Am Anfang war das Wort

Zahlreiche geladene Gäste aus Kirche und Politik sowie eine grosse interessierte Öffentlichkeit waren am 24. Oktober 2016 zum Dies academicus nach Chur an die Theologische Hochschule (THC) gekommen. Die Festrede hielt Sr. Ingrid Grave OP, und Rektor Christian Cebulj reflektierte über die Krise religiöser Sprache.

In Anlehnung an den Prolog des Johannesevangeliums «Im Anfang war das Wort» (Joh 1,1) diagnostizierte Rektor Christian Cebulj in seiner Begrüssungsansprache zunächst eine Krise der religiösen Sprache. Er dachte entlang der Frage «Wie heute von Gott sprechen?» über deren Möglichkeiten und Grenzen nach. Je konkreter «Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen» (Gaudium et Spes 1) im Mittelpunkt stünden, umso mehr würden die Grenzen der überlieferten Glaubenssprache und der theologischen Begriffssprache hervortreten. Zugleich dränge sich die Frage auf, ob überhaupt alternative Sprachen für das Religiöse zur Verfügung stehen.1

Religion als Fremdsprache?

Cebulj verglich die religiöse Sprache mit einer Fremdsprache. Die überwiegende Mehrheit der Menschen heute verstehe religiöse Sprache nicht mehr als «Muttersprache», sondern eher als «Fremdsprache». Das zeige sich daran, dass viele Menschen das, was sie glauben und wie sie sich Gott und die Welt erklären, nicht mehr in geeignete Worte fassen können, weil ihnen die Sprache dazu fehlt.2

Dabei ist die Diagnose einer «Sprachkrise» nicht neu. Sie wird seit über 40 Jahren beklagt. Doch greift sie zu kurz, da sie an der Oberfläche bleibt. Der Glaube daran, nur eine bessere, gegenwartsnähere Sprache könne die Probleme der Glaubensvermittlung lösen, sei naiv, so Cebulj. Sprache und Denken, Sprache und religiöse Vorstellungen seien viel zu eng ineinander verwoben, als dass man nur die sprachliche Oberfläche verändern müsse, um einen immer gleichbleibenden Kern von Theologie und Glaube zugänglich zu machen. Das müsse auch als Kritik am neuen Buch von Erik Flügge angebracht werden.3 Er sei zwar ein Meister der Provokation und stelle viele zutreffende Mängel an der heutigen Kirchensprache heraus. Im Kern gehe es aber nicht nur um ein Vermittlungsproblem, sondern ein Problem der Theologie als Theologie, weil sie als wissenschaftliche Rede von Gott vor ein grundsätzliches Sprachproblem gestellt sei. Nach Karl Rahner hat es die Theologie mit der grundsätzlichen Ohnmachtsspirale religiöser Rede zu tun: Wie soll ich in Sprache fassen, was ich im Letzten selber nicht ganz verstehe, das Geheimnis, das wir Gott nennen? Wie soll ich verstehen, wofür ich letztlich keine Sprache habe? Diese Spirale sei nicht leicht aufzuhalten. Dennoch müsse die Theologie in kreativen Metaphern die alte Sprache des Glaubens immer wieder neu sagen.

Am Anfang war die Irritation

Die aus dem Schweizer Fernsehen bekannte Schwester Ingrid Grave OP (Zürich/ Kloster Ilanz) unternahm in ihrer Festrede eine Spurensuche religiöser Sprache in der 800-jährigen Tradition des Dominikanerordens. Sie stellte heraus, dass die ersten Gemeinschaften, die der hl. Dominikus gründete, Frauengemeinschaften waren. Die Zeit des Gründers Dominikus, der 1170 in Kastilien geboren wurde, schildert Sr. Ingrid in ihrem spannenden Referat als «Zeit der Irritation». Dominikus kam in Kontakt mit der Bewegung der Katharer bzw. Albigenser. Als religiöse Armutsbewegung in Südfrankreich und Nordspanien traten diese gegen das kirchliche Establishment an. Die später als Ketzer verurteilten Katharer verstanden es, in der Sprache des einfachen Volkes zu sprechen, und hatten grossen Zulauf. Ihrem Ideal folgend, gründete Dominikus 1207 das erste dominikanische Frauenkloster in Fanjeaux. Die eigentliche Ordensgründung erfolgte 1216 in Toulouse. Berühmte Dominikaner waren Albertus Magnus und Thomas von Aquin, der grösste Theologe und Philosoph des Mittelalters. Dominikus starb bereits 1221, fünf Jahre nach der Gründung, wahrscheinlich völlig ausgezehrt, im Alter von etwa 50 Jahren, in Bologna im Kreis der dort ansässigen Brüder. In der Dominikanerkirche in Bologna findet sich sein Grabmal.

Mit Begeisterung schilderte Sr. Ingrid Grave die starken Frauenfiguren des Ordens wie etwa Katharina von Siena, die Mystik und Politik miteinander verband. Es sei mehr denn je aktuell, den Menschen das Evangelium Jesu Christi zu predigen. Das müsse in Konzepten der Zeit geschehen, deshalb gelte es, sich von der «eingeschliffenen» Kirchensprache zu verabschieden. Nur eine Predigt, die etwas mit dem Leben der Menschen zu tun habe, sei glaubwürdig, so Grave.

Churer Maturapreis für Religion

Der Churer Maturapreis für Religion 2016 ging an Janine Waldvogel (Stiftsschule Einsiedeln) für ihre Untersuchung zum Thema «Religiosität an der Stiftsschule». Platz zwei ging an Giuliana Frisenda (Kantonsschule Heerbrugg/SG), die sich mit dem Thema «Islamfeindlichkeit im St. Galler Rheintal» beschäftigt hatte. Der Anlass an der THC schloss mit Begegnung und Austausch mit der zahlreich erschienenen Öffentlichkeit. 

1 Vgl. dazu Altmeyer, Stefan: Fremdsprache Religion? Sprachempirische Studien im Kontext religiöser Bildung, Stuttgart 2011.

2 Vgl. Cebulj, Christian: Religion als Suchsprache. Mehrsprachiger Religionsunterricht als religionsdidaktische Lernchance, in: Lintner, M.: God in Question. Religious language and secular languages, Brixen 2014, S. 165–175.

3 Vgl. Flügge, Erik: Vom Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt, München 2016.

Christian Cebulj

Christian Cebulj

Dr. Christian Cebulj ist Rektor der Theologischen Hochschule Chur (THC) und betreut den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Katechetik.