Wofür nimmst du dir Zeit?

Zeit ist ein kostbares Gut. Viele kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen das nur allzu gut. Die SKZ wollte wissen, wofür sie ihre wertvolle (Frei-)Zeit nutzen und hat nachgefragt.

Planungen als «Güterabwägungen»

Zeit ist bei uns zu Hause Mangelware. Mein Mann und ich arbeiten beide, wir haben drei Kinder, darunter eine behinderte Tochter. Unsere Tochter braucht viel Pflege und Unterstützung. Ich verbringe diese Zeit gerne mit ihr. Auch unsere Jungs schätzen die Zeit gemeinsam mit ihrer Schwester. Trotzdem finden sie es ab und zu schade, dass Mama und Papa nicht mehr Zeit nur mit ihnen verbringen können. Wenn ich wirklich Zeit für mich selber habe, dann schätze ich alles, was mich zur Ruhe kommen lässt: ein gutes Buch, Yoga, ein Spaziergang in der Natur, eine Runde Joggen an der Aare oder an einem freien Sonntag auch mal eine Runde Segeln auf dem Neuenburgersee. Ab und zu wird unsere Tochter extern betreut. Dann haben wir Zeit als Paar oder zu viert. Aber vor allem haben wir ohne Rollstuhl mehr Bewegungsfreiheit. Wir unternehmen dann gerne Dinge, die mit dem Rollstuhl nicht gehen. Zum Beispiel eine Wanderung in den Bergen. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich gerne mehr Zeit mit Freunden und sozialen Kontakten ausserhalb der Familie verbringen. Oft sind meine Planungen «Güterabwägungen». Meistens setze ich meine Zeit dann für Dinge ein, aus denen ich Kraft schöpfe und bei denen ich auftanke.

Judith Furrer Villa (Jg. 1974) absolvierte das Lehrerseminar in Solothurn und studierte Theologie in Freiburg i. Ü. Sie ist Mutter dreier Kinder und leitet die Fachstelle Religionspädagogik der Römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Bern


Den Blick nach draussen schweifen lassen

«Mami, nie hast du Zeit.» Welcher Elternteil hat diesen Satz nicht schon einmal gehört. Und ja, manchmal hat Mami wirklich keine Zeit. Manchmal braucht Mami auch mal eine Auszeit. Und wenn diese mir geschenkte Zeit einmal möglich ist, dann suche ich bewusst die Stille. Dazu braucht es nicht unbedingt einen bestimmten Ort. Das kann zum Beispiel bei einer Tasse Cappuccino in meinem Lieblingssessel sein. Ich schalte bewusst alle lärmenden Geräusche aus und horche in die Stille. Ich mag es, dazu meinen Blick nach draussen schweifen zu lassen und zu schauen, welche Gedanken mich jetzt gerade tragen. Stille bedeutet für mich, ganz bei mir sein zu dürfen, zu hören, was mein Herz zu sagen hat und es dann zu teilen mit Gott. Oft schliesse ich diese Stille bewusst ab, schreibe die Gedanken nieder und spreche einen Dank oder eine Bitte an Gott. Zu wissen, dass er mir zuhört und sich auch Zeit für mich nimmt, stärkt mich und gibt mir Kraft, wenn ich wieder in den Alltag mit meinen Kindern und meiner Familie zurückkehre. Und dann hat Mami auch wieder Zeit für die Dinge des Alltags. Und wenn ich viel Zeit habe, dann geniesse ich auch noch das Lesen eines Buches in meinem Lieblingssessel. Mit einem Buch kann ich auch für kurze Zeit den Alltag hinter mir lassen, in eine andere Welt abschweifen, meine Fantasie und Vorstellungskraft anregen, etwas Neues lernen und manchmal einfach nur träumen.

Nicole Steil (Jg. 1983) arbeitet als Seelsorgerin bei der Katholischen Kirche Region Rorschach. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern


Vom Alltäglichen zum Erhabenen

Ich fotografiere gerne. Vielleicht zu gerne. Dies denken allenfalls Leute, welche mit mir unterwegs sind und sich wundern, welches Sujet ich jetzt wieder entdeckt habe. Es kann vorkommen, dass ich vor wild zusammengewürfelten Müllsäcken und einer illegalen Möbeldeponie irgendwo in einem Berliner Aussenquartier verweile. «Trash aesthetics» habe ich diese Serie genannt. Zerbeulte Giesskannen, funktionsunfähige Bügelbretter und eine zerschlissene mintfarbene Chinohose. Auch das kann ein Stillleben sein. Diese Faszination für Müll im Sinne von unbrauchbarem Zeug zeigt sehr schön einen wesentlichen Aspekt der Fotografie als Kunstform: durch einen Blickwechsel aus dem Alltäglichen etwas Erhabenes machen. Einen Gegenstand romantisieren hat dies einst Novalis genannt. Und dies erfordert Zeit. Jene Haltung ist eng verbunden mit einer gläubigen Sicht auf die Welt und unsere Mitmenschen. Erst im Glauben erscheint die Welt als gute Schöpfung und unsere Nächsten als Geschwister. Die Geduld der Fotokamera schärft und sensibilisiert den Blick. Und diese lange Weile hat in einer von Hektik und Kurzlebigkeit durchformten Wirklichkeit wie der Unsrigen ein heilsames Potenzial.

Gian Rudin (Jg. 1986) arbeitet als Pastoralassistent in der Pfarrei St. Josef in Zürich


Kraftorte aufsuchen

Ich nehme mir Zeit für meine Kraftorte. Ich bin eine pflichtbewusste Person. Meine Arbeit sowie mein Umfeld sind mir wichtig und für sie setze ich gern reichlich Energie ein. Damit ich gesund und in der Balance bleibe, nehme ich mir regelmässig Zeit, um meine Kraftorte aufzusuchen. Beim Sport kann ich vom Alltag abschalten und gewinne neue Energie. Am liebsten besuche ich Gruppenfitnessprogramme im Fitnesscenter wie High Intensity Interval Trainings (HIIT) oder ein ruhiges Bodybalance. Sport tut meiner Seele und dem Haus, in dem meine Seele wohnen darf, gut. Deswegen ist das Fitnesscenter für mich ein Kraftort. Ein weiterer Kraftort ist für mich meine Familie. Bei meiner Familie kann ich viel positive Energie tanken. Mein dritter Kraftort ist mein Lieblingsplatz in der Natur. Dieser Ort befindet sich bei einer schönen Kapelle im Kanton Nidwalden. Um zu dieser Kapelle zu kommen, muss ich ein Stück wandern. Ich nehme mir oft die Zeit, diesen Wegabschnitt zu gehen. An diesem Ort, mit wunderschöner Aussicht auf den Vierwaldstättersee, kann ich meinen Gedanken freien Lauf lassen. In dieser stillen Umgebung, mitten in der Natur, kann ich besonders gut mit Gott kommunizieren. Sich die Zeit für Kraftorte zu nehmen, ist unglaublich wichtig. Auch ich muss mir die Zeit dafür einplanen, was nicht immer einfach ist. Wann haben Sie sich zuletzt Zeit genommen, um Kraft zu tanken?

Larissa Scherer (Jg. 1995) ist Religionspädagogin im Seelsorgeraum Altdorf


Sich und anderen Zeit schenken

Wer bin ich, dass ich mir noch im Alter von 70 Jahren Zeit nehme? Ich schenke mir Zeit, weil sie mir geschenkt ist! Für körperliche und geistige Erholung im Garten oder auf einem Spaziergang, beim Wandern, beim Pilzesammeln oder bei der Siesta. Und ich schenke mir Zeit zum Kochen, weil ich gerne etwas Gutes esse. Das Kostbarste ist: Ich schenke mir Zeit, um zu mir zu kommen. Dies geschieht im Wesentlichen in der Entfaltung des Lebens mit Gott und den Mitmenschen. Es betrifft somit die gesamte Gestaltung meines Lebens. So habe ich pro Tag eine halbe Stunde Zeit für eucharistische Anbetung, für das Sein vor und mit Gott. Seit knapp zwei Jahren bin ich Priester und habe mich für das gemeinsame Chorgebet im Stift Beromünster entschieden. Wenn ich angefragt werde zum Feiern der Eucharistie oder für andere priesterliche Dienste, habe ich Zeit. Ich habe Zeit für Seelsorgegespräche – ohne lange Wartezeit. Ich kann somit «meine Zeit» von «deiner Zeit» nicht trennen. «Meine Zeit» wird bereichert im Teilen mit «deiner Zeit».

Stefan Tschudi (Jg. 1952) ist Leutpriester im Chorherrenstift St. Michael Beromünster LU und Vizepostulator Seligsprechung Niklaus Wolf von Rippertschwand