Verantwortung - Liebe - Finanzen

Wer zu Hause betagte Angehörige pflegt, leistet oft kaum bezahlte anspruchsvolle Arbeit. Mit Folgen.

Etwa 280 000 Personen brauchen Langzeitpflege im Alter in der Schweiz. Die Gesamtkosten dieser Pflege betrug 7,2 Milliarden Franken (2010). Angehörige und Bekannte erbrachten für Betagte daheim Betreuungsarbeit im Wert von 3,1 Milliarden Franken – im Jahr.1 Meist pflegen Frauen, oft betagte Ehepartnerinnen, dann folgen Töchter. Danach Männer (etwa ein Drittel). Partner investieren etwa 60 Stunden pro Woche in die Pflege, Kinder etwa 35 – und das oft Jahre lang. Viele rutschen in die Aufgabe hinein. Das Ganze wird nicht selten nur minimal bezahlt: Einer der Gründe besteht neben fehlenden Verträgen darin, dass Angehörige oft nicht wissen, wo sie Anträge auf Hilfe stellen können, etwa für eine Hilflosenentschädigung bei der AHV/IV.

Zwei Drittel der pflegenden Töchter arbeitet wegen der Pflege Teilzeit, 16 Prozent geben ihren Beruf auf. Dies hat für deren Finanzen und Altersvorsorge fatale Folgen. Pflegende können für die AHV Betreuungsgutschriften beantragen. Dazu kommen nachweislich gesundheitliche Folgen durch Überlastung. Oft leiden sie auch unter sozialer Isolation: Für den Kontakt nach aussen fehlen Zeit, Finanzen und Kraft.

Wer bezahlt?

Zwischen den betreuten und den pflegenden Angehörigen entsteht ein – vertraglich oft nicht geregeltes – Arbeitsverhältnis. Nicht selten steht die moralische Pflicht im Vordergrund. Die Beziehung muss aber rechtlich geregelt werden, besonders wenn in einer Familie nur Einzelne die Aufgabe übernehmen. Ohne schriftliche Vereinbarung gilt die Pflege als kostenloses Engagement. Eine Bezahlung kann dann nach dem Tod mit dem Erbe nur verrechnet werden wenn die anderen Erben zustimmen.

Die Pflegekosten gehen zu Lasten des Einkommens/Vermögens der gepflegten Person. Ebenso die zur Entlastung nötigen Kosten einer Spitex/ Entlastungsperson. All dies wird aber nicht relevant für Ergänzungsleistungen (EL)! Meist werden die Kosten zu Hause nur dann übernommen, wenn der Hilfsbedarf so massiv ist, dass er nicht mehr von Spitex-Organisationen abgedeckt werden kann. So müssen Pflegebedürftige aus Kostengründen manchmal ins Heim (dort erhalten sie EL)! Und dies, obwohl gemäss der seit zwei Jahren auch in der Schweiz gültigen UN-Behindertenrechtskonvention auch Betagte ein Recht auf Teilhabe haben.2 Dazu zählt das Recht, zu Hause bleiben zu dürfen, wenn dies möglich ist.

Politik im Kriechgang

Lucrezia Meier-Schatz hat im Nationalrat 2011 in einer parlamentarischen Initiative eine Betreuungszulage für pflegende Angehörige verlangt. Die Initiative wurde vom Parlament angenommen und wird in der zuständigen Kommission SGK des Nationalrats bearbeitet. Die Vorlage müsse noch erarbeitet werden, so Meier-Schatz. Das Parlament setze zu oft auf kurzfristiges Sparen, betont sie. Etwa wenn pflegende Angehörige in der Folge grosse Fehlbeträge in der eigenen Altersvorsorge haben, weil sie für die Übernahme der Pflege ihre Erwerbstätigkeit reduzieren mussten und sie dann selbst Hilfe vom Staat in Form von Prämienreduktion und Ergänzungsleistungen zur AHV beantragen müssen. Auch die EL-Lösungen, die je nach Kanton sehr unterschiedlich ausfallen, seien unbefriedigend. Hier brauche es eine nationale Lösung.

Man zähle immer noch auf die Solidarität der Familie, so Meier-Schatz. Heute leben Familien aber oft weit verstreut, Kinder sind selbst berufstätig. «Dabei ist es unmöglich, eine 100-Prozent-Stelle mit der Pflege zu verbinden. Mit zunehmendem Alter wird das Unvorhersehbare immer mehr Flexibilität und Zeit beanspruchen.» Dies müssen auch Arbeitgeber erkennen, sagt die Fachfrau für Familienpolitik. Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege betagter Menschen fristet noch ein Schattendasein. Nach Ansicht der Politologin braucht es einerseits das Entgegenkommen der ArbeitgeberInnen und andererseits zur Einkommenskompensation Betreuungszulagen.

Letzter Ausweg?

Die Organisation Exit verzeichnet jährlich 100 bis 200 ernsthafte Anfragen für Sterbehilfe Hochbetagter vor dem Heimeintritt. Neben dem Verlust der Selbstständigkeit spielt die Angst vor hohen Kosten eine Rolle! Die ungeklärte finanzielle Situation der pflegenden Angehörigen kommt dazu, ebenso das Gefühl, dass man diese bis zur Erschöpfung beansprucht.

Kirchen müssen hier ihre Stimme erheben. Dazu gehört neben der Benennung der Fakten eine Begleitung der Pflegenden! Diese müssen, wenn sie die anspruchsvolle Aufgabe übernehmen, auch auf die rechtlichen und finanziellen Konsequenzen hingewiesen werden. Die Aussage eines politisch Verantwortlichen, man setze auf «die Ausbeutung der Angehörigen», ist leider wahr!

 

1 Jacqueline Schön-Bühlmann: Studie 2005.

2 Vgl. UN-Konvention www.behindertenbeauftragter.de, Art. 20, Buchstabe a.

Christiane Faschon

Christiane Faschon

Christiane Faschon ist dipl. Religionspädagogin, Fachjournalistin (BR) und Dozentin.