Ökumene als Konfliktbewältigung

Das für 2017 ausgerufene Reformationsjubiläum sorgt im Vorfeld für eine Belebung der Debatte um den Stand der Ökumene. Das 500-jährige Gedenken der Anfänge der Reformation scheint im Hinblick auf den Fortgang des ökumenischen Gesprächs zwischen den Kirchen der Reformation und der Römisch-Katholischen Kirche Chancen zu bieten, aber auch Risiken zu bergen.1 In der mit Näherrücken des Jubiläumsjahres sich beschleunigenden Diskussion melden sich nun zwei Autoren zu Wort mit einem gemeinsamen Buch, das eine bisher wenig beachtete Dimension der Ökumene in den Vordergrund rückt.

Das von dem katholischen Theologen Andreas Schmidt und dem evangelisch-lutherischen Theologieprofessor Sven Grosse verfasste, handliche Werk «Die Rückgewinnung des Vertrauens. Ökumene als Konfliktbewältigung»2 wirbt für eine Ökumene der Freundschaft und macht zugleich anschaulich, wie der geistliche, fundierte, freundschaftliche Dialog der beiden Autoren den Boden bereitet, um nicht allein den Konsens weit zu spannen, sondern auch offen und ehrlich bleibende Differenzen zu benennen und auszuhalten.

Indes ist nicht die ökumenische Freundschaft selbst Gegenstand des Buches, vielmehr stellt sie die Grundlage dar, aufgrund welcher zunächst Schmidt in einer profunden historischen Darlegung den Ursachen der Trennung nachspürt und daran anschliessend Wege zur Überwindung der fortdauernden Hindernisse zur Einheit anregt, worauf hernach Grosse in einer Würdigung antwortet.

Die katholische Sichtweise

In seiner Rückblende zu den Ursprungsereignissen, die in die Kirchenspaltung mündeten, legt Schmidt sein Hauptaugenmerk darauf, unter Rückgriff auf die moderne Konfliktforschung die Dynamik der Auseinandersetzung zwischen Luther und der von Kard. Cajetan repräsentierten Gegenseite freizulegen. Der entscheidende Wendepunkt in Luthers Denken, der ihn in der Folge zu der scharfen Polemik gegen den Papst veranlasste3 und zur Bestreitung der kirchlichen Lehrautorität führte, ist gemäss der Analyse des katholischen Theologen durch den rapiden Vertrauensschwund bei den Gesprächen mit Cajetan eingetreten. Wenn beim Weg in die Trennung «nicht nur unterschiedliche Positionen, sondern das mangelnde Verständnis der Anliegen, mangelnde Kommunikation und persönliche Verletzungen eine grosse Rolle gespielt»4 haben, so könne umgekehrt der Weg in Richtung voller kirchlicher Einheit nur über die Rückgewinnung des Vertrauens erfolgen. Mit Verweis auf den Schlussbericht der lutherisch-katholischen Dialoggruppe von Farfa Sabina5 sowie auf das ökumenische Dokument «Communio Sanctorum»6 stellt Schmidt fest, dass die Notwendigkeit eines universalkirchlichen Dienstes an der Einheit auch von evangelischer Seite grundsätzlich bejaht werde und daher nicht das Petrusamt selbst, sondern die Art und Weise von dessen Ausübung den entscheidenden Streitpunkt darstelle, der einer evangelisch-katholischen Annäherung im Wege stehe. Folglich schlägt der katholische Co-Autor vertrauensbildende Massnahmen von katholischer Seite vor, die helfen könnten, die Akzeptanz des Papstamtes auf evangelischer Seite zu erleichtern und so den Weg zur Einheit zu bahnen.

Die reformierte Sichtweise

Gegenüber dem optimistisch gestimmten Beitrag Schmidts fällt die Antwort aus evangelischer Sicht von Sven Grosse eher kritisch aus. Die durch die Reformation errungene Mündigkeit der Gläubigen, so Grosse, könne und dürfe nicht aufgegeben werden, weshalb eine von Schmidt in Aussicht gestellte einstige Anerkennung der katholischen Kirchenstruktur von protestantischer Seite einer Quadratur des Kreises gleichkäme. Indes könnte gemäss Grosse eine «Situation der besonderen Bedrängnis der Kirche»7 einen Kairos eintreten lassen, der ein Zusammenwachen über die differenten Kirchenverständnisse hinweg ermöglichen würde. Der evangelische Theologe erkennt denn auch in den säkularistischen Tendenzen innerhalb der Kirchen selbst eine Gefährdung, aufgrund welcher das Papsttum als «Kristallisationspunkt der Einheit»8 erkennbar werden könnte, um dem strukturellen Hauptproblem der Kirche in der Gegenwart, der Zersplitterung, entgegenzuwirken. Ja, der Papst könnte als jener, der angesichts der aktuellen Herausforderungen der christlichen Konfessionen den sensus fidelium der Gläubigen zu stärken vermag, auch von evangelischer Seite als «führender Repräsentant und Wegweiser der Kirche»9 anerkannt werden.

Freundschaftlicher Dialog

Der in dem Buch dokumentierte Ausschnitt aus einem fortlaufenden Gespräch zeigt auf, wie der geduldige und geistlich verwurzelte freundschaftliche Dialog den oft diagnostizierten Stillstand in der Ökumene überwinden und dem Prozess gegenseitiger Annäherung neue Vitalität verleihen kann. Es ist den Autoren zu wünschen, das ihr Buch in der aktuellen Debatte um die Zukunft der Ökumene gebührende Beachtung und sich der von ihnen aufgewiesene Weg des Dialogs in Freundschaft eine Fortsetzung finde.

 

 1 Vgl. dazu etwa das Interview von Paul Badde mit Kard. Koch auf kathtube.com.

2 EOS Verlag St. Ottilien 2014, 114 S.

3 Schmidt nennt hier im Besonderen die von Luther im Jahre 1520 verfasste Streitschrift «Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche».

4 Rückgewinnung des Vetrauens, 59.

5 Die Gruppe von Farfa Sabina: Gemeinschaft der Kirchen und Petrusamt. Lutherisch-katholische Annäherungen, Frankfurt 2010.

6 Bilaterale Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands: Communio Sanctorum. Die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen, Paderborn 2000.

7 Rückgewinnung des Vetrauens, 107.

8 A.a.O., 114.

9 A.a.O., 114.

Tobias Häner

Tobias Häner

Tobias Häner ist Vikar in der Pfarrei St. Clara, Basel, und Mitglied der Dozentengruppe am Institut Thérèse von Lisieux (ITL), Basel.