200 Jahre Basler Mission: «Unverschämt viel Hoffnung»

Ein Rückblick auf das Jubiläum von 2015

Vor gut 200 Jahren gründete die pietistische Deutsche Christentumsgesellschaft mit Zentrum in Basel die Basler Missionsgesellschaft. Sie erhielt den Auftrag, Verkünder des Evangeliums des Friedens auszubilden. Die Gründungszeit hatte ihre Wurzeln in der pietistischen Erweckungsbewegung mit ihrer subjektiven Frömmigkeit, sie teilte nach der Französischen Revolution eine apokalyptische Weltdeutung. Mit der Gründung von christlichen Werken war das Verständnis verbunden, einen eigenen Teil zur Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden beizutragen. Missionstätigkeit wurde als eine Wiedergutmachung verstanden für das, was europäische Christen in ihren Kolonialisierungsfeldzügen und mit der Sklaverei in den eroberten Gebieten angerichtet hatten. Missionare sollten als Boten der Versöhnung auftreten. Sie sollten «unverschämt viel Hoffnung» in die Welt tragen. So wurden in den vergangenen 200 Jahren knapp 4000 Missionare ausgesandt. Vor allem wirkten Einheimische vor Ort und gestalteten die Mission, indem sie als Evangelisten die gute Nachricht verbreiteten und Kirchen gründeten, betonte Pfarrerin Claudia Bandixen, Direktorin von Mission 21.

Die Jubiläumsfeiern und Anlässe 2015 widmeten sich der Frage nach Bedeutung und Auftrag von Mission in der Zukunft. Der Sankofa-Vogel repräsentierte das Symbol des Jubiläums: In der Kultur des ghanaischen Akan-Volkes steht er für ein Lernen aus der Vergangenheit im Blick auf eine bessere Zukunft. So sollte das Jubiläum vergessene Potenziale und nicht realisierte Chancen aus der eigenen Geschichte neu entdecken.

Ökumenische Ausrichtung

Die Basler Mission richtete sich innerhalb des Protestantismus ökumenisch aus. Heute arbeiten auch Katholiken in Mission 21, jedoch keine evangelischen Freikirchen, welche eigene Missionswerke aufbauten. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts öffnete sich die Basler Mission theologisch der historisch-kritischen Methode, anders als evangelikale Freikirchen. Sie arbeitete mit Kirchen und kirchlichen Organisationen vor Ort zusammen. Ein grosses Verdienst der Basler Mission ist die erbrachte Verschriftlichung einheimischer Sprachen in Indien und Ghana (ehemalige Goldküste).

In der heutigen Mission 21 sind verschiedene Missionsgesellschaften als Trägervereine zusammengeschlossen, davon als grösste die Basler Mission neben der Herrnhuter Brüdergemeine und der Evangelischen Mission im Kwango. Heute zählt Mission 21 70 Partnerkirchen in 21 Ländern. Sie vertritt die neue Missionserklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen, die zu einer Mission von den Rändern, von den Betroffenen her aufruft, erklärte Dr. Christine Christ-von Wedel, Ehrenpräsidentin und Trägerin des Wissenschaftspreises der Stadt Basel 2015. Mission 21 unterstützt derzeit über 100 Projekte vor allem in Afrika (dazu auch in Asien und Lateinamerika). Von zentraler Priorität sind Armutsbekämpfung, wie in Peru und Bolivien durch die Stärkung von Kleinbauernfamilien, Ernährungssicherung und Einkommensförderung; Bildungsarbeit im Südsudan, Kamerun und theologische Ausbildung in Chile, Costa Rica und Argentinien mit einem befreiungstheologischem Ansatz; Gesundheitsversorgung in Kamerun, Ghana; insbesondere HIV-Prävention D. R. Kongo, Nigeria, Tansania, Südsudan; Friedensarbeit: Trauma- und Versöhnungsarbeit im Südsudan; Frauenförderung: Bildungsarbeit für Frauen und Bewusstseinsarbeit über Gewalt gegen Frauen in Indien; in Ostasien: Stärkung des Umweltbewusstseins in Südkorea, um nur einige zu nennen.

Geänderter Missionsauftrag

Der Missionsauftrag hat in den zweihundert Jahren eine andere Gewichtung erhalten. Heute geht es um ein solidarisches Einstehen füreinander im Einsatz für die Würde der Menschen, zum Beispiel in Nigeria gegenüber dem Terror von Boko Haram, denn zur Aufgabe der Mission gehört (weiterhin) die Friedensförderung. Als sichtbares Beispiel dafür wollte die stille Mahnwache vor dem Bahnhof SBB in Basel aufmerksam machen und aufrütteln mit dem Motto «Wir schweigen. Aber nicht nur» und mit der Verteilung von Armbändern mit je einem Namen der durch Boko Haram Entführten und Ermordeten. Claudia Bandixen verband die Aktion mit dem Aufruf zu Solidaritätsaktionen. In Nordnigeria sind 650 000 Menschen vor Boko Haram auf der Flucht. Die «Kirche der Geschwister» engagierte sich dort seit Jahren für friedliche Beziehungen über die Religionsgrenzen zwischen Christen und Muslime hinweg in interreligiöser Zusammenarbeit in gemeinsamen Projekten zur Wasserversorgung und für Ausbildung.

So dienten die Jubiläumsveranstaltungen dem Blick zurück auf Gutes und Schwieriges, Problematisches und Gelungenes, für den Blick nach vorn. Am Internationalen Symposium zu «Mission 21 – neue Perspektiven und Schritte in die Zukunft» als Zwischenbilanz ihrer Geschichte wurden einige Mythen über «Mission» dekonstruiert. Vorurteile über Mission bestehen zum Beispiel in der Auffassung, Mission gehe einseitig von Nord in Richtung Süd. Jedoch korrigierte Andreas Heuser, Professor für Aussereuropäisches Christentum (mit Schwerpunkt Afrika) in Basel, auch die Auffassung einer Umkehrmission von Süd nach Nord zur Rückgewinnung der säkularen Schweiz. Damit kam das Thema von Migrationskirchen und ihrer Stellung in den Blick. Die meisten Anhänger zum Beispiel der Megakirche «Lighthouse Chapel» (Ghana) suchten bei uns jedenfalls keinen geistlichen Austausch mit der (Schweizer) Bevölkerung. Andererseits bestehe in Mainstreamkirchen eine Urangst vor dem Charismatischen, und eine gegenseitige Abwertung finde statt. Mission sei polyzentrisch, erklärte Heuser, sie sei ein Geben und Nehmen zwischen gleichgestellten Partnern. John Mbiti, emeritierter Professor für Missionswissenschaft und Aussereuropäische Theologie (Bern) und Übersetzer der Bibel aus dem Griechischen ins Kiikamba (die 2014 in Kenia erschien), äusserte seine Erfahrungen mit Migrationskirchen. Deren Mitglieder erlebten bei uns zu wenig eine von Missionaren ausgegangene Spiritualität, die sie weiterentwickelt hätten. Die zentrale Bedeutung des Gottesdienstes, vor allem in pfingstlichen Freikirchen, komme für sie nahe an die Spiritualität der Missionare heran, die sie bewahren möchten. In diesem Sinne wollten sie die Kirchen Europas missionieren. Sie erlebten den Unterschied zur Landeskirche und nahmen Distanz, um eine eigene Kirche zu gründen.

Migrationskirchen in Europa

Inzwischen gibt es in Europa Hunderte von Gemeinden und Kirchen, die von Christinnen und Christen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der Karibik gegründet worden sind und die von ihnen geleitet werden. Für Mbiti fehlt jedoch eine ökumenische Verbindung zwischen den «Migrationskirchen» und den europäischen Kirchen. Diese könnte gegenseitig spirituell bereichernd sein. David Plüss, Professor für Homiletik, Liturgik und Kirchentheorie (Bern), bezeichnete das Fremde als das abgelehnte Eigene: Christliche Vorstellungen und Motive, die wir bei Migrationskirchen antreffen, befremden uns. Für Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie (Zürich) steht fest, die Zukunft der Kirche sei die Mission und müsse die Mission sein.

Mit dem Jubiläums- und Sammelband «Basler Mission. Menschen, Geschichte, Perspektiven 1815–2015» (erschienen im Schwabe-Verlag, Basel) präsentieren die Herausgeber Christine Christ-von Wedel und Thomas K. Kuhn sowie die Autorinnen und Autoren ein vielfältiges Bild von Vergangenheit, Aufarbeitung von Missionsgeschichte und neuen möglichen Forschungsansätzen. Die promovierte Erasmusforscherin Christine Christ-von Wedel erinnerte an Erasmus, der früh die Kolonialisierung und das Verhalten der Europäer zu den Menschen in den Kolonien angeprangert hatte. Denn jeder Mensch habe eine nicht zu überbietende Würde, erklärte sie in ihrer Rede zu «Mission im Wandel. Die Basler Mission und ihre Sicht auf den Islam». Gottes Wort ergehe an alle Menschen zu allen Zeiten, universal wirkend, also auch an andere Religionen oder an Menschen ohne Religion. Das Zeugnis dürfe nicht institutionell gebunden, sondern sollte Ausdruck der Glaubenserfahrung sein. Es gehe auch nicht um Religionswechsel, vielmehr um die Suche nach fremden Gestaltwerdungen des Gottesworts in andern Religionen und Kulturen und deren Stärkung. Es gehe nicht darum, aus Muslimen Christen machen zu wollen.

Die Frauensicht

Mit der Internationalen Frauenkonferenz, mitorganisiert von der Stabsstelle Frauen & Gender von Mission 21 (Josefina Hurtado), kam die Sichtweise von Frauen ins Zentrum. Seit Jahren wird eine Aufarbeitung der Geschichte von Frauen in der Mission geleistet (siehe dazu: Christine Lienemann u. a.: «Putting Names with Faces. Women’s Impact in Mission History», Nashville 2012). Schnell wachsende charismatische und Pfingstkirchen sind zum Teil eigentliche Kirchen von Frauen. Es kam zu Grenzüberschreitungen von Raum, Kultur, Gender, Klasse, Hautfarbe und religiösen Gemeinschaften. Gleichzeitig zeigt sich ein Bild von Mission im Kontext, das in der Lage ist, Stereotypen über Mission und Frauenrollen aufzuheben und neue Sichtweisen auf den interkulturellen Austausch von Frauen, von westlicher Missionsarbeit und indigener bzw. multikultureller und multireligiöser Weltsicht zu eröffnen.