Petrusdienst im (beobachtbaren) Wandel

Wenn am Hochfest der Apostel Petrus und Paulus für die Eucharistiefeier das Evangelium aus Mt 16,13–19 vorgesehen ist, so ist damit die Perikope ausgewählt, die das katholische Verständnis des Papsttums am meisten geprägt hat. «Du bist Petrus – der Fels –, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen» (Mt 16,18): Diese Verheissung an Petrus gilt als «klassische Primatsstelle».

 

Das Bekehrungsthema in der lukanischen Petrusüberlieferung

Umso mehr ist es beachtenswert, dass die Enzyklika Ut unum sint (UUS) von 1995 an der ersten den Petrusdienst betreffenden Stelle (Nr. 3) die lukanische Petrusüberlieferung verwendet: «Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder» (Lk 22,32). Die Auslegung von Papst Johannes Paul II. unterstreicht das Charakteristische dieser Version: Jesus lässt Petrus «gleichzeitig seine menschliche Schwachheit und die besondere Notwendigkeit seiner Bekehrung erkennen». In der Folge ruft Papst Johannes Paul II. auf, für die Bekehrung des Bischofs von Rom zu beten. Damit ist bereits das Thema angeklungen, das gegen Ende der Enzyklika wieder aufgenommen wird. Vor diesem Hintergrund benennt UUS Nr. 95 f die Aufgabe, Formen zu finden, in denen der Dienst des Bischofs von Rom auch von anderen Kirchen als Dienst der Liebe angenommen werden kann (vgl. UUS Nr. 95 f.).

Damit wird explizit angestrebt, was sich durch die Jahrhunderte hindurch ereignet hat: Wandel des Petrusdienstes.

Herausbildung des Petrusdienstes

Unbestreitbar musste sich in den ersten Jahrhunderten der petrinische Dienst allererst entwickeln, bis er im Laufe der Zeit eine «primatiale» Bedeutung für die Gesamtkirche erhielt. Unaufgeregt legt Klaus Schatz die Legitimität einer solchen Entwicklung dar: «Versteht man die Stiftung der Kirche durch Jesus Christus nicht in ungeschichtlichem Sinne, sondern so, dass erst geschichtliche Herausforderungen und Erfahrungen zur Erkenntnis auch des Wesentlichen und Bleibenden der Kirche führen, dann kann man sinnvollerweise gar nicht erwarten, dass ‹der Primat von Anfang an da war.›»1 Erst durch die Ausdehnung in Zeit und Raum wurde die Bedeutung eines Einheitszentrums bewusst und die Petrusüberlieferung als Vorbild dafür entdeckt. Diese Entwicklungen sind weder zu leugnen noch von vornherein als illegitim zu bewerten. Die Kirche ist eine geschichtliche Grösse, die sich veränderten Herausforderungen stellen muss.

Zurückliegende Neujustierungen

Nicht alle Veränderungen sind jedoch schlechthin irreversibel und dem Sinn des Petrusdienstes entsprechend. Daran erinnert der Appell an die Bekehrung durch Papst Johannes Paul II. ebenso wie seine Erwähnung der «schmerzlichen Erinnerungen», die sich dem Gedächtnis anderer Christen hinsichtlich des Papsttums eingeschrieben haben (vgl. UUS Nr. 88). So ergibt sich die Notwendigkeit von Veränderungen, die aus neuen Einsichten erwachsen und gegebenenfalls frühere Entwicklungen korrigieren. Auf manche solcher Neujustierungen des Petrusdienstes können wir heute bereits aus Distanz zurückschauen, wie zwei Beispiele kurz zeigen können.

(1) Auf der Basis des Zweiten Vatikanischen Konzils könnte kein Papst mehr den Anspruch erheben, den Papst Bonifaz VIII. in der Bulle Unam Sanctam (1306) höchstfeierlich proklamiert hatte: «Wir erklären, sagen und definieren nun aber, dass es für jedes menschliche Geschöpf unbedingt notwendig zum Heil ist, dem Römischen Bischof unterworfen zu sein» (DH 875).

(2) Angesichts eines bedrohten Kirchenstaates verurteilte der Syllabus 1864 die Auffassung, die Abschaffung der weltlichen Herrschaft würde zur Freiheit und zum Glück der Kirche beitragen. Demgegenüber erklärte der heutige Papst in seinem früheren Gespräch mit dem Rabbiner Skorka, der Kirchenstaat sei wegen seiner Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht «eine Deformation des Christentums» gewesen. Mit dem Verlust des Kirchenstaats sei der Kirche eine gute Sache widerfahren.2

Die Pontifikate seit dem II. Vatikanum

Nicht dass sich das Papstamt verändert, ist ungewöhnlich. Eine besondere – nicht von allen geschätzte – Situation entsteht daraus, dass wir heute solchen Veränderungen zuschauen können. Das erste Amtsjahr von Papst Franziskus hat diesbezüglich bei den einen Begeisterung, bei anderen Befremdung ausgelöst. Nicht übersehen werden sollte, dass manche der gegenwärtigen Veränderungen durch die zurückliegenden Pontifikate vorbereitet worden sind. Offenkundig haben die Schlichtheit und Spontaneität von Papst Johannes XXIII. und sein Vertrauen auf das Wirken des Geistes in der Kirche die Weichen neu gestellt. Ein Wegbereiter für eine andere Ausübung des Petrusdienstes war aber auch Papst Paul VI., der einen einfachen Lebensstil pflegte und dafür z. B. mit dem Verzicht auf die Tiara auch im Papstamt Zeichen setzte. Er initiierte eine bis dahin ungekannte päpstliche Reisetätigkeit und wählte für sein Auftreten symbolträchtige (Heiliges Land, UNO) und unkonventionelle Orte (Weihnachten 1966 im hochwasserüberfluteten Florenz, 1972 in einem Eisenbahntunnel). Papst Johannes Paul II. verzichtete als erster völlig auf die päpstliche Sänfte und pflegte auch sonst ein sehr schlichtes ästhetisches Erscheinungsbild. In der bereits genannten Enzyklika Ut unum sint deutete er – wie in einigen anderen Lehrschreiben – einen mehr kollegialen Stil des Papstamtes an («Das alles [was zur Ausübung des Petrusdienstes gehört] muss sich jedoch immer in Gemeinsamkeit vollziehen»: Nr. 95), was jedoch zu wenig in kollegiale Praxis und kollegiale Strukturen umgesetzt wurde. Zu nennen ist schliesslich – und damit beginnt die gegenwärtige Phase beobachtbaren Wandels – der Rücktritt von Papst Benedikt XVI.

Gegenwärtigem Wandel zusehen

Wahrzunehmen ist im Auftreten von Papst Franziskus nochmals ein Schub von Schlichtheit im Auftreten. Dem Appell an die Bischöfe, Wege der Beratung zu suchen, entspricht die eigene Bereitschaft, die päpstlichen Beratungsorgane zu reformieren (Bischofssynode) bzw. zu ergänzen (Kardinalsrat). Damit bahnt sich an, dass in diesem Pontifikat nicht blosse Stilveränderungen zu erwarten sind. Dies ist ebenso legitim wie dringlich, wenn das Papsttum strukturell nicht neuzeitlich-absolutistischen Formen verhaftet bleiben will. Auch genügt ein neuer, pastoraler Umgang des Papstes aus Lateinamerika mit rechtlichen Vorgaben nicht, wenn in anderen Teilen der Welt weiterhin eher legalistisch über deren Einhaltung gewacht wird. Zur Korrektur einer «übertriebene[n] Zentralisierung»3 gehört auch, den kirchenrechtlichen Rahmen unter Beteiligung der Ortskirchen zu überdenken bzw. den Ortskirchen formell mehr Freiheit im Umgang damit zu gewähren. Dies freilich setzt voraus, dass die Ortskirchen und ihre Verantwortlichen den Wandel des Papsttums nicht nur beobachten, sondern auch selbst zum Wandel aus Bekehrung bereit sind. 

1 Klaus Schatz: Der päpstliche Primat. Seine Geschichte von den Ursprüngen bis zur Gegenwart. Würzburg 1990, 52 f.

2 Papst Franziskus: Über Himmel und Erde. Jorge Bergoglio im Gespräch mit dem Rabbiner Abraham Skorka. Das persönliche Credo des neuen Papstes. München 2013, 233.

3 Papst Franziskus: Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (24. November 2013), Nr. 32.

Eva-Maria Faber

Eva-Maria Faber

Prof. Dr. Eva-Maria Faber ist Ordentliche Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Theologischen Hochschule Chur