Vor dem Stern verblassen die Stars

Der Neutestamentler Markus Lau zeigt auf, welche Facetten die matthäische Sterndeutererzählung enthält. Diese ist voller Dramatik und initiiert einen Lernprozess bei den Leserinnen und Lesern.

Gute Geschichten überraschen schon am Anfang und ziehen die Leserinnen und Leser sogleich in den Bann. Das gelingt auch der matthäischen Geschichte von den Sterndeutern (Mt 2,1–12). Die Perikope erzählt gleich zu Beginn von einem Irrtum, der zu erheblichen Irritationen führt und dramatisches Potenzial hat. Denn die Sterndeuter – Matthäus verwendet für sie den Begriff «Magier»1 – machen sich aus ihrer Heimat im Osten auf den Weg nach Jerusalem, weil sie das Erscheinen eines Sterns als Zeichen interpretieren, dass in Israel ein neuer König geboren wurde. Und den suchen sie naheliegenderweise in der Hauptstadt Jerusalem und am Königshof. Dort indes lässt sich dieser sehr spezielle König, Jesus von Nazaret, nicht finden. Wer ihn in Palästen sucht, verpasst ihn. Daraus entwickelt sich die Dramatik der Erzählung von Mt 2,1–12 und der Lernprozess, den die Magier und mit ihnen die Leserinnen und Leser dieser facettenreichen Geschichte durchlaufen. Zwei Dimensionen des Textes möchte ich im Folgenden vorstellen.2

Christologie mit politischen Untertönen

Der Text lebt von zahlreichen Kontrasten: Mit dem kulturellen, religiösen und politischen Zentrum Jerusalem sowie dem Königspalast und dem unspezifisch benannten Haus (V. 11) in Betlehem stehen sich zwei Orte und Lebenswelten – hier Macht und Pracht, dort relative Ohnmacht und einfaches Alltagsleben – gegenüber. Mit Herodes und Jesus werden entsprechend auch zwei unterschiedliche Königstypen und Herrschaftsweisen gegenübergestellt. Beide werden im Text als Könige bezeichnet, wobei Jesus in der jüdischen Binnenperspektive, die durch Herodes selbst formuliert wird (V. 4), zusätzlich noch als Christos, als Messias bezeichnet wird. Sodann bilden die jüdischen Hohepriester und Schriftgelehrten und die nichtjüdischen Magier ein kontrastives Paar. Während sich die Magier auf den Weg zu Jesus machen, verbleiben die anderen in Jerusalem, obwohl die Schrift (V. 5f.) auch ihnen den Weg zum Messias Jesus weist. Genaugenommen ist es die Schrift, die den Weg zum Messias Jesus eröffnet, nach dessen Geburtsort Herodes die jüdische Bildungselite befragt. Denn der Stern, von dem Matthäus erzählt, bildet zwar den Auftakt für die Reise der Magier, aber er erscheint erst wieder, nachdem sie Jerusalem verlassen haben, und markiert schliesslich den Zielpunkt der Reise (V. 9). Stern und Schrift, die Kombination von Tradition und Innovation, führen in der Welt des Matthäus zu Jesus als Messias. Auf dessen Erscheinen reagieren Herodes und mit ihm ganz Jerusalem mit Schrecken und Verwirrung, während sich die Magier über den Stern und das von ihnen gefundene Jesuskind freuen.

Das alles zeigt: Matthäus kontrastiert zwei Herrscher, Herrschaftskonzeptionen und Weisen, sich zu ihm zu verhalten. Dem König Herodes steht der messianische Friedenskönig Jesus gegenüber. Die Magiergeschichte betreibt damit Christologie und charakterisiert Jesus im Spiegel des Herodes als König und Messias. Besonders ironisch und dramatisch ist dabei, dass durch die Suche der Magier nach dem neuen König Israels am falschen Ort dem amtierenden König Herodes unvermittelt angekündigt wird, dass seine Herrschaft zu Ende geht und ein Nachfolger geboren ist, der nicht aus seiner Familie stammt. Herodes reagiert darauf seinerseits mit den sich ab V. 7 entwickelnden Plänen, die in aller Heimlichkeit den Mord an Jesus vorbereiten und im erzählten Kindermord von Betlehem (Mt 2,16–18) gipfeln. Hier kämpft ein König um seine Herrschaft und geht dabei über Leichen. Ganz anders wird es Matthäus für Jesus erzählen, dessen messianische Königsherrschaft allein ihn selbst das Leben kosten wird, für andere aber unendlich heilvoll ist.

Diesen erzählten Kontrasten zwischen Herodes und Jesus dient im Übrigen auch der berühmte Stern von Betlehem. Leitet man die Symbolik des Sterns aus der jüdischen Tradition des Bileam-Orakels von Num 22–24 ab, so verweist das Sternsymbol auf den aus Jakob aufgehenden Stern, mit dem ein mächtiger Mensch gemeint ist (Num 24,17 LXX) und der in jüdischer Traditionsliteratur mit dem Messias identifiziert wird. Der mit Jesu Geburt aufgehende Stern erklärt in dieser Perspektive Jesus zum Messias. Interpretiert man den Stern eher aus der Perspektive antiker Bildwelten, so verweist vor allem die in Mt 2,9 erzählte Konstellation – der Stern wird von Gott über das Haus und damit über das Jesuskind gestellt3 – auf die auf antiken Herrschermünzen breit belegte Darstellung eines Sterns über einem Herrscher.4 Diese Konstellation, die der Herrschaftspropaganda dient, weil sie die jeweilige Herrschaft durch das mit der Welt der Götter verbundene Sternsymbol als himmlisch legitimiert zeigt, findet sich auch für Herodes den Grossen. Demgegenüber erzählt Matthäus, dass der eine Gott allein seinen Messias Jesus unter einen solchen Stern stellt. Neben ihm verblassen all die anderen Stars zu Sternchen.

Gemeinde mit offenen Türen

Neben dieser christologisch-politischen Perspektive reiht sich die Magiergeschichte in das matthäische Programm einer Integration von nichtjüdischen Menschen in die Jesusbewegung ein. Im Hintergrund steht die im frühen Christentum umstrittene Richtungsentscheidung, ob sich die jüdische Jesusbewegung auch für nichtjüdische Menschen öffnet, und wenn sie das tut, welche Bedingungen nichtjüdische Menschen erfüllen müssen, um Mitglied einer Jesusgemeinde zu sein. Auch in der matthäischen Gemeinde scheint das ein umstrittenes Thema zu sein, wobei hier weniger die Bedingungen für eine Integration diskutiert werden als viel grundsätzlicher die prinzipielle Möglichkeit einer solchen Öffnung. Das Matthäusevangelium wirbt in diesem Konflikt für offene Gemeindetüren auch für Pagane. Dazu werden zu Beginn des matthäischen Textes werbende Zwischentöne eingeflochten, die zeigen, dass zu Jesu eigenen Anfängen konstitutiv auch nichtjüdische Menschen gehören, die sogar Teil der Wurzeln des Messias sind.5 Nichtjüdische Menschen sind für Matthäus nicht etwas Fremdes. Sie sind willkommen!

In Mt 2,1–12 sind es nun die Magier und ihr Verhalten, die Teil dieser matthäischen Werbestrategie für eine integrative Gemeinde sind. Diese Nichtjuden machen sich auf den Weg zum Messias Jesus – ganz im Gegensatz zur jüdischen Elite Jerusalems, deren Verhalten Matthäus indirekt kritisiert. Sie huldigen Jesus (V. 2.11). Im Griechischen steht hier das Verb «proskyneo». In diesem Wort klingt der griechische Begriff für Hund (kyon) mit an, so dass man das Verb mit «sich hinhunden» übersetzen könnte. Gemeint ist eine Verehrung, die sich gestisch durch Kniefall und niederstreckende Verbeugung bis hin zum völligen Niederfallen auf den Boden auszeichnet. Sie gehört in die Welt altorientalischer Rituale im Umgang mit Göttern und Königen. Die Magier verehren das Jesuskind im Haus unter Rückgriff auf ein kulturelles Muster ihrer Lebenswelt. Sie erkennen in ihm einen König, vielleicht sogar einen Gott – wohlgemerkt: als pagane Polytheisten, die an die vielen Götter glauben. Im Matthäusevangelium ist die Proskynese ein positiv besetztes Leitwort: Hilfesuchende (Mt 8,2; 9,18 u. ö.) und die Schülerinnen und Schüler Jesu vollziehen (14,33; 28,9.17) vor Jesus die Proskynese. Die Magier machen es ihnen vor und dienen so als Vorbilder. In ihren wertvollen Geschenken, die sie dem neuen König mitbringen, realisiert sich überdies das alttestamentlich bekannte Motiv der Wallfahrt der nichtjüdischen Völker zum Zion (Jes 60,1–6). Diese Verheissung der endzeitlichen Völkerwallfahrt wird in Mt 2 vom Zion, womit Jerusalem oder vielleicht speziell auch der Tempelberg gemeint sind, nach Betlehem verlegt und auf Jesus übertragen. Mit seiner Geburt erfüllt sich für Matthäus die Verheissung von Jes 60. Auch das dient der werbenden Integration von Nichtjuden, insofern Matthäus aufzeigt, dass schon die uralten Verheissungen des Jesaja das Kommen der Völker ankündigen. Jetzt erfüllt sich dieses Kommen, so dass es höchste Zeit ist, die Türen der Gemeinden auch für Angehörige der Völker zu öffnen. Denn hinter dieser Bewegung steht letztlich Gott selbst. Schliesslich zeigt die Erzählung auch, dass Nichtjuden wie die Magier fähig sind, die Zeichen Gottes in dieser Welt richtig zu deuten. Ja, mehr noch: Die Magier sind sogar Empfänger göttlicher Offenbarungen. Das macht V. 12 deutlich, denn Träume sind in der matthäischen Erzählwelt der Kindheitsgeschichte ein Medium der Mitteilung himmlischen Wissens an irdische Erzählfiguren (vgl. Mt 1,20–23; 2,13.23). Wie der Davidssohn Josef träumt und so die Pläne Gottes erfüllt, träumen auch die Magier und ziehen auf einem anderen Weg zurück in ihre Heimat. Offenbar zieht Gott keine religionssoziologischen Grenzen, wenn er sich mitteilen will. All das schreibt Matthäus seiner Gemeinde in ihre Jesusgeschichte hinein und wirbt dafür, die Grenzen der Gemeinde durchlässig zu halten.

Markus Lau

 

1 Mit «Magier» sind Mitglieder einer persischen Priestergruppe gemeint, denen man besondere astronomische Kompetenzen zuspricht.

2 In der Online-Version stellt Markus Lau drei Dimensionen des Textes vor. Sie finden den Beitrag als Bonus nebenstehend.

3 So lässt sich die Passivkonstruktion des Verses deuten.

4 Etwa auf den Herrschermünzen von Alexander dem Grossen oder Augustus.

5 Wie die vier nichtjüdischen Frauen im Stammbaum Jesu, vgl. Mt 1,1–17.

 


Markus Lau

Dr. theol. habil. Markus Lau (Jg. 1977) studierte Theologie in Münster, Freiburg i. Ü. und Mainz. Er ist seit 2016 Oberassistent an der Universität Freiburg i. Ü. und seit 2018 Mitarbeiter der Fachstelle «Bildung und Begleitung» der Bistumsregion Deutschfreiburg. Er ist dort zuständig für den Bereich der biblischen Bildung. Darüber hinaus ist er seit 2019 geschäftsführender Sekretär der Kommission für Theologie und Ökumene der Schweizer Bischofskonferenz und seit 2021 Privatdozent für Neues Testament an der Universität Mainz.

 

BONUS

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