Akteurinnen des Wandels

 

Zwei Jahre nach der Einführung des Frauenstimmrechts wurde ich 1973 als junge Frau zur ersten Richterin im Kanton Luzern gewählt. An meiner ersten Gerichtsverhandlung mit sechs Richterkollegen verweigerte mir der klägerische Anwalt den Gruss mit der Bemerkung: «Diese Frau hat nichts verloren in diesem Saal. Ihr sage ich nicht ‹Grüezi›.» In der Zwischenzeit haben sich Richterinnen an Gerichten längst etabliert und seit Jahren prägen auch Untersuchungsrichterinnen, Staatsanwältinnen und Gefängnisdirektorinnen unsere Gesellschaft. In gewissen strafrechtlichen Verfahren ist es von Vorteil, wenn Angeklagte auch von Frauen angehört oder einvernommen werden können.

Eine der ersten Frauen in der nationalen Politik war unsere Luzernerin Dr. h. c. Josi Meier. Als Ständeratspräsidentin rief sie 1991 einmal vor versammelter Kulisse auf: «Die Frauen gehören ins Haus: ins Gemeindehaus, ins Rathaus, ins Bundeshaus.» Die Frauen folgten diesem Aufruf. Auf Bundesebene wurde eine Frauenkommission gegründet. 2010 stellten während 14 Monaten vier Frauen die Mehrheit im Bundesrat! Auch im Volk wurden die Frauen aktiv. In den Kantonen entstanden Frauengruppierungen und die Parteien setzten sich bei den Wahlen gezielt für Frauenkandidaturen ein.

Einen markanten Schub in Bezug auf die Stellung der Frau in unserer Gesellschaft löste zweifellos das neue Eherecht aus, das 1988 in Kraft trat. Seither ist die Frau nicht mehr dem Manne untertan und der Mann ist auch nicht mehr das Haupt der Familie. Die eheliche Wohnung kann nicht mehr vom Ehemann allein bestimmt werden und er muss nicht mehr allein in gebührender Weise für Weib und Kind sorgen. Längst darf die Ehefrau einer ausserhäuslichen Tätigkeit nachgehen; auch ohne Zustimmung ihres Mannes.

Diese Errungenschaften stärkten das Selbstbewusstsein vieler Frauen. Diese sind längst in allen Berufen, Ämtern und Organisationen vertreten und integriert. Sie holen sich Bildung und Fachwissen wie die Männer auch; nur beim Lohn gibt es noch Unterschiede. «Was wollen die Frauen in der Schweiz? Sie haben uns geschrieben!» Diese Frage stellte ganz konsterniert ein Nationalrat bei der Diskussion der 10. AHV-Revision in den Raum. Die Schweizer Frauen, vertreten durch den Dachverband sämtlicher Frauenorganisationen, forderten erstmals alle Nationalräte in einem Brief auf, die Ehepaar-Altersrente durch zwei individuelle Altersrenten zu ersetzen. Bis zu dieser Revision existierte die Ehefrau im AHV-Gesetz nicht; sie war nur mitgemeint. Dank der Unterstützung aller Nationalrätinnen aus sämtlichen Parteien wurde bei dieser Revision ein Bonus für die Erziehungs- und Betreuungsarbeit in der Familie eingeführt. Erstmals fand in einem Gesetz die Familienarbeit Anerkennung.

Auch die Entwicklungszusammenarbeit setzt auf die Frauen, da längst bekannt ist, dass Veränderungen primär durch Frauen bewirkt werden. Nur die Kirche in Rom verweigert den Frauen hartnäckig die Gleichstellung. Ob Rom den Einfluss der Frauen fürchtet, da seit 1971 die Frauen in der Schweiz zu Akteurinnen des grossen Bewusstseinswandels geworden sind?

Rosmarie Dormann*

 

* Rosmarie Dormann (Jg. 1947) ist Sozialarbeiterin und Mediatorin. Sie war Gemeindefürsorgerin von Littau und 13 Jahre Amtsvormund der Ämter Sursee/Hochdorf. Mit 26 Jahren wurde sie zur nebenamtlichen Richterin am Amtsgericht Hochdorf gewählt. Von 1987 bis 2003 war sie Nationalrätin und in dieser Funktion vornehmlich in der Bildungs- und Sozialpolitik engagiert.