Weniger für uns?

Weniger für uns. Genug für alle.

Weniger für uns. Genug für alle." Im Titel der Ökumenischen Kampagne von Fastenopfer, Brot für alle und Partner sein klingen verschiedene Verständnisebenen an. Auf den ersten Blick stellt der Titel die Frage nach der gerechten Verteilung von Lebenschancen und Gütern: Einem Zuviel bei uns steht ein Zuwenig bei vielen benachteiligten Menschen im Süden entgegen. Und dieses Wenige – so das Thema der Kampagne – ist durch das Zuviel in den wohlhabenden Gegenden der Welt und durch den sich verschärfenden Klimawandel erst noch in Gefahr. Der provokative Titel lädt ein zu Umverteilung und Solidarität. Auf den zweiten Blick stellt er aber auch Fragen, die mich persönlich herausfordern. Weniger für uns heisst auch weniger für mich. Ist das wirklich eine Option?

Gut leben statt viel haben

Ich lese von Frauen und Männern, die sich entschieden haben, weniger zu besitzen und weniger zu konsumieren. Zum Beispiel Sebastian Küpers.1 Er hat von seinen Sachen so viele weggegeben, bis er nur noch hundert Dinge besass. Das ist ein Prozent von dem, was Menschen in unseren Breitengraden besitzen. Natürlich gehört dazu sein Computer, auf dem er Musik und Bücher speichern kann. Oder der Journalist David Pfeifer.2 Er nahm sich vor, ein Jahr lang nur das zu kaufen, was er zum Essen oder für die Körperpflege brauchte. Die spontane und einfache Idee wuchs sich zu einer harten Prüfung für ihn aus. Beide jungen Männer beschreiben ähnliche Erfahrungen: Weniger hiess nicht bloss Verzicht, sondern war in vieler Hinsicht ein Gewinn. Ein Mehr an Zeit, Freiheit, an Unabhängigkeit, Glück und Lebensqualität. Wie diese beiden stellen sich heute mehr und mehr Menschen die Frage: Wie viel an Besitz und Konsum ist notwendig für ein glückliches und zufriedenes Leben? Anders als Konstantin Wecker, der in den 1980er-Jahren in einem seiner Lieder mit dem Refrain "Genug ist nicht genug, genug kann nie genügen" zur Unbescheidenheit anregte, halten sie fest: Genug ist genug. Genug kann genügen. Mässigung beim Konsum und Genügsamkeit sind zu einer Art moderner Tugend und zum Weg zu einem glücklichen und gelingenden Leben geworden.

Suffizienz ist mehr als Genügsamkeit

Was auf der persönlichen Ebene mit dem Wort Genügsamkeit bezeichnet wird, wird neu in der Ökologie- und Nachhaltigkeitsdebatte als Suffizienz bezeichnet. Allerdings meint Suffizienz mehr als das gemässigte Konsumverhalten. Es geht nicht allein um die Frage "Wie viel ist genug?", sondern auch um die positiven Auswirkungen, die ein genügsamer Lebensstil mit sich bringt. Es geht um das Mehr, das ein Weniger an Material- und Energieverbrauch erzeugen kann. Suffizienz schafft Wohlstand mit weniger Natur- und Materialverbrauch. Das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie definiert Suffizienz als "Lebensund Wirtschaftsweise, die dem Überverbrauch von Gütern und damit von Stoffen und Energie ein Ende setzt". Wolfgang Sachs, der den Begriff in den 1990er-Jahren in die Diskussion um Nachhaltigkeit einbrachte, nennt vier Dimensionen der Suffizienz: Entrümpelung, Entschleunigung, Entflechtung und Entkommerzialisierung. Das heisst: Das Leben der Menschen wird einfacher, die Menschen konsumieren weniger. Nutzen statt Besitzen ist ein Weg dazu. Prozesse aller Art werden dadurch langsamer, dafür aber zuverlässiger. Regionale Produkte tragen zu mehr Übersichtlichkeit bei. Die Selbstversorgung wird gestärkt und der Einfluss des Marktes auf das eigene Leben eingeschränkt.

Unter dem Stichwort Postwachstumsökonomie skizziert der Ökonom Niko Paech, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, die diesen Grundsätzen verpflichtet ist: Die Arbeitszeit wird halbiert, damit die Menschen Zeit haben, sich gegenseitig zu helfen und Dinge zu reparieren. Was Paech in seinem Buch "Befreiung vom Überfluss" vorschlägt, ist noch längst nicht mehrheitsfähig.3

Die Forderungen der Postwachstumsökonomie und der Suffizienz sind umstritten. Gangbarer erscheint vielen der Weg über energieeffizientere und umweltverträglichere Produkte. Nachhaltigkeitsforscher betonen hingegen, dass zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung neben der Effizienz (ressourceneffiziente Technologie) und der Konsistenz (naturverträgliche Technologie) die Suffizienz als dritte Säule notwendig ist.

Der Beitrag von Kirche und Theologie

Genügsamer, mit weniger Besitz und Ressourcenverbrauch zu leben, ist für die einen ein Weg zum eigenen Wohlbefinden und Glück. Andere vereinfachen ihren Lebensstil aus Verantwortung für die gefährdete Schöpfung. Zur Suffizienz gehört beides. Damit verbunden ist die Frage, was es zu einem guten und erfüllten Leben braucht und was nicht. In der christlichen Spiritualität gibt es zu dieser Frage viele Anknüpfungspunkte. Jörg Hübner, Direktor der Evangelischen Akademie Bad Boll, nennt in seinem Buch "Gut – besser – zukunftsfähig"4 drei christliche Gewissheiten, die motivieren, einen Lebensstil und eine Lebenshaltung zu entwickeln, die den Anliegen der Suffizienz gerecht werden:

  • das Verständnis des Schöpfungsauftrags als Bebauen und Bewahren. Das schliesst einen ausbeuterischen Umgang mit der Schöpfung aus und erfordert eine einfache, sparsame Lebenshaltung, welche auch unsern Kindern eine Zukunft ermöglicht.
  • das Ernstnehmen der Vater-unser-Bitte um das tägliche Brot als eine Bitte, die sich ausschliesslich auf das Heute richtet: Sie lässt weder Fülle auf Vorrat noch auf Kosten der anderen oder der künftigen Generationen zu und fordert uns heraus, in der Sorglosigkeit des Heute leben zu lernen.
  • die Gabe des Geistes, der die Menschen aus ihrer Beziehungslosigkeit herausreisst, den Aufbruch in eine Welt voller Alternativen möglich macht und dem Geist des Begehrens den Geist der Teilhabe entgegensetzt.

Fastenzeit als Auftrag und Chance

Aus christlicher Perspektive zu einem einfacheren und genügsamen Lebensstil zu motivieren, ist auch das Anliegen der Bildungs- und Sensibilisierungsarbeit von Fastenopfer. Im Rahmen der Ökumenischen Kampagne 2015 werden zwei der oben genannten Aspekte aufgenommen. Das Hungertuch "Die Schöpfung bewahren, damit alle leben können " von Tony Nwachukwu und die Meditationen von Monique Janvier falten das Verständnis der Schöpfung als Gabe Gottes in Bild und Text aus und geben Anregungen zu einem achtsamen Umgang mit der Schöpfung. In den Werkheften und im Fastenkalender finden sich Texte, Gebete und Gottesdienste, welche sich an der biblischen Ethik des Genug orientieren. Die Manna-Geschichte, die Seligpreisungen und die Einladung, es den Vögeln des Himmels gleichzutun und keine Vorräte zu sammeln (Mt 6), sind Wegmarken, an denen sich Menschen, die auf dem Weg zu neuer Genügsamkeit sind, orientieren können.

"Glücklich alle, die auf das meiste verzichten können, weil sie es gar nicht brauchen" fasst einer der Texte in den Unterlagen diese Lebenshaltung zusammen. Auch wenn Suffizienz in unserer Gesellschaft noch keine Mehrheiten findet, gibt es zunehmend mehr Menschen, die sich nach einem einfacheren und entrümpelten Leben sehnen. Sie können die Fastenzeit nutzen, um das freiwillige Verzichten zu erproben, und erfahren so, dass weniger mehr sein kann. Die althergebrachte Fastenzeit ermöglicht somit Jugendlichen und Erwachsenen, sich in der neuen Tugend der Genügsamkeit zu üben. Nutzen wir dies in den Pfarreien als Chance!

________________________________________________________________________________

Ökumenische Kampagne 2015

Unter dem Slogan "Weniger für uns. Genug für alle" findet vom 18. Februar bis 5. April 2015 die Kampagne von Brot für alle, Fastenopfer und Partner sein statt. Sie zeigt auf, wie Fleischkonsum, Klimawandel und Hunger in Entwicklungsländern zusammenhängen. Sie regt an, den eigenen Konsum zu überdenken und zu handeln. Informationen und viele Anregungen: www.sehen-und-handeln.ch

1 Markus Brauck / Dietmar Hawranek: Konsumverzicht. Weniger haben, glücklicher leben, in: Der Spiegel, Nr. 14, 31. März 2014, 34.

2 Dieter Pfeifer: Was kann daran schwierig sein?, dachte ich. Es wurde eine harte Prüfung. In: Süddeutsche Zeitung Magazin, 19. September 2014, 32–37.

3 Niko Paech: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München 62013.

4 Jürg Hübner / Günter Renz (Hrsg.): Gut – besser – zukunftsfähig. Nachhaltigkeit und Transformation als gesellschaftliche Herausforderung. Stuttgart 2015.

 

Rita Gemperle

Rita Gemperle

Die Theologin Rita Gemperle Bürgi ist Fachverantwortliche für Bildung und Pastoral beim Fastenopfer in Luzern.