Warum musste Jesus leiden?

Harald Schöndorf: Warum musste Jesus leiden? Eine neue Antwort auf eine alte Frage. (Pneuma Verlag) München 2013, 119 S.

Die biblische Aussage, dass Jesus leiden und getötet werden "musste" (Mk 8,31 und öfter) wird in der Theologie unter dem Begriff der Heilsnotwendigkeit des Leidens und Todes Jesu reflektiert. In Auseinandersetzung mit der Lehre Anselms von der vollkommenen Genugtuung Jesu gegenüber der von der Sünde der Menschen unendlich beleidigten Majestät Gottes werden in neuerer Zeit Lösungen gesucht, die für modernes Denken besser nachvollziehbar sind, z. B. Jesu Solidarität mit den leidenden Menschen oder Abschwächung des "Muss" dadurch, dass Jesu Leiden und Tod als Folge innerweltlicher Entwicklung verstanden werden. Nachdem der Autor die Lösungsversuche Anselms und die der Neuzeit klar dargelegt und deren Mängel aufgezeigt hat, nimmt er als Ansatzpunkt für seine Lösung die Wirklichkeit von Vergebung und Sünde. Sünde wirklich vergeben kann nur, wer von der Sünde selber betroffen ist, wem Unrecht angetan wird. Gott, der leidensunfähig ist, kann von der Sünde nur betroffen werden, wenn er Mensch wird. Der Menschensohn musste die ganze zerstörerische Wirkung der Sünde, die Zerstörung der Menschenwürde und der Menschenrechte in seiner menschlichen Existenz auf sich nehmen. So kann der barmherzige Gott vergeben und die Gerechtigkeit wieder herstellen. Der biblische Ausdruck für das Verzeihen Gottes ist die Bitte Jesu am Kreuz: "Vater, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 23,34). Das "Muss" des Leidens Jesu folgt aus der Notwendigkeit der Menschwerdung, denn nur so ist es möglich, dass "Gott uns seine Liebe erwies, weil Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren" (Röm 5,8). – Die sehr klaren und gut nachvollziehbaren Überlegungen sind ein imponierender Beitrag zur grundlegenden Frage der Soteriologie. 

Alois Kurmann

Alois Kurmann

Pater Alois Kurmann ist Kommunikationsverantwortlicher im Kloster Einsiedeln.