Zum 1. August: Gotthard – der Schweizer Sinai

Berg und Feuer mahnen an ursprüngliche Kräfte. Es sind Kräfte, die bewegen. Seit über hundert Jahren scheinen 1.-August-Feuer dazu geeignet, den Beginn des Bundes der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu feiern.

Berg und Bund schaffen einen Bezug zur Bibel. Der Ort, an dem sich Gott zu erkennen gibt, ist ein Berg.

  • Auf einem Berg hat Gott Mose die Gesetzestafeln diktiert.
  • Auf einem Berg hat Gott den Bund mit seinem Volk geschlossen.
  • Der Berg hat einen Namen: Sinai. Er ist zentral für das, was das biblische Volk Israel glaubt. Er schafft Identität.

Hat die Schweiz auch einen Berg, der Identität schafft?

Schriftsteller Peter von Matt bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: «Der Gotthard ist der helvetische Sinai.» Der Gotthard ist ein nationales Symbol. In diesem Jahr ist er mit der Eröffnung des Neat-Basistunnels und der Abstimmung über eine zweite Röhre für den Strassentunnel wieder in aller Munde.

Ob als Bergmassiv, als Pass oder als Tunnel, der Gotthard verbindet.

1. Der Gotthard wird von Politik, Wirtschaft und Religion beschworen, weil er verbindet. Alt Bundesrat Flavio Cotti stellt fest: «Der Tunnel rückt die Landesteile näher zusammen.» Der Schweizer Sinai ist ein Ort der Verbindung und Verknüpfung. Dadurch wird Austausch möglich. In unserem Land, das von verschiedenen Traditionen und Kulturen geprägt ist, ist das ein starkes Zeichen. Die Schweiz baut keine Mauern oder Grenzzäune, sondern Brücken und Tunnels, die Völker und Kulturen verbinden.

2. Der Gotthardtunnel ist eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. Technik, Wissen und Weltoffenheit kommen dann richtig zum Tragen, wenn sie durch den Volkswillen abgestützt sind. Denn lange demokratische Prozesse sind nachhaltig. Die Menschen, die hinter dieser Meisterleistung stehen, kommen von überall her. Deshalb steht der Gotthard für ein internationales Werk. Er gilt als Symbol dafür, dass wir gemeinsam fähig sind, Grosses zu schaffen. Das schafft Identität.

3. Der Gotthard steht auch für die kraftvolle Zusammenarbeit von Menschen verschiedener Konfessionen unter dem Dach einer gemeinsamen Vision. Beim neuen Gotthard-Basistunnel kommen praktisch alle Weltreligionen in den Blick. Damit ist der Gotthard Ausdruck eines gelungenen Dialogs – anders als beim biblischen «Turmbau zu Babel».

Der Berg steht fest. Er ist grösser als wir und stärker, und er behält eine ursprüngliche Kraft, die sich uns Menschen entzieht. Und doch stehen wir mit dem Gotthard auf Du und Du. Wir arbeiten am Gotthard weiter. Wir nehmen ihn mit in unsere Zeit, wir nutzen ihn, eben gerade deswegen, weil er da ist und da bleibt, für Gegenwart und Zukunft.

Christinnen und Christen wird es helfen, auf den Namensgeber des Bergmassivs zu schauen. Es ist der mittelalterliche Heilige Gotthard von Hildesheim. Der Name bedeutet «stark in Gott».

Wir sind dann wirklich stark, wenn wir die ursprüngliche Kraft, die Gott ist, anerkennen, denn er ist eine Kraft für uns.

  • Gott baut keine Mauern auf, sondern verbindet Völker und Kulturen.
  • Gott trennt nicht, sondern ist der feste Halt für unsere gemeinsame Identität.

Gott ist zugänglich, nicht immer leichtfüssig, sondern manchmal schwer und mit Risiko verbunden. Denn Gott lässt uns frei.

  • Wir sind frei, Gott zu begegnen: Die Begegnung mit ihm gibt Kraft.
  • Wir sind frei, uns mit dem Gotthard auseinander zu setzen.

Gotthard heisst «stark in Gott» – ein gutes Motto für die Schweiz.

Im Namen der Schweizer Bischofskonferenz:
+ Felix Gmür, Bischof von Basel

Felix Gmür

Felix Gmür

Mgr. Dr. Felix Gmür ist Bischof von Basel