Stillstand und Bewegung

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Wenn am 11. Februar 2013 der amtierende Papst auf Ende Februar den Verzicht auf die Amtsausübung bekannt gibt und nur kurze Zeit danach bereits ein Buch über «Anforderungen und Erwartungen an den neuen Papst» erscheint, dann hat die Amtsniederlegung von Benedikt XVI. wirklich etwas ausgelöst, das uns zum Innehalten und zur Reflexion einlädt. Gerda Schaffelhofer hat dies als Herausgeberin zusammen mit 4 Autorinnen und 11 Autoren geschafft, die mit Ausnahme von Walter Kirchschläger und Eberhard von Gemmingen alle in Österreich tätig sind (Gerda Schaffelhofer [Hrsg.]: Du bist Petrus. Anforderungen und Erwartungen an den neuen Papst. [Verlagsgruppe Styria] Wien-Graz-Klagenfurt 2013, 204 Seiten).

Ähnliche Standpunkte

Trotz den unterschiedlichen Ausgangspunkten der Autorinnen und Autoren fällt auf, dass die Einschätzungen über die Amtsniederlegung von Benedikt XVI., über die Situation der Kirche heute und die damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen durchaus in die gleiche Richtung gehen. Papst Benedikt wird für seinen durchaus mutigen Entscheid zur Amtsniederlegung Respekt entgegengebracht. Der Psychotherapeut und Theologe Arnold Mettnitzer sieht mit dem beherzten Rückzug Benedikts XVI. nicht nur die Gelegenheit, nun die Karten neu zu mischen, sondern meint auch, dass damit «dem Papsttum in einer längst fälligen Art und Weise die menschliche Dimension des Amtes wieder zurückgegeben» wird. «Je menschlicher der nächste Papst wahrgenommen wird, umso glaubwürdiger wird er seine zugegebenermassen hohe Verantwortung leben können. Nie zuvor als Papst war Benedikt XVI. so berührend und als Mensch so greif- und begreifbar wie durch das menschliche Eingeständnis, dass seine Kräfte für die übernommenen Aufgaben nicht mehr ausreichen » (152 f.).

Roman Siebenrock hofft, dass mit dem Rücktritt und dem Rückzug von Benedikt XVI. aus allen offiziellen und offiziösen Netzwerken ein erster Schritt zur Neubestimmung des Papstamtes gemacht ist, der mit einer Entmythologisierung verbunden ist. Entmythologisierung des Papstamtes bedeutet nicht dessen Verneinung, sondern die Ausübung des Einheitsamtes in der Weise, «dass nicht die Vorstellung aufkommen könnte, ein besonders charismatischer Mensch in Rom könne alle Probleme lösen. In dieser Hinsicht erleben wir immer wieder eine Infantilisierung unserer Kirche, weil wir nicht erwachsen werden wollen und daher die Verantwortung gerne nach oben abschieben. Dann kommt es aber zu jener Konstellation, die ich oben angesprochen habe: Überhöhung oder Sündenbock. Aber ich könnte mir vorstellen, dass ein Papst auch alle Gläubigen dazu ermahnen könnte, ein waches Auge für falsche Entwicklungen zu haben. Deshalb könnte er zur konstruktiven Kritik auch gegenüber den Amtsträgern der Kirche ermuntern. Immer sollte sein Dienst darin aber seine Mitte haben: sich selbst zu bekehren und die anderen zu stärken; ? nicht ihnen die Verantwortung und Teilhabe abzusprechen » (176).

Persönliche Voraussetzungen

Sämtliche Autorinnen und Autoren stimmen darin überein, dass die römisch-katholische Kirche sich in einer Krisensituation befindet, wo ein krampfhaftes Festhalten am Althergebrachten nicht ausreicht. «Es geht nicht ? wie Johannes XXIII. deutlich gemacht hat ? um die Anbetung der Asche, sondern um die Weitergabe des Feuers. Die Kirche ist immer eine ecclesia reformanda gewesen und wird dies immer sein. Kirche muss immer lebendig sein, offen für neue Aufbrüche, die freilich auch Abschiede mit sich bringen» (12). Die Herausgeberin betont, dass das Buch Diskussionen um die Papstwahl auslösen und dazu einen konstruktiven Beitrag bieten will, wobei die Leserschaft eingeladen ist, auch die Autorinnen und Autoren kritisch zu begleiten. Der Mediziner und Theologe Matthias Beck betont, dass die Zukunft der Menschen und der Kirche davon abhängt, «wie es gelingt, das Spirituell- Geistige und die Anbindung an Gott wieder in den Vordergrund treten zu lassen, damit nicht Machtspiele zur Aufrechterhaltung eines Apparates verwendet werden» (22). Er sieht drei grosse Versuchungen: die Versuchung des Zweifels, der Macht und der Theologie, d. h., dass man mit der Schrift alles machen kann, je nach Auslegung. Benedikt XVI., dies betonen mehrere Autoren, hat im spirituellen Bereich Wichtiges geleistet. Nun gilt es, «das christliche Gottes- und Menschenbild bis in Alltagsfragen hinein neu herauszuarbeiten und die Suche des Menschen nach seiner eigenen Identität ernst zu nehmen» (26), wobei mit moralischen Forderungen allein keine Zukunftsgestaltung möglich sei, sondern in der Alltagswelt und bei der impliziten oder expliziten Gottessuche angesetzt werden müsse. Statt den Individualismus zu brandmarken, könne bei der Isolierung und Vereinsamung des Menschen angesetzt werden. Vor allem aber müsse deutlich werden, dass Verkünder des Evangeliums etwas verkünden, was diese selbst glauben; das Wesentliche müsse vom Unwesentlichen getrennt werden. Ein neuer Papst sollte sich «für eine bessere spirituelle, psychologische, naturwissenschaftliche und humanwissenschaftliche Ausbildung der Priester einsetzen», damit diese mehr spirituelle Begleiter sein können (37 f.).

Der neue Papst und die Ökumene

In den nichtkatholischen Beiträgen scheint selbstverständlich ein anderes Kirchen- und Petrusbild auf als bei den römisch-katholischen Autoren. So vertritt der evangelische Michael Bünker die These, dass der Petrusdienst allen Aposteln gelte. Mit Karl Barth deutet dieser das Zweite Vatikanische Konzil als «Konversion» der römisch-katholischen Kirche zu Jesus Christus und zur Heiligen Schrift ? für ihn ein Hoffnungszeichen. Bünker plädiert auf «Ut unum sint» aufbauend für eine Verständigung über das unterschiedliche Amts- und Kirchenverständnis, wo der Papst über die eigene Kirche hinaus wirken könne. Der Rabbiner Walter Homolka hofft, «dass die ecclesia triumphans des alten Ritus keine geistige Wiederbelebung findet und der neue Papst Formen des Ausdrucks im Gebet fördert, die von Juden nicht als anstössig empfunden werden » (77), dieser dem Konzil Dauer und Wirkung verleiht und jedem Antisemitismus die Stirn bietet. Der griechisch-orthodoxe Grigorios Larentzakis gibt einen Einblick in die seit den 1960er-Jahren positiven Veränderungen der römisch-katholischen Kirche gegenüber den Orthodoxen, wo das Ziel der vollen kirchlichen und sakramentalen Gemeinschaft postuliert und auf das gemeinsame Fundament des ersten Jahrtausends hingewiesen wird. Er fordert wie viele Katholiken die Förderung der kollegialen und synodalen Struktur der Kirche und wünscht sich einen Papst, der für die Gesamtkirche Christi seine Dienste zur Verfügung stellt.

Subsidiarität statt Zentralismus

In vielen Beiträgen taucht das Postulat für eine Kurienreform, für die Verminderung des Zentralismus und für die Schaffung von «patriarchalen Räumen» auf, was Walter Kirchschläger als «Verflachung der Hierarchien» bezeichnet. Er kritisiert die Titel- und die gegenwärtige Kleidungspraxis, auch das Halten einer «Privatarmee», und wünscht sich einen koordinierenden Dienst der Einheit, der durch Transparenz gekennzeichnet ist. Der ausgezeichnete Vatikan-Kenner Eberhard von Gemmingen postuliert, dass sich die katholische Kirche mit dem Papst an der Spitze mit den Herausforderungen der Moderne auseinandersetzen und überzeugende Antworten finden muss. Für die Bearbeitung von Sachfragen muss auch die Struktur reformiert werden. Dazu kann eine Bischofssynode mit den dafür notwendigen Vorarbeiten sehr nützlich sein, unter Zuzug von Beratern wie beim Konzil. Nötig sind ein vatikanisches Kabinett und der Einbezug der Ortskirchen bei den Bischofsernennungen. Als Rücktrittsalter für Verantwortliche von Kongregationen schlägt der Jesuitenpater 70 anstatt der heute geltenden 75 Jahre vor: Warum nicht auch das Gleiche für Bischöfe?

Urban Fink-Wagner


Erwartungen von Frauen

Die Grazer Professorin Theresia Heimerl stellt fest: «Der Papst steht vor der Herausforderung, unter Beibehaltung des Markennamens sanfte Veränderungen des Inhalts vorzunehmen, die den Geschmack des ?Wie damals? noch klar erkennbar in sich tragen, aber dennoch den Anforderungen der modernen Anthropologie entgegenkommen (?). Heisst konkret: Eine sanfte Annäherung an das geänderte Menschenbild der Moderne und Postmoderne, beginnend mit den medizinischen Voraussetzungen und den Geschlechterrollenbildern, wird dem Papst nicht erspart bleiben, will er mehr Menschen ansprechen» (64 f.).

Andrea Lehner-Hartmann wünscht sich «Pluralitätskompetenz », wo das Christentum in konstruktiver Auseinandersetzung mit den Herkunfstraditionen und -kulturen gelebt wird, nicht als verlängerten Arm einer römischen Sichtweise. «Eine Kirche, die nach innen pluralitätsfähig ist, kann auch nach aussen als ernst zu nehmende Gesprächspartnerin auftreten» (130).

Die Ordensfrau Beatrix Mayrhofer erhofft sich neben einer klarsichtigen Analyse der Kirchensituation durch die Kardinäle ein Zuhören des Papstes auf die Laien, besonders auch auf die Frauen. «Und wer möchte leugnen, dass das Gesicht der Armut in unserer Welt ein weibliches ist?» (146).

Urban Fink-Wagner

Urban Fink-Wagner

Der Historiker und promovierte Theologe Urban Fink-Wagner, 2004 bis 2016 Redaktionsleiter der SKZ, ist Geschäftsführer der Inländischen Mission.