Feuer des Glaubens – von Gott entfacht

27. Sonntag im Jahreskreis: 2 Tim 1,6–8.13–14 (Hab 1,2–3; 2,2–4; Lk 17,5–10)

Es gab eine Zeit, in der es lebenswichtig war, dass am Morgen unter der Asche noch Glut vorhanden war, die wieder zu einem Feuer entfacht werden konnte, und dass daher das Feuer sorgfältig genährt wurde, damit am Abend genug Glut vorhanden war, um die Nacht zu überdauern. Zogen die Menschen weg oder weiter, trugen die Menschen die Glut möglichst mit sich, denn ein neues Feuer ohne Glut zu entfachen, war mühsam und dauerte manchmal zu lange, um das Überleben zu sichern. Feuer strahlt Licht aus und spendet Wärme, wie auch die Glut. Darüber hinaus machen Feuer wie Glut einen Grossteil der menschlichen Nahrung erst geniessbar (wenn auch etliches davon roh essbar ist). Feuer ist ein schönes Bild für den Glauben unter wechselnden Bedingungen.

Der zweite Brief an Timotheus im jüdischen Kontext

Anders als der erste Brief an Timotheus, welcher vorwiegend Anweisungen zur Strukturierung und Festigung der Gemeinde enthält, scheint der zweite Brief in erster Linie an Timotheus persönlich gerichtet zu sein und enthält mehr theologische als organisatorische Ansätze. Die Forschenden sind sich dabei einig, dass zumindest Paulus als Absender, vermutlich aber auch Timotheus als Adressat für beide Briefe fingiert sind. Beim Lesen des ersten Briefes regt sich der Verdacht, dass diese Fiktion hauptsächlich dazu dienen soll, den Anweisungen Autorität zu verleihen. Die Anleitungen selbst scheinen nicht nur zur Konsolidierung der Gemeinde, sondern dadurch zugleich auch zu deren Abgrenzung zu dienen, auch gegenüber dem Judentum.

Im zweiten Brief hingegen schreibt die Fiktion tatsächlich eine Haltung weiter, die sich bei einer intensiveren Beschäftigung mit Paulus anhand seiner Briefe erkennen lässt. Es ist seine tiefe Verwurzelung im Judentum, dem er in seinem Wirken bzw. Lehren stets treu verbunden blieb. Diese Verbundenheit zeigt sich hier direkt im Hinweis: «Ich danke Gott, dem ich wie schon meine Vorfahren mit reinem Gewissen diene» (2 Tim 1,3) und indirekt im Dank des Verfassers für den Glauben des Timotheus: «Denn ich denke an deinen aufrichtigen Glauben, der schon in deiner Grossmutter Loïs und in deiner Mutter Eunike lebendig war und der nun, wie ich weiss, auch in dir lebt» (2 Tim 1,5). Die Vorfahren des Paulus aber waren ganz klar keine Christen, sondern Juden. Auch wenn der Verfasser an dieser Stelle wörtlich «die vorher Geborenen» schreibt, ist gewöhnlich in solchen Zusammenhängen vom Glauben der Väter die Rede. Umso auffälliger ist die Nennung der Grossmutter und Mutter des Timotheus als Garantinnen der überkommenen Religion. Jedoch wird Timotheus in der Apostelgeschichte als Sohn einer Jüdin und eines Griechen eingeführt (Apg 16,1), was ihn zum Juden macht, der jedoch den jüdischen Glauben nicht von seinem Vater übernommen haben kann (worauf wiederum die Anmerkung in der Apostelgeschichte hinweist, dass Timotheus erst von Paulus beschnitten wurde; Apg 16,3). Umso mehr zeigt der unübliche aber für die Sache unabdingbare Verweis auf den Glauben der Grossmutter und Mutter, dass es dem Verfasser darum geht aufzuzeigen, dass der zu verkündende Glaube im Judentum verwurzelt ist und aus dieser Tradition lebt. Das ist die «gesunde Lehre» (2 Tim 1,13), die Timotheus zum Vorbild nehmen soll und die für ihn wie für Paulus (fingiert oder nicht) zum Glauben und der Liebe in Christus führt, denn nichts anderes als diese «gesunde Lehre» hat auch dieser vorbildhaft verkündet (daher Glaube in und nicht an Christus).

Ausgehend von den oben gemachten Beobachtungen könnte die These aufgestellt werden, dass sich die Gemeinde des Timotheus zu sehr in die Strukturierung und Abgrenzung «gestürzt» und darob die Lehre etwas vernachlässigt, bildlich mit Asche zugedeckt hat. Jedenfalls sieht sich der Verfasser im zweiten Brief veranlasst zu mahnen: «Deshalb rufe ich dir ins Gedächtnis: Entfache die Gnade Gottes wieder, die in dir ist, seit ich dir die Hände aufgelegt habe» (2 Tim 1,6). War also bereits in der zweiten «christlichen» Generation eine Reformbewegung nötig, welche bekanntlich immer auch eine Rückbesinnung auf den Ursprung, die Wurzeln oder Quellen umfasst? Oder geht es eben gar nicht um die Wiederbelebung des «christlichen» Enthusiasmus, sondern um das Wiederentfachen des von den Vorderen übernommenen Glaubensfeuers an den einen Gott, der die Kraft gibt und «uns gerettet hat» (2 Tim 1,8 f.), was erneut «durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus offenbart wurde» (2 Tim 1,10)?

Heute mit 2 Tim im Gespräch

Der Verlauf der Geschichte hat dem christlichen Glauben ein eigenes Gesicht gegeben, das dem Judentum nicht entgegensteht, aber nun doch ein anderes ist. Dennoch lässt sich der Lesungstext im Hinblick auf uns Heutige generell lesen. Das Bewahren der Glut hat ja auch das Ziel, wieder Feuer zu entfachen – was durch das Freilegen allein noch nicht erreicht ist, es braucht auch neue Nahrung, soll die Glut sich nicht selbst einäschern –, sich den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu stellen. «Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft [dynamis: Wirkmächtigkeit, Vermögen, Macht], der Liebe und der Besonnenheit» (2 Tim 1,7). Wer aus diesem Geist lebt und handelt, braucht sich wahrlich nicht zu schämen. Der Geist der Liebe sorgt dafür, dass unser Handeln auf soziale Gerechtigkeit gerichtet ist. Die Besonnenheit garantiert, dass es die Lebensgrundlagen nicht gefährdet und sich damit auch an der Bewahrung der Schöpfung orientiert. Am schwierigsten ist es, darauf zu vertrauen, dass uns tatsächlich der Geist der dynamis gegeben ist. Wie oft glauben wir doch, nichts bewirken, nichts erreichen zu können. Der Geist der Verzagtheit ist wirklich hartnäckig – doch er ist nicht von Gott. Andererseits hat der Geist der dynamis, der Dynamik nichts mit der bis zum Überdruss zitierten Wendung zu tun: «Jede/r muss bei sich selber anfangen …», das zwar nicht völlig falsch ist, aber nur zu oft zu einer Nabelschau und Selbstbeschränkung führt. (Darüber hinaus bringt es nicht weiter, immer nur anzufangen.) Er ist nicht ein zögerliches, weder bittendes noch forderndes Züngeln. Er ist ein loderndes Feuer, den Gott nicht mir und dir, sondern uns gegeben hat. Damit es brennt, müssen wir wohl lernen, wieder zu einem «wir» zu werden. Dazu ist nicht die Religionszugehörigkeit entscheidend, sondern die Verbundenheit durch den Geist der Kraft/Dynamik, der Liebe/Agape und der Besonnenheit, des gesunden Verstandes (sophrosyne).

Katharina Schmocker Steiner

Katharina Schmocker Steiner

Dr. Katharina Schmocker Steiner ist zurzeit in der Administration im Zürcher Lehrhaus – Judentum Christentum Islam tätig.