Wie Machtkontrolle aussehen könnte

Da eine Gewaltenteilung nach demokratischen Massstäben in der katholischen Kirche nicht möglich ist, werden kirchliche Verwaltungsgerichte gefordert. Laien könnten hier eine entscheidende Aufgabe übernehmen.

Zwei grundlegende Einsichten aus den Zeiten der Religionskriege stehen für die Überzeugung, um zu anhaltend friedlichem Miteinander zu kommen: Erstens die Trennung von Religion und Staat. Dahinter steht die Intention, dass es keine Kriege mehr geben soll, die durch die Verquickung von Religion und Staat begründet sind, oder Kriege, die durch Religion begründet werden können. Zweitens die Gewaltenteilung. Sie ist eine neuzeitliche Erfindung und entstand aus den verheerenden Erfahrungen absolutistischer Herrschaft und ihrer kriegerischen Konsequenzen. Die Gewaltenteilung und die Trennung von Religion und Staat sind seit der Aufklärung Kernbegriffe des modernen Staates. Wege zum Frieden waren also durch Machtbegrenzungen und -definitionen mit Zuständigkeiten, die voneinander kontrolliert wurden, gekennzeichnet.

Neuzeitliche Gewaltenteilung und Kirche

Die Gewaltenteilung, so ist in Demokratien deutlich, ist die bestmögliche Garantie, einen Machtmissbrauch zu verhindern. Besonders in Deutschland ist dies nach 1949 verwirklicht worden: Verteilung der Gesetzgebung (Legislative), der Gesetzesausführung (Exekutive) und der Gerichtsbarkeit (Judikative) auf drei verschiedene Staatsorgane, nämlich auf das Parlament, auf die Regierung und auf eine unabhängige Richterschaft. In Deutschland kann das höchste Gericht, das Bundesverfassungsgericht (Teil der Judikative), den Bundeskanzler (Teil der Exekutive) und ebenso den Bundestag (Teil der Legislative) stoppen, wenn sie etwas tun oder beschliessen, was gegen die Verfassung verstösst.

Die Gewaltenteilung verhinderte so sehr konkret, dass der absolutistische Herrscher oder der Monarch alle drei Gewalten innehatte. Allerdings hat diese neuzeitliche Restrukturierung der Gewalt keinen Niederschlag in der römisch-katholischen Kirche gefunden. Stattdessen hat eine Gegenbewegung, die die Kirche als absolute Monarchie verstand, dieser bis heute gültigen kirchenrechtlichen Verfassung mit dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870/71 durch das Doppeldogma der Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenfragen und des universalen Jurisdiktionsprimates des Papstes eine immunisierende lehramtliche Legitimierung verschafft.

Unterschiedliche Machtteilhabe bleibt

Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) eröffnet in vielen Bereichen (z. B. Religionsfreiheit; Ernstnahme der Welt und Gesellschaft) neue Perspektiven, bleibt aber zugleich und systemgerecht den Entscheidungen des Ersten Vatikanischen Konzils zur kirchlichen Hierarchie (so v. a. in der Kirchenkonstitution Lumen Gentium (LG) 25) und zum priesterlichen Amt treu. Auch wenn der Laienbegriff wieder rehabilitiert wurde und durch die Taufe die Zugehörigkeit zum Priestertum aller theologisch betont wird (LG 10), bleibt die Unterscheidung zwischen Laien und Klerikern auch in der unterschiedlichen Machtteilhabe offensichtlich. Dies ist sogar doppelt abgesichert: Zum einen sagt die «wahre Gleichheit» in LG 32 aus, dass die gleiche Würde nicht in die gleichen Rechte mündet. Dies kehrt als Kernargument in den Aussagen zur besonderen Berufung der Frau in den Dokumenten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wieder. Zum anderen wird der Priesterbegriff als gemeinsames und hierarchisches Priestertum verdoppelt und auf diese Weise die Teilhabe an der Macht geregelt.1 Nur der geweihte Priester hat alle drei Funktionen, die des Lehrens, Leitens, Heiligens.

Wenn es um die Macht geht, steht vor allem die Leitung im Mittelpunkt. Hier ist sogar das Recht noch einmal verschärft worden, denn seit 2010 wird das munus regendi nur noch auf Priester und Bischöfe bezogen (Veränderung von Benedikt XVI., keine Diakone mehr; can. 1009 §3 CIC). Es liegt an den Klerikern, ob sie Laien zur Beratung heranziehen. Die Rolle der Laien ist die des Mitwirkens auf verschiedenen Ebenen und stets vom Kleriker abhängig, so in der individuellen oder gremialen Beratung oder in der Übernahme einzelner Leitungs- oder Seelsorgebefugnisse sowie in Kurienämtern, solange es nicht um Vertretungsämter des Bischofs, etwa in der Rechtsprechung (Offizial) oder in der Verwaltung (Generalvikar), geht.

Intersektionalität zeigt Machtwirkung an

Die im modernen Rechtsstaat aufgeteilten Gewalten sind kirchlich im Amt des Diözesanbischofs vereinigt. Dieser ist nur dem Papst verantwortlich, der Papst nur Gott und dem vom Papst verbindlich festgestellten und ausgelegten sog. göttlichen Gesetz. Mit der Gewaltenkumulation stehen die Fragen nach Macht und Machtkontrolle im Zentrum der Problematik. Welche Möglichkeiten bleiben der katholischen Kirche, wenn eine Gewaltenteilung von ihren Grundüberzeugungen her ausgeschlossen ist? Wie könnte Machtkontrolle anders aussehen? Vorgeschlagen wurde in den USA und wird von Kirchenrechtlern in Deutschland eine unabhängige Verwaltungs- und Disziplinargerichtsbarkeit, also eine Kontrolle bei bereits erfolgtem Machtmissbrauch. Denn spätestens seit dem Jahr 2010 werden Kirche und Theologie die Frage nach dem Machtmissbrauch nicht los. Sowohl Theologinnen als auch hochrangige Kirchenmänner benennen die gegenwärtige Situation als nicht mehr haltbar.  

Hilfreich kann an dieser Stelle ein ganz anderer Blick auf Machtverhältnisse und Machtmissbrauch sein. Die Juristin Kimberlé Crenshaw hat Ende der 1980er-Jahre analysiert, wie die bestehende Antidiskriminierungsrechtsprechung Diskriminierung gerade nicht beendet, sondern fortschreibt.2 Um diese paradoxe Wirkung der Gesetze zu beschreiben, entwirft sie das Bild der Strassenkreuzung, der Intersektion. Die Erfahrung von Women of Colour sei nämlich, dass sie entweder als Frauen oder als Farbige vom Gesetz geschützt würden, nicht aber als farbige Frauen. Allerdings sei die Diskriminierung eben oft beides: Sexismus und Rassismus. Dafür gibt es aber kein Modell der Rechtsprechung. Die gängige Rechtsprechung, so Crenshaw, beachtet Diskriminierung, in Bezug auf das Bild einer Strassenkreuzung, nur aus einer Richtung. Eine mehrfache Diskriminierung kann nur verhindert werden, wenn die «rechtliche Ambulanz» für die Betroffenen in der Mitte der Kreuzung dafür ausgebildet ist, mehr als eine «Verletzung» durch die Diskriminierung zu erkennen. Mit dieser Intersektionalität kann die Machtwirkung in Systemen verstanden werden, in denen nicht alle die gleichen Rechte und den gleichen Anteil an der Macht haben. Wenn diese Einsicht auf die katholische Kirche angewendet wird, wäre zu fragen: Wie könnte eine «katholische Ambulanz» für Menschen, die in der Intersektion der Macht verletzt werden, innerhalb der gesetzten machttheoretischen Strukturen aussehen? Nachdem die gängige Form der Gewaltenteilung kirchlich nicht möglich ist, braucht es andere Wege. So werden zum Beispiel seit Jahrzehnten kirchliche Verwaltungsgerichte eingefordert.3

Korrekturpotenzial dank Laien

Vielleicht ist aber bei der Einrichtung einer solchen kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit eine vermehrte und verantwortungsvolle Mitarbeit von Laien ein erfolgversprechender Weg, eine solche katholische «Unfallambulanz» für Opfer klerikaler Macht und Gewalt zu ermöglichen. Denn dieser Vorschlag impliziert ein Mehrfaches: Erstens sind Laien nicht Kleriker. Auch wenn Laien aus dem Problemfeld der Macht und auch der sexuellen Gewalt nicht ausgenommen werden können, gibt es doch im Blick auf die Machtstruktur einen bedeutenden Unterschied: Intersektional gesprochen sind Laien in der katholischen Kirche ja gerade nicht Teil der Rechtsmacht. Zweitens ginge es bei Laien nicht zwingend um konkurrierende Macht, sondern um Professionalität. Sie wären nicht aufgrund der Weihe, sondern wegen fachlicher Kompetenz, als Expertinnen und Experten beteiligt. Drittens ist aber zu bedenken, dass auch Laien Teil des Machtsystems sind, auch sie haben diese Macht verinnerlicht und leben in, mit, aus ihr und gegen sie. Laien müssen ihre eigene Position innerhalb des katholischen Machtgefüges reflektieren und offenlegen. Viertens sind Immunisierungsstrategien systemimmanent: Immun gegen machtanalytische Operationen und Aktionen sind nicht nur einzelne Personen, sondern die Kirche als solche, weil sie sich mit der Selbstzuschreibung «Heiligkeit» gegen eine wirkliche Veränderung schützen kann. Kurz: Eine katholische «Unfallvorsorge» und «Unfallambulanz» ist nur dann effektiv und nachhaltig, wenn auch von aussen, d. h. von Laien, die sich der kirchlichen und klerikalen Machtwirkungen bewusst sind, die Aufarbeitung und Bearbeitung verantwortet mitgestaltet wird.

Gunda Werner

 

1 Vgl. Lüdecke, Norbert / Bier, Georg, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart 2012, 97–112.

2 Vgl. Crenshaw, Kimberlé, Demarginalizing the Intersection of Race and Sex. A Black Feminist Critique of Antidiscrimination law, in: The University of Chicgo Legal Forum, 1989, 139–167; dies., Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence Against Women of Color, in: Stanford Law Review 43/6 (1991) 1241–1299.

3 Vgl. Lüdicke, Klaus, Wir brauchen kirchliche Verwaltungsgerichte. Es wird Zeit ..., in: Herder Korrespondenz 74/1 (2020), 23–25.

 

Weiterführende Literatur der Autorin:

  • Werner, Gunda, Doing intersectionality – Perspektiven für Systematische Theologie aus der intersektionalen Anayse von Macht, in: Söding, Thomas / Rahner, Johanna (Hg.): Kirche und Welt – ein notwendiger Dialog, Freiburg 2019, 296–308.
  • Dies., Macht und Körper – Was mit der intersektionalen Analyse über Machtmissbrauch im kirchlichen Amt zu lernen wäre, in: Könemann, Judith / Heimbach-Steins, Marianne / Suchhart-Kroll, Verena (Hg.), Gender Studies in der Theologie, Münsterische Beiträge zur Theologie, Münster (erscheint) 2020.

Gunda Werner

Prof. Dr. Gunda Werner (Jg. 1971) studierte Philosophie und Theologie in Münster und habilitierte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum am Lehrstuhl für Dogmatik und Dogmengeschichte. Seit 2018 ist sie Professorin für Dogmatik und Leiterin des Instituts Dogmatik der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Karl-Franzens-Universität in Graz.