«Meine Natur ist Feuer»

Die am 2. November 1940 geborene Kosmopolitin, Mystikerin, Zen-Meisterin und bekannte spirituelle Lehrerin Pia Gyger ist am 14. Juli 2014 in Basel im Alter von 73 Jahren gestorben.

Die diplomierte Heilpädagogin und Psychologin war von 1982 bis 1994 Leiterin des Säkularinstitutes St.-Katharina-Werk in Basel (heute Ökumenische Gemeinschaft mit interreligiöser Ausrichtung), das sie spirituell und strukturell erneuerte. Dort initiierte sie verschiedene Projekte, darunter ein Projekt zur Begegnung der Weltreligionen. In Ibayo, einem Slum im Grossraum der philippinischen Hauptstadt Manila, baute sie die «Schule für globales Bewusstsein» auf. Gemeinsam mit Niklaus Brantschen SJ, mit dem sie eine lange zölibatäre Lebensgemeinschaft verband, gründete Pia Gyger das Lassalle-Institut mit eigener Glassmann-Lassalle-Zen-Linie, die Kontemplationsschule «Via integralis» (die christliche und Zen-Mystik miteinander verbindet) und das Projekt «Jerusalem – offene Stadt zum Erlernen des Friedens in der Welt», das mittlerweile von der UNO akkreditiert wurde.

Zu ihrer Arbeit im Lassalle-Institut bekannte sie in einem Interview: «In den Seminaren geht es darum, neu sehen zu lernen. Wir können, wie Einstein sagte, die gegenwärtigen und zukünftigen Probleme nicht mit derselben Denkweise lösen, die zu ihrer Entstehung beigetragen hat. Die Kurse, Seminare und grossen Tagungen sind so aufgebaut, dass wir unser tiefstes Potenzial anzapfen können und dadurch fähig werden, neue Problemlösungen zu finden bezüglich einer gerechteren und sinnvoller gestalteten Weltordnung, einem neuen Umgang mit Macht und Ohnmacht und einem schöpferischen Gleichgewicht von männlicher und weiblicher Energie.»

Grenzen öffnen

Der «Aggiornamento»-Impuls des Zweiten Vatikanischen Konzils war bei Pia Gyger auf fruchtbaren Boden gefallen. Persönlich ausgestattet mit viel Pioniergeist lag ihr die in kosmische Weite führende evolutive Weltsicht Teilhard de Chardins besonders am Herzen. In der Theologie Teilhards fand ihre leidenschaftliche Liebe zum Universalen Christus Inspiration und weiterführende Impulse. Sie wusste, dass sie ihren Auftrag der Erneuerung ihrer Gemeinschaft in säkularer Welt nur würde meistern können in radikalem Hören auf die Stimme ihres Herzens, der Quelle in ihr. So verfolgte sie konsequent ihren kontemplativen Weg, den sie bei Pater Enomiya Lassalle begonnen hatte, und den sie in ihrer Zen-Ausbildung in Japan und Hawai weiterführte. Als eine der ersten Frauen überhaupt wurde sie zur Zen-Meisterin ernannt. Den Buddhismus und das westliche Christentum in einen versöhnenden Dialog gebracht zu haben, wird ihre nachhaltige Leistung bleiben. «Ihr» Katharinawerk war für sie Heimat und Biotop für alle «Grenzerweiterungen», zu denen sie ihre Christusimpulse drängten. Mit dem mystisch-evolutiven Blick Teilhards weitete sie die einstige Herz-Jesu-Spiritualität der katharinischen Gründergeneration aus auf das ganze Lebens-Gewebe der Welt.

Das Dach der Kirche weiten

Pia Gyger wusste sich geführt von Tiefenimpulsen, in denen sie Christus vernahm. Daher fühlte sie sich frei von vielen strukturellen Hindernissen und bahnte unerschrocken neue Wege, die das Katharinawerk bis heute prägen. So öffnete sich das Katharinawerk unter Gygers Leitung für die Vielfalt: für Männer und Ehepaare, für Menschen aus kirchlichen Randgruppen, anderen Konfessionen und Weltreligionen.

Neue Strukturen wurden entwickelt, die für die feste Ordnung der römisch-katholischen Kirche eine deutliche Herausforderung darstellten. Da diese vielfältige Mitgliedschaft und auch partnerschaftliche Leitungskonzepte von Mann und Frau in Säkularinstituten nicht vorgesehen sind und Rom den (vor vielen Jahren zugesprochenen) Status «Versuchslaboratorium für das Verhältnis von Kirche und Welt» nicht mehr weiter aufrecht erhalten wollte, gründete sich im Jahr 2003 das Katharinawerk als zivilrechtlich eingetragenen Verein mit einer kollegialen Leitungsstruktur; mit dem Säkularinstitut als Teil dieses Vereins. Vielleicht ist Pia Gyger hier ein bedenkenswertes Modell der Transformation von religiösen Gemeinschaften gelungen. Trotzdem – oder gerade deshalb – dankte Felix Gmür, Bischof von Basel, der Gemeinschaft im letzten Jahr zu ihrer 100-Jahr-Feier: «Der katholischen Kirche helfen Werke wie das Ihrige, ihr Dach weit – und damit katholisch im ureigenen Sinne des Wortes – zu halten.» Dass dem Katharinawerk hier eine Struktur für spirituelle Vergemeinschaftung von Laien und Frauen eines Säkularinstituts gelungen ist, steht ausser Frage. Ob und inwiefern jedoch diese neue Struktur Vorbild sein wird für weitere Gründungen oder alternative Leitungskonzepte und Strukturen in kirchlichen Instituten, bleibt abzuwarten.

Der Evolution dienen

Mit Pia Gyger verliert das Katharinawerk eine vielfältige Aktivistin für den Frieden und eine «Powerfrau» für eine zukunftsfähige Entwicklung der Menschheit. Gleichzeitig jedoch ist das Katharinawerk mit einem starken politisch-spirituellen Auftrag beschenkt. Pia Gygers ausserordentliche Gabe, Optimismus und kreative Energie mit Gründerimpulsen zu verbinden, wird tief in Erinnerung bleiben.

Norbert Lepping und Lisa Wortberg-Lepping

Die Diplom-Theologin und Germanistin Lisa Wortberg-Lepping ist langjährige Redaktionsleiterin des Essener Adventskalenders und Seelsorgerin im Elisabeth-Krankenhaus in Essen.

Der Diplom-Theologe Norbert Lepping ist Referent für missionarische Pastoral im Bistum Essen.

Das Ehepaar Lepping hat vier Kinder und ist seit 2002 Mitglied im Katharina-Werk.