Verantwortung tragen - Gerechtigkeit stärken

Ob Kleinschürfer von Hand Gold waschen oder ob nach Kohle geschürft wird: Menschrechte gelten für alle. © Meinrad Schade/Fastenopfer

(Zusammenfassung von Vera Rüttimann)

Zum ersten Mal wird die Ökumenische Kampagne der kirchlichen Hilfswerke Fastenopfer und Brot für alle mit einem Volksbegehren verknüpft, der Konzernverantwortungsinitiative. Hier nun eine Beurteilung der Initiative aus ethischer Sicht. Viele multinationale Unternehmen wie Glencore und Nestlé haben ihren Sitz in der Schweiz. Sie gehören zu den grössten Konzernen der Welt. Die kirchlichen Werke haben hartnäckig recherchiert und weisen in ihrer diesjährigen Kampagne auf die Schattenseite dieser Konzerne hin. Fest steht: Gerade im Goldabbau gehören Landraub, Umsiedlungen und vergiftetes Trinkwasser zu den dunklen Begleiterscheinungen. Niemand übernimmt jedoch die Verantwortung für die Betroffenen. Auch die Mutterkonzerne in der Schweiz nicht, die die Gewinne einstecken. Es braucht daher Gesetze, die sie dazu verpflichten, ihre Geschäfte weltweit mit der nötigen Sorgfalt anzugehen und Gesetze, die festschreiben, dass die Konzerne für die Einhaltung dieser Sorgfaltspflicht auch rechtlich haftbar sind. Darum haben die Hilfswerke Brot für alle und Fastenopfer gemeinsam mit über 70 Organisationen die Konzernverantwortungsinitiative initiiert.

Wirtschaften im Blick der katholischen Soziallehre

Fragen zur Wirtschaft und damit auch zur Wirtschaftsethik nehmen in der christlichen Sozialethik und insbesondere in der katholischen Soziallehre eine gewisse Vorrangstellung ein. Dies hängt eng mit der Entstehung der Soziallehre ausgehend von der sozialen Frage im 19. Jahrhundert und der Auseinandersetzung mit der Rolle des Kapitals und der Stellung der Arbeit im Wirtschaftsleben zusammen. An Bedeutung gewann das Thema Wirtschaftsethik zusätzlich, als in den frühen 1980er-Jahren die Globalisierung auf den Plan trat und wirtschaftsethische Fragen noch einmal ganz neu gestellt und angegangen werden mussten.

Der Mensch im Zentrum

Das Thema christliche Sozialethik spielte auch während des Zweiten Vatikanischen Konzils eine zentrale Rolle. Ausgehend von seinem Grundsatz, den Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika «Mater et Magistra» 1961 erstmals in dieser Art formulierte, besteht das fundamentale Ziel allen Wirtschaftens nicht so sehr in der Produktion oder im Gewinn oder in der Ausübung von Macht, sondern im «Dienst am Menschen». Die Menschenrechte, ihr Schutz und der Einsatz zu ihrer Durchsetzung sind darum Kerninhalt der kirchlichen Sozialverkündigung. Diesen Faden nahm auch Papst Franziskus mit seiner jüngsten Enzyklika «Laudato si’» auf, in der er die Verbindung von Menschenwürde, Menschenrechte und ökologischer Verantwortung aufzeigt.

Gemeinwohl in der katholischen Soziallehre

In der Tradition der katholischen Soziallehre nimmt das Thema Gemeinwohl eine grosse Rolle ein. Sie wird als zentraler Orientierungspunkt doppelt verstanden. Zum einen bestimmt es das Ziel aller menschlichen und gesellschaftlichen Anstrengungen, wie es Papst Franziskus in «Laudato si’» ausführt. In diesem Sinne spricht das «Kompendium der Soziallehre» (2006) in der Folge von einer Gemeinwohlverpflichtung als zentrales Element wirtschaftlicher wie auch politischer Tätigkeit.

Es ist unbestritten, dass multinationale Unternehmen in dieser Frage eine besonders wichtige Rolle spielen können und auch müssen. Gerade ihr Handlungsspielraum in Staaten, die über schwache Rechtsstrukturen verfügen, verpflichten diese Unternehmen, durch ihr Handeln das Gemeinwohl vor Ort wie auch weltweit zu fördern. Dabei kommt die zweite Bedeutung des Gemeinwohls als Sozialprinzip und damit handlungsrelevanter Wegweiser zum Tragen. In diesem Sinne meint das Gemeinwohlprinzip, dass Nutzen und Lasten nicht einseitig verteilt sein dürfen.

Solidarität als vorrangige Option für die Armen und Benachteiligten

Eine weitere zentrale Rolle in der Tradition der katholischen Soziallehre spielt das Thema Solidarität. Sie wurde zu einer moralischen Pflicht, weniger der individuellen Nächstenliebe wegen, sondern vielmehr als Strukturprinzip im Sinne einer vorrangigen Option für Arme und Benachteiligte. Darin spiegelt sich die Verpflichtung individueller wie sozialer Art, zuerst für ein menschenwürdiges Leben aller zu sorgen. Das Solidaritätsprinzip erinnert auch daran, dass alle Menschen eine Verpflichtung haben gegenüber der Gesellschaft, der sie alle angehören. Konkret verpflichtet das Solidaritätsprinzip Einzelne, Unternehmen wie auch Staaten, darauf zu achten, wo Menschen benachteiligt werden. Gerade angesichts der dominierenden Systeme von Wettbewerb, Wirtschaftswachstum und Gewinnorientierung werden Menschen in ihrer Würde missachtet.

Die Verantwortung der Unternehmer

Die jüngere katholische Soziallehre betont immer wieder: Unternehmen und Unternehmer-Aktivitäten sind nicht Selbstzweck. Besitz wie Unternehmensmacht verpflichten zu einem Einsatz für eine Welt, in der es allen Menschen wirklich gut geht. Dies umfasst mehr als Almosen und Wohltaten, sondern auch den Einsatz für gerechte Verhältnisse und Strukturen, politischer, wirtschaftlicher und sozialer Art. Sich an die Menschenrechte, ILO-Normen und den Global Compact, vor allem dessen umweltpolitische Ziele zu halten, gehört vor diesem Hintergrund zu den unternehmens-ethischen Selbstverständlichkeiten.

Konkret bedeutet dies aber gleichzeitig auch, dass es immer auch wieder konkrete Menschen sind, die Strukturen mitverändern und -gestalten können. Die Führungsleute multinationaler Unternehmen tragen dabei deshalb eine Mitverantwortung und haben nicht zuletzt durch ihre Macht auch die Möglichkeit, für die Menschen und im Umfeld des Unternehmens gemeinwohlfördernd zu wirken.

Mit besonderem Blick auf die gegenwärtige Entwicklung, die von grossen multinationalen Unternehmen geprägt ist und von Nationalstaaten, die in vielen Angelegenheiten an ihre Grenzen stossen, erinnert das «Kompendium der Soziallehre» daran, dass hier neue und grössere Verantwortung von den grossen Unternehmen gefordert ist.

Politik und Kirche in der Pflicht

Fazit: In ihrer Tradition der Sozialverkündigung hat sich die katholische Kirche immer wieder für jene Anliegen stark gemacht, die nun auch die Konzernverantwortungsinitiative verfolgt. Der Grundsatz, dass der Mensch im Zentrum allen Wirtschaftens stehen muss, soll Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und zur Wahrung der Schöpfung verpflichten. Gerade weil dies die markt-und gewinnorientierte Wirtschaft heute subsidiär auf globaler Ebene nicht wirklich umzusetzen vermag, sind staatliche Regelwerke und Eingriffe nötig. Dies ist umso mehr gerechtfertigt, weil multinationale, globale rechtsverbindliche und einklagbare Standards noch nicht etabliert sind.

Kirchen und kirchlich verbundene Organisationen sind darum ermutigt, sich in ihrem Engagement für Benachteiligte dafür einzusetzen, dass Menschenrechte und Umweltschutz in der Welt gefördert werden. In diesem Sinne bildet der Einsatz für die Konzernverantwortungsinitiative eine wichtige Chance auf die globale Bedeutung ethischer Fragen sowie umfassende unternehmerische wie staatliche Verantwortung hinzuweisen und sich dafür einzusetzen.

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Weitere Informationen und Unterschriftenbogen: www.fastenopfer.ch/konzernverantwortung

 


Thomas Wallimann-Sasaki

Dr. Thomas Wallimann-Sasaki (Jg. 1965) studierte Theologie in Chur, Paris, Berkeley (USA) und Luzern, wo er bei Hans Halter promovierte. Seit 1999 leitet er ethik22: Institut für Sozialethik (vormals Sozialinstitut der KAB). Er ist Präsident ad interim von Justitia et Pax.