 6 (be’osne jehoschua) wörtl. "dem Joshua in die Ohren legen".

Katja Wissmiller

Katja Wissmiller

Die Theologin, Fotografin und Journalistin Katja Wissmiller ist Mitarbeiterin der Bibelpastoralen Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks in Zürich.