Kompromissloses Beharren auf einzelnen Grundsätzen, Positionen oder Wahrheiten macht Fundamentalismus aus. Eindeutigkeit geht aber immer mit Auswahlprozessen einher – um den Preis der Ausblendung. Bibelfundamentalisten lesen nicht jeden Vers der Bibel fundamentalistisch. Sie engen den Fokus auf einige wenige Sätze ein, die dann zum Zentrum für das eigene religiöse Selbstverständnis werden. Es ist daher sinnvoller, von radikaler Engführung im Bereich des Religiösen zu sprechen anstatt von Fundamentalismus, einem Begriff, den die einen stolz vor sich hertragen und der den anderen als Vorwurf dient. Beides öffnet keinen Dialog. Radikale Engführungen verhindern jede kritische Auseinandersetzung. Sie verweigern die Anerkennung der Komplexität und inneren Varianz religiöser Systeme. Das gilt für biblische Engführungen wie für dogmatische Engführungen, aber auch für spirituelle Engführungen, wo Menschen ihre persönlichen Erfahrungen und Einsichten absolut setzen und zur Norm für alle machen wollen.
Allen Formen von Engführungen ist eines gemein: die Vorstellung einer «reinen» Religion oder Wahrheit, die absolut gesetzt werden kann, legitimiert von göttlicher, kirchlicher oder spiritueller Autorität. Schaut man genauer hin, erkennt man hinter den Auswahlprozessen von Einzelwahrheiten klare Absichten: Vereinfachung, Gesinnungskontrolle oder Gruppenidentität dienen zum Aufbau von Machtkonstellationen. Radikale Engführungen zielen auf Machtausübung. Das gilt auch für solche Gruppen, die sich in der Rolle der Machtlosen sehen. Fundamentalistische Religion geht nicht selten mit dem Anspruch der Ermächtigung der «einfachen Leute» einher. Das kann zunächst Emanzipation fördern, aber es schafft bald neue Abhängigkeiten.
Zu diesen religiösen Engführungen kommt nicht selten eine Form politischer Instrumentalisierung von Religion. Sie baut auf religiösen Engführungen auf und ergänzt sie mit radikalen politischen Positionen. Es geht um politische Überformung von Religion. Politische Kräfte machen sich hier zu Alliierten für einzelne Anliegen enggeführter Überzeugungen in Religionsgemeinschaften, z. B. Verurteilung von Abtreibung oder von Menschen mit queerer Identität. Wo das gelingt, beginnen politische Akteure oft, einige ihrer eigenen politischen Themen als religiöse Grundsätze zu verkaufen: Nation, Waffenbesitz, Familie, Privateigentum… tauchen dann als Merkmale enggeführter Religion auf. Machtorientierte Kirchenverantwortliche lassen sich solche Allianzen gerne gefallen.
Wer enggeführten «Glaubensgrundsätzen» verpflichtet ist, lehnt alles ab, was nach Dialog, Pluralität oder Kritikbereitschaft aussieht. Synodalität gilt ihnen als falsches Zugeständnis, Barmherzigkeit als Schwäche und Diplomatie als Verrat. Enggeführte Religion ist gefährlich, das Beharren auf Differenzierung und Relativierung umso wichtiger.
Arnd Bünker*