Pfarreien der Zukunft

Die anvisierte Neugestaltung der territorialen Seelsorge verlangt die Unterbrechung des bisherigen Handelns und andere Rahmenbedingungen. Bei der Neubildung der Pfarreien wird gezielt vom Einzelnen her gedacht.

Auf welcher Grundlage arbeiten wir im dritten Jahr nach der Synode im Bistum Trier? In den beiden ersten Kapiteln ihres Abschlussdokuments beschreibt die Diözesansynode die Vision, die sie für das Bistum Trier hat. Inhaltlich sind dies zunächst die vier Perspektivwechsel:

  1. Vom Einzelnen her denken;
  2. Charismen vor Aufgaben in den Blick nehmen;
  3. weite pastorale Räume einrichten und netzwerkartige Kooperationsformen verankern;
  4. das synodale Prinzip bistumsweit leben.

Diese vier Perspektivwechsel fordern die Christen im Bistum Trier seit dem Ende der Diözesansynode im Frühjahr 2016 heraus. Bischof Stephan Ackermann fasst sie so zusammen: «Wir wollen entschieden an der Seite der Menschen stehen und bewusst von den Charismen leben, die der Herr uns in dieser Zeit schenkt. Dabei sind wir überzeugt davon, dass die Frauen, Männer, Kinder und Jugendlichen in unserem Bistum in weiten pastoralen Räumen ansprechende Gemeinschaften bilden und sich einander im Glauben stärken können. In all unseren gemeinsamen Beratungen, in unserem Miteinander-Ringen, im Stocken und im Vorankommen dürfen wir uns von der Freude an der Botschaft inspirieren lassen, die wir als Kirche Jesu Christi leben und bezeugen.»

Kirchliches Leben neu ausrichten

Mit dem Votum der diözesanen Räte und der Dechanten des Bistums vom 3. Oktober 2016 erhielt die Umsetzung der Ergebnisse der Diözesansynode eine Dynamik und eine Orientierung, die den weiteren Prozess nachhaltig prägt: Zunächst sollen die Pfarreien der Zukunft gebildet werden und damit ein struktureller Rahmen für die Neuorientierung gegeben sein. Mit dieser Entscheidung verbindet sich zweierlei: zunächst die Überzeugung, dass es zur tiefgehenden Neuausrichtung einer Unterbrechung des bisherigen Handelns und neuer Rahmenbedingungen bedarf; dann aber auch insbesondere die Einsicht, dass diese Neuausrichtung keineswegs einfach Strukturreform bedeutet, sondern kirchliche Erneuerung im Kontext der Menschwerdung Gottes steht. Die Gestaltung der Pfarreien der Zukunft – auch und gerade in ihren verwaltungsbezogenen und strukturellen Komponenten – bindet uns an das Geheimnis der Inkarnation: Gott ist Mensch geworden, er hat den Boden eines Menschenlebens unter die Füsse genommen, sein Leben für uns ist räumlich und zeitlich fassbar und konkret. Die Pfarrei der Zukunft soll diesen menschgewordenen Gott vielfältig und in den Lebensräumen der Menschen bezeugen.

Mit dem Stichtag für die Errichtung der Pfarreien der Zukunft am 1. Januar 2020 treten wir in eine durch die Synode inspirierte Phase der Kirchen- entwicklung ein. Der bisher geltende Rahmen wird aufgebrochen, von den bisherigen Strukturen und dem Bild der Pfarrgemeinde wird Abschied genommen. Die bisher fast 900 Pfarreien werden aufgelöst. 35 Pfarreien der Zukunft werden gegründet. Die Diskussion um die konkreten Zuschnitte wurde von März 2017 bis November 2017 in der Bistumsöffentlichkeit geführt. Das war eine sehr intensive, von vielen Widerständen, von Frustration und Angst geprägte Zeit. Diese Stimmungslage ist auch noch nicht überwunden, umso wichtiger ist es, das Ziel dieser Massnahmen im Blick zu behalten. Dieser Abschied von der bisherigen Sozialgestalt der Kirche soll eine Neugestaltung der Seelsorge begünstigen: diakonisch, missionarisch, lokal. Jede Pfarrei der Zukunft wird ein Netzwerk von kirchlichen Orten, Angeboten und Gruppen sein. Die Rahmenbedingungen für die Pfarreien der Zukunft werden Raum lassen für lokale Entwicklungsprozesse.

Eine Orientierung geben

Zurzeit beschreiben unterschiedliche Projektgruppen genauer, wie eine Pfarrei der Zukunft arbeiten kann: Ein pastorales Rahmenleitbild wird entwickelt, mit dessen Hilfe sich eine Pfarrei der Zukunft an den Perspektivwechseln der Synode orientieren kann. Kirchenentwicklung wollen wir in unseren Pfarreien gestalten als beständiges Lernen und spirituellen Prozess. So kann sich die Kirche ausgehend vom Evangelium für heute erneuern. Grossen Wert legte die Synode auf die diakonische Kirchenentwicklung. Pfarreien der Zukunft sind herausgefordert, die konkreten Lebensbedingungen der Menschen zum Ausgangspunkt ihres pastoralen Handelns zu machen. Dabei ist auch zu entdecken, was das Evangelium in der jeweiligen Situation konkret bedeutet.

Eine Gestalt geben

Bei der strukturellen Gestaltung der Pfarreien sollen die Lebenssituationen der Leute von heute und vielfältige Orte von Kirche die Basis für die Organisation der Pfarrei sein. Die Kirche denkt nicht von ihrer Selbstorganisation, sondern vom Einzelnen her. Konkrete Fragen sind hier u. a.: Wie kann es in der Pfarrei der Zukunft gelingen, dass kirchlich und andere Handelnde stärker zusammenarbeiten? Die inhaltlichen Veränderungsimpulse der Synode und der Abschied von den bisherigen Pfarreien verlangen beständige Entwicklung und eine neue Führungskultur. Wichtig ist daher auch das Konzept für das Leitungsteam der Pfarrei der Zukunft. Wie sieht es konkret aus, wenn die Leitungs- und Führungsverantwortung für eine Pfarrei nicht nur einem einzelnen Pfarrer, sondern einem Leitungsteam übertragen wird? Wie wird ein solches Team zusammengestellt? Welche Rolle hat der Pfarrer darin?

Auch hinsichtlich der Verwaltungsabläufe bietet die Neuausrichtung Chancen für eine Verbesserung. Allein schon die Reduktion der Zahl der Pfarreien hilft, Verwaltungsressourcen zugunsten des pastoralen Engagements zu konzentrieren. Auch die Verwaltungsaufgaben sind neu zu gestalten. Die Verwaltung soll schlanker und effizienter werden. Verbindliche, standardisierte und aufeinander abgestimmte Verwaltungsprozesse kommen auch den Gläubigen zugute, da sie verlässliche Dienstleistungen erwarten dürfen. Wie sich Christen in den Pfarreien der Zukunft an Planungs- und Entscheidungsprozessen beteiligen können, beschäftigt eine weitere Gruppe. Es braucht nicht nur eine auf die Pfarreien der Zukunft angepasste Räteordnung, sondern die intensive Förderung einer synodalen Kultur. Verschiedene Formen der Verantwortungsübernahmen sollen daher entwickelt werden, die der gewünschten Vielfalt in der Pfarrei entsprechen.*

Kirchliche Sendung inhaltlich vertiefen

Die Synode hat neben den grundlegenden Fragen nach Orientierung und Gestalt der territoria- len Seelsorge eine Reihe von Handlungsschwerpunkten der Kirche besonders in den Blick genommen. Hier wird es darum gehen, wie auf der Basis der Perspektivwechsel pastorales Handeln sich weiter entwickeln lässt. Im Überblick: Es geht um die qualitätsvolle Gestaltung von Gottesdiensten, die Gestaltung von geistlichen Zentren, die Einrichtung missionarischer Teams und eines freiwilligen missionarischen Jahres, um Impulse für die Präsenz der Kirche mitten unter den Menschen zu setzen.

Inklusion zu realisieren meint, dass die Teilhabe am kirchlichen Leben für alle möglich ist, die das wollen, und dass Barrieren räumlicher, gesellschaftlicher oder sprachlicher Art abgebaut werden. Katechetische Prozesse sollen sich ausgehend vom Glaubenszeugnis und den Glaubensnöten der Menschen weiterentwickeln im Sinne der Begleitung eines lebenslangen Lernens auf individualisierten Wegen; das Handlungsfeld Familie stellt einen wichtigen Schwerpunkt des synodalen Diskurses dar. Es geht darum, was Familien brauchen und wie die Kirche ihr Engagement in den Pfarreien der Zukunft so gestalten und vernetzen kann, dass sie die Lebenssituationen von Familien zu verbessern hilft.

Nachdem die Arbeitsgruppen ihre Zwischenergebnisse in Resonanzveranstaltungen mit Betroffenen und Experten diskutiert haben, wird die Leitungskonferenz des Bistums die Rahmenbedingungen für die Pfarreien der Zukunft festlegen. Durch die breite Zusammensetzung der Projektgruppen und durch die unterschiedlichen Formen der Resonanz realisiert sich schon jetzt das synodale Prinzip. Dialog und Diskussion prägen die getroffenen und anstehenden Entscheidungen. Für das synodale Prinzip steht auch, dass die diözesanen Räte kontinuierlich einbezogen sind und dass ihrem Votum hohe Bedeutung beigemessen wird.

Schon jetzt: Erkunden und Entdecken

Während die oben beschriebenen konzeptionellen Gruppen im Hintergrund arbeiten, sind zurzeit elf Erkundungsteams in den Pfarreien des Bistums unterwegs: Als multiprofessionelle Teams von je drei Personen helfen sie, das Leben vor Ort neu zu sehen, und bieten an, die Perspektivwechsel einzuüben. Sie unterstützen damit die Pfarreien der Zukunft bei ihrer Entstehung und laden Interessierte ein, sich dabei aktiv einzubringen. So kann sichtbar werden, welche Themen die Menschen in ihren konkreten Lebensräumen bewegen und wo Energie besteht, solche Aufgaben gemeinsam anzugehen.

Ganz viele Menschen beteiligen sich am Veränderungsprozess im Bistum Trier. Sie finden ihre Motivation angesichts der Herausforderungen in der Verheissung Gottes: «… ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben» (Jer 29,11).

Daniela Mohr-Braun** und
Christian Heckmann***

 

 *Berichte zu den Gruppen finden sich im Synoden-Blog unter www.heraus-gerufen.de.

Daniela Mohr-Braun und Christian Heckmann

Dr. theol. Daniela Mohr-Braun (Jg. 1967) ist Dozentin für Dogmatik am Interdiözesanen Seminar Studienhaus St. Lambert und theologische Referentin der Stabsstelle zur Umsetzung der Ergebnisse der Diözesansynode im Bistum Trier.

Christian Heckmann (Jg. 1973) ist diplomierter Theologe und war von 2012 bis 2016 Sekretär der Synode im Bistum Trier. Heute ist er Leiter der Stabsstelle zur Umsetzung der Ergebnisse der Diözesansynode im Bistum Trier.