Fronleichnam

«Täfelimeedle» und Trachten auf dem Appenzeller Landsgemeindeplatz. (Bild: Monika Schmid)

 

Fronleichnam – in Innerrhoden «Öse Heergottstaag» genannt, ähnlich dem Französischen «Fête-Dieu» – ist ein wichtiger Bestandteil des Jahres in Appenzell, sowohl für die Kirche wie auch für das Dorf. Dies liegt nicht nur an der tiefen Bedeutung, sondern am Engagement vieler. Einzelne nehmen dafür extra frei, wenn sie auswärts arbeiten oder studieren. 

Wie bedeutsam dieser frohe Tag ist, zeigt sich in der vielfältigen Farbenpracht durch Uniformen, Trachten, Kleider der Erstkommunionkinder, offizielle Gewandungen, Fahnen und Blumenschmuck bei den verschiedenen Altären oder unterwegs. Behörden nehmen ebenso sichtbar an diesem Fest teil wie Pfarreiangehörige und Gäste. Die Prozessionsordnung gilt seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten. Das Gehör kommt ebenfalls nicht zu kurz, gibt es neben dem Glockengeläute und der Musik auch die Fronleichnamsschützen und die Kanonenböller. Kein Wunder, dass an diesem Tag Kameras Hochkonjunktur haben. Nicht nur der Gottesdienst mit der Prozession und dem sakramentalen Schlusssegen ist wichtig, auch das anschliessende Beisammensein beim Mittagessen aller Beteiligten oder das Ausklingen dieses Tages auf der Gasse. 

Als Pfarrer erlebe ich Fronleichnam mit zwei Seelen in der Brust. Zum einen ist es überwältigend, wie viele Menschen sich engagieren und am Fest teilnehmen. Wenn immer möglich will man auf die Prozession. Dies wurde unter anderem im letzten Jahr deutlich, als wetterbedingt der Gottesdienst in der Kirche war. Trotz schlechten Prognosen hat sich während der Kirche der Himmel wie durch ein Wunder aufgehellt und eine kleine Prozession ohne Stationsaltäre konnte zur Freude aller Anwesenden gehalten werden. Dies zeigt, wie viel Herzblut da ist. Was das gemeinsame Ziel im Blick verschiedener Generationen möglich machen kann, wird hier deutlich. So sollte es doch in der Gesellschaft immer sein.

Zum andern nehme ich wahr, dass die Prozession für viele, die am Rande des Weges stehen, zu einem Event verkommt. Dies kommt zum Ausdruck, wenn gefragt wird, wann der Umzug beginne. Wenn ich wenige wahrnehme, die sich bekreuzigen oder besinnlich werden, wenn das Allerheiligste in der Monstranz unter dem Baldachin an ihnen vorübergeht, wenn während den Stationen ein «Gschnurr» ist – auch wenn gebetet wird oder der Kirchenchor ein «Tantum ergo» singt. Dann frage ich mich schon: Ist das Fronleichnam? Es dürfte eigentlich keine Zuschauer geben, nur Mitbetende und Mitgehende. Dies ist wohl nebst der Dimension der grösste Unterschied von Appenzell und den anderen Pfarreien im Inneren Land, wo das Fest auch begannen wird.

Was der Leib Christi bei all den Menschen bewirkt, weiss ich nicht, eben so wenig wie viele Fotos gleichentags wieder gelöscht werden. Trotz der nachdenklichen Fragen überwiegen das positive Gefühl und die Freude über Fronleichnam.

Lukas Hidber*

 

* Lukas Hidber (Jg. 1971) studierte Theologie in Luzern und Wien. Seit 2009 ist der Mitglied des Domkapitels des Bistums St. Gallen und seit 2015 Standespfarrer in Appenzell.