Im Blick auf Jesus

Fronleichnam: 1 Kor 11,23–26 (Gen 14,18–20; Lk 9,11b–17) (vgl. Auslegung zum Gründonnerstag in SKZ-Nr. 10 / 2013, S. 156).

Paulus hat die christliche Gemeinde von Korinth nicht «einfach» nur gegründet und anschliessend ihrem Schicksal überlassen. Er war vielmehr für die Glaubenden seiner Gemeinden (und darüber hinaus) bleibend ansprechbar, um ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Umgekehrt betrachtete er es als festen Bestandteil seines apostolischen Dienstes, ein Augenmerk auf das Leben der Christinnen und Christen zu werfen, um sie entweder zu ermutigen und zu bestärkenoder auch zu ermahnen und zu korrigieren – beides, um den konstruktiven Aufbau der Ekklesia auf dem in Jesus Christus gelegten und durch ihn vorgeprägten Fundament zu gewährleisten (vgl. 1 Kor 3,11).

In Korinth gab es nun reichlich Grund zur Sorge für den Apostel. Das meiste Kopfzerbrechen bereitet ihm die Eucharistiepraxis dort. Wenn man überhaupt von «Eucharistie» sprechen darf, denn der Hauptvorwurf, den Paulus in 1 Kor 11 ausspricht, ist, dass die sonntäglichen Zusammenkünfte der korinthischen Gemeinde es nicht länger verdienen, Herrenmahls-, d. h. Eucharistiefeiern genannt zu werden. Paulus argumentiert insgesamt kreuzestheologisch und jesuanisch. Seiner Ansicht nach verlassen die Korinther den gelegten Grund.

Was war passiert? Die vorausgesetzte Situation ist umstritten. Die meisten Exegetinnen und Exegeten gehen davon aus, dass das eucharistische Mahl, das ursprünglich ein Sättigungsmahl umrahmte, in Korinth – von der Regel abweichend – im direkten Anschluss an das Sättigungsmahl gefeiert wurde. Die wohlhabenden Gemeindemitglieder hätten dann vor Ankunft der anderen mit dem Sättigungsmahl begonnen. G. Theissen vermutet, dass die wohlhabenden Gemeindemitglieder qualitätvollere Speisen mitgebracht und exklusiv für sich reserviert haben. P. Lampe modifiziert leicht: Die wohlhabenden Mitglieder seien eher angekommen, hätten ihr Mitgebrachtes verspeist. Die Armen kamen später, ihr Mitgebrachtes fiel gering aus, etliche blieben hungrig. O. Hofius versteht das «Herrenmahl» als Sammelbegriff für Sättigung und Eucharistie. Das korinthische Problem sei gewesen, dass die Wohlhabenden dabei unter sich hätten bleiben wollen und keine Ambitionen zum Teilen zeigten.

Wie man es auch dreht und wendet, es steht fest, dass es der in sozialer Hinsicht äusserst heterogenen christlichen Ekklesia von Korinth auf Dauer nicht gelungen war, die Einheit zu wahren. Dass sich der Dissens vor allem im Gottesdienst abzeichnete, macht den Befund nicht besser. Im Gegenteil! Es war eine Haltung der Herzenshärte und des Egoismus, gegen die der Apostel hier nun argumentiert. Er sieht die Glaubwürdigkeit der korinthischen Ekklesia bis ins Mark erschüttert und wirft den wohlhabenden Christinnen und Christen vor, ihre eucharistischen Zusammenkünfte seien Zerrbilder, geradezu finstere Karikaturen der von Jesus selbst im Abendmahl grundgelegten vergegenwärtigenden Erinnerung an seine Lebenshingabe zum Leben der Menschen in der Feier jeder Eucharistie. Die Kritik des Apostels wiegt schwer: Im Kern geht es darum, dass die Korintherinnen und Korinther riskieren, die Gemeinschaft mit Jesus aufzugeben und zu verlieren.

Um dies zu vermeiden, erinnert Paulus an die besondere Art und Weise, in der Jesus am Abend vor seinem Leiden mit den Seinen zusammenkam, um Mahl mit ihnen zu halten, Gott zu loben und zu danken und ein fortwährendes Signum seiner Proexistenz und Hingabe zu stiften. Die exegetische Forschung diskutiert, ob es sich hierbei um eine liturgische Paschamahlfeier gehandelt haben mag oder nicht. Einige Stimmen optieren wegen der Datierung der Passionsereignisse zu Gunsten einer vorgezogenen Paschafeier. Paulus interessieren solche Fragen nicht. Ihm ist stattdessen wichtig, klarzustellen, dass fortan bei jeder Feier des Herrenmahls des Todes Jesu gedacht wird, den dieser durch sein das bevorstehende Passionsgeschehen deutendes Bundeswort als Heilsgeschehen qualifiziert hat. Der Kreuzestod Jesu wird also von ihm selbst nicht etwa als eine Art «Betriebsunfall» oder «Super-Gau» verstanden, sondern als in sich heilswirksam, weil er zum äussersten Erweis der entschiedenen Liebe Gottes zu den Menschen wird. Darin ist der neue Bund, der den alten nicht aushebelt, sondern vollendet, begründet.

Im Licht des Kreuzes kommt die ganze Wirklichkeit der Sünde zu sich, an der auch die Feiernden beteiligt sind. Den Sündern wird also die eigene wesenhafte Befindlichkeit vor Augen gestellt. Zugleich wird ihnen im Kreuzestod Jesu aber eine von Gott gewährte neue Lebensmöglichkeit geschenkt: Jesus ist der von Gott gesandte Knecht, der sein Leben einsetzt für die vielen, d. h. zu Gunsten der Menschen. Im gebrochenen und ausgeteilten eucharistischen Brot findet diese Lebenshingabe Jesu ihren sinnenfälligen Ausdruck. Die soziale und koinoniale Dimension des Sakraments ist damit ein konstitutives Wesenselement des Herrenmahls. Wer an der rettenden Kraft des Kreuzes partizipieren will, darf sie nicht dadurch ad absurdum führen, dass er den Brüdern und Schwestern gegenüber nicht selbst diese im Kreuzestod Jesu aufscheinende Hingabe und Zuwendung praktiziert. Im Blick auf Jesus lenkt der Apostel die Glaubenden zurück auf den Weg der Nachfolge. Dann, davon ist er überzeugt, wird ihr Glaubenszeugnis wieder strahlend – und stark genug, um auch nach aussen hin anziehend und für Aussenstehende einladend zu wirken. Die Feier des Herrenmahls ist nicht nur die Visitenkarte der christlichen Gemeinde von Korinth, sondern der Ausweis ihrer Identität und die Urkunde ihrer Glaubenskraft.

Heute mit Paulus im Gespräch

Der Tübinger Exeget Michael Theobald zeigt jüngst in seiner Monografie «Eucharistie als Quelle sozialen Handelns», wie man die Eucharistie von Anbeginn als Grund caritativen Engagements verstand. Es zeichnen sich für die frühe Kirche trotz grosser Vielfalt Grundlinien ab, die die soziale Dimension der Mahlpraxis Jesu für jede nachösterliche Eucharistie festhalten. So wurde sie für alle, die im Gedenken an Jesu Tod feiern, zur Quelle von Caritas und Diakonie. Theobald vermutet, dass bei der Herausbildung kirchlicher Ämter gerade deshalb auch Diakone hervortraten, um so der sozialen Dimension der Eucharistie von Anfang an einen stabilen institutionellen Ausdruck zu verleihen. Ab dem Mittelalter verändert sich das Bild. Das wird man historisch einzuordnen und zu bewerten haben. Dennoch fragt sich, ob die gegenwärtig oftmals im Trend liegende Ästhetisierung von Liturgie und Kult nicht auch das Potenzial hat, wichtige Impulse des Anfangs zu verschütten. Gottesliebe und Nächstenliebe lassen sich nicht trennen. In seinem ersten Brief an die Korinther hat der Apostel Paulus diesen Grundsatz für die Christinnen und Christen aller Zeiten wie in Stein gemeisselt. Von ihm her erschliesst sich in gewohnter Dichte, wie sehr die christliche Liturgie nicht nur lebendige Darstellung, sondern vergegenwärtigender Vollzug der Propria des Glaubens sein soll. Paulus war den Korinthern Ermutiger und Ermahner. Diese Rolle steht ihm gut. Gestern wie heute.

 

Robert Vorholt

Robert Vorholt

Prof. Dr. Robert Vorholt (Jg. 1970) wurde in Münster/Westfalen (D) geboren, studierte in Münster und Paris, ist Priester, seit 2012 ordentlicher Professor für Exegese des Neuen Testaments und seit 2017 Dekan der Theologischen Fakultät an der Universität Luzern.