Die Inszenierung des Lichts

Das sinnliche, theologische und geistliche Potenzial des Lichtes ist bei der Gestaltung von Gottesdiensten noch nicht ausgeschöpft. Stephan Wahle empfiehlt für die Christmette eine Orientierung an der Osternacht.

Seit alters her übt das Licht eine Faszination auf den Menschen aus. Licht ermöglicht nicht nur menschliches Erleben und Überleben, die Faszination Licht begegnet einem faktisch in allen Lebensbereichen, von der Kosmologie und Naturwissenschaft über Kunst und Kultur bis hinein in Freizeit und Wohnwelt. So kommt es nicht von ungefähr, dass Licht immer auch eine zentrale Rolle in den Religionen einnimmt. Vor allem die kultische Hinwendung nach Osten lässt sich faktisch in allen Religionen von der prähistorischen Zeit bis in die Gegenwart hinein nachweisen. Ex oriente lux – das Licht aus dem Osten schafft im wahrsten Sinne des Wortes Orientierung in Gottesdienst und Gebet. Während diese kosmische Symbolik im Zuge der Technisierung der Lebenswelt und der Ausrichtung von Liturgie auf gesellschaftliche, soziale Bedürfnisse der Menschen in den Hintergrund getreten war, zeichnet sich in jüngerer Zeit eine neue Sensibilität für eine erlebnisstarke, sinnliche Gottesdienstkultur ab. Der angemessenen Berücksichtigung des natürlichen Lichteinfalls in den Kirchenraum kommt deshalb zusammen mit der Verwendung herkömmlicher Kerzen und moderner Lichttechnik für die Pflege einer ars celebrandi eine Schlüsselrolle zu.

Ein Blick in die Geschichte

Die Ausrichtung zum Gebet in Richtung der aufgehenden Sonne vereint in besonderer Weise Judentum und Christentum. Das Judentum kennt nicht nur die Orientierung zum Tempel in Jerusalem, wahrscheinlich ist die Ausrichtung nach Osten ursprünglicher. So verfügen die frühen Synagogen über eine Eingangsostung und vermutlich war der erste Tempel von Jerusalem in seiner Achse exakt auf den Kamm des Ölbergs gerichtet, über dem am Morgen die ersten Sonnenstrahlen direkt in das Gebäude einfielen. Auch für das frühe Christentum sind zahlreiche Bezüge zum natürlichen wie auch zum künstlichen Licht nachzuweisen. Gleichwie Christen sich mit Händen und Augen zum Gebet nach Osten ausrichten, um sich «dem Herrn zuzuwenden», so sind auch die Kirchengebäude in aller Regel geostet. Neben der natürlichen Notwendigkeit, im dunklen Raum zum Gottesdienst am Morgen überhaupt etwas sehen zu können, schwingt stets eine symbolische Aussage mit. Christus selbst ist es, der im Neuen Testament als «das aufstrahlende Licht aus der Höhe» (Lk 1,78) bezeichnet wird, «das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet» (Joh 1,9). Die Gläubigen, die sich auf diesen Christus taufen liessen, werden im Osten die «Erleuchteten» genannt, denn sie sind «Kinder des Lichts» und «Kinder des Tages» (1 Thess 5,5; Joh 12,36) geworden. In der Idee des «ewigen Lichts» am Tabernakel und der brennenden Osterkerze am Ambo oder Taufbrunnen wird die ständige Gegenwart des auferstandenen Christus im Kirchenraum zur symbolischen Erfahrung gebracht.

Unter den kulturellen und mentalitätsgeschichtlichen Rahmenbedingungen der Spätantike entsteht zudem ein christliches Glaubensbekenntnis, in dem Christus als das «Licht von Licht» bekannt wird. Die Kirchenväter bezeichnen Christus als «Sonne der Gerechtigkeit» und übertragen damit eine alttestamentliche Verheissung des Propheten Maleachi auf Christus (Mal 3,20). In Hymnen, wie dem Phos hilaron aus dem 2. Jahrhundert, wird Christus als das «heitere Licht» begrüsst, denn er ist wie das freundliche Licht des Abends nach der gleissenden Hitze eines südländischen Sommertages. So lautet die zweite Strophe dieses griechischen Christushymnus’, der bis heute täglich in den ostkirchlichen Liturgien und seit der Erneuerung der Stundenliturgie auch in der römisch-katholischen Kirche gesungen wird:

Siehe, wir kommen beim Sinken der Sonne,
grüssen das freundliche Licht des Abends,
singen in Hymnen Gott dem Vater,
singen dem Sohn und dem heiligen Geist.

Der Einfluss, der von dem zeitgenössischen «Modephänomen» (Martin Wallraff) der spätantiken Sonnenverehrung auf das frühe Christentum ausging, lässt sich insbesondere in der Ausgestaltung des Kirchenraums und des Kirchenjahres ablesen.

Die Lichtsymbolik des Kirchenjahres

Während das Osterfest aus dem jüdischen Pesachfest hervorgegangen ist und seit dem Konzil von Nizäa (325) in allen christlichen Kirchen am Sonntag nach dem Frühlingsvollmond gefeiert wird, trägt die spätantike Sonnenverehrung in nicht unerheblichem Masse zur Etablierung des Geburtsfestes Christi am Tag der Wintersonnenwende bei. Auch das im Osten parallel entstandene Epiphaniefest trägt in seiner Terminologie den Aspekt der Sichtbarwerdung des Herrschaftsantritts des Erlösers in sich. Festzeiten und Begleitfeste von Ostern und Weihnachten/Epiphanie sowie weitere Feste und Gedenktage an jahreszeitlich bedeutsamen Terminen greifen die Licht- und Sonnenthematik auf.  

Es sind vor allem die Gebete und Hymnen, die zu den Jahresfesten wie auch am Morgen und Abend im Stundengebet das Licht in poetischer Sprache bedenken, theologisch deuten und geistlich erschliessen. Hinzu kommen viele biblische Lesungen, Lieder und Gesänge, Segensriten und volkstümliches Brauchtum, die der Liturgie den Charakter eines «Lichtkosmos’» (Albert Gerhards) verleihen und die Gottesdienste nach dem Prinzip der gestuften Feierlichkeit erlebbar machen. Stets ist es dabei die physikalische Qualität des Lichts, die es für eine poetische Theologie prädestiniert. So wie der Mensch durch das Licht Raum und Zeit, Kosmos und Geschichte wahrnehmen und vermittels der Vernunft erkennen kann, so steht das Licht auch für das «Symbolisieren», das heisst für das «Zusammenfügen» von Gott und Mensch, Zeit und Ewigkeit.

Zudem ist es seine sinnliche Qualität, die den nachhaltigen Eindruck des natürlichen und künstlichen Lichtes auf den Menschen erklärt. Dies zeigt sich vor allem heute in der wieder zunehmenden Verwendung von Kerzen im Gottesdienst, besonders wenn alle Gläubigen aktiv daran partizipieren. Nicht nur in der Osternacht werden von der Osterkerze kleine Lichter an die Gläubigen verteilt. Auch bei der Feier eines Abendlobs wird über eine hereingetragene Kerze in Form einer Lichtdanksagung das Lob Gottes angestimmt. Während Rorategottesdienste im Advent, die Lichterprozession zum Fest der Darstellung des Herrn, der Triangel-Leuchter in den Karmetten oder das Entzünden von Grablichtern zu Allerseelen auf eine teils sehr lange Tradition zurückblicken, sind der Adventskranz und der Christbaum zwar relativ junge Phänomene bürgerlicher Kultur und keine offiziellen liturgischen Symbole. Gleichwohl wären die Adventsliturgie ohne Adventskranz und die Weihnachtsgottesdienste ohne Christbaum kaum vorstellbar. Besonders der nächtlichen Christmette liegt von alters her eine intensive Lichtmetaphorik zugrunde, wie es ihre frühmittelalterliche Oration zeigt:

Herr, unser Gott,
in dieser hochheiligen Nacht
ist uns das wahre Licht aufgestrahlt.
Lass uns dieses Geheimnis
im Glauben erfassen und bewahren,
bis wir im Himmel
den unverhüllten Glanz deiner Herrlichkeit schauen.

Ostern und Weihnachten – Feste des Lichts

In diesem Sinne sehen viele liturgische Handreichungen nach dem Einzug in die dunkle Kirche einen Lichtritus mit Lichtruf, Lichthymnus und Gebet zur Lichtdanksagung vor. Aus theologischen Gründen ist eine solche Inszenierung sinnvoll: Gerade weil Ostern und Weihnachten theologisch als Einheit zu verstehen sind und das «Lumen Christi» der Osternacht bereits in der Inkarnation des Logos als das «wahre Licht» (Joh 1,9) leuchtet, spricht vieles für eine bewusste ästhetische Angleichung der Christmette an die Osternacht. Dazu bietet sich die Einbeziehung der Osterkerze am Taufbrunnen an, von der aus im Rahmen der Eröffnungsriten der Lichtruf angestimmt und die Lichter am Altar, an der Krippe sowie auf den Bänken im Kirchenraum entzündet werden. Zu den Lesungen oder zum Evangelium kann darüber hinaus das Licht der Osterkerze an die Gläubigen gereicht werden, um der Schriftverkündigung einen besonderen Akzent zu geben und die darin erwähnte Lichtmetaphorik (Jes 9,1; Lk 2,9) in den Händen greifbar werden zu lassen. Die luzernare Profilierung der Christmette hat folglich eine doppelte Funktion: Einerseits verdeutlicht sie die weihnachtliche Botschaft von der «hochheiligen Nacht», in der «uns» im Hier und Jetzt der versammelten Gemeinde, «das wahre Licht aufgestrahlt» ist. Andererseits verwandelt sie den Kirchenraum in einen Sehnsuchtsraum erfüllter Erwartung, für den auch die vielen Menschen mit unterschiedlichem Glauben sensibel sind und der auch durch die Faszination des Lichts verstanden wird. So gliedert sich die im gedimmten Licht gefeierte Christmette in die sinnlich gedämpfte Atmosphäre der Öffentlichkeit ein und verleiht dieser durch die Erzählung der Frohen Botschaft eine mögliche Sinngebung.


Stephan Wahle

 

Weiterführende Literatur:

  • Gerhards, Albert, Licht. Ein Weg durch Räume und Zeiten der Liturgie, Regensburg 2011.
  • Gerhards, Albert (Hg.), Liturgie und Licht. Eine Orientierungshilfe, Trier 2006.
  • Wahle, Stephan, Die stillste Nacht. Das Fest der Geburt Jesu von den Anfängen bis heute, Freiburg i. Br. 2018.
  • Wallraff, Martin, Christus Verus Sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike (Jahrbuch für Antike und Christentum. Ergänzungsband 32), Münster 2001.

Stephan Wahle

Prof. Dr. Stephan Wahle (Jg. 1974) studierte katholische Theologie und Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und in Freiburg i. Br. Seit 2013 ist er akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Dogmatik und Liturgiewissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und seit 2016 leitet er die Arbeitsstelle Liturgie, Musik und Kultur am selben Lehrstuhl. Zudem nimmt er Lehraufträge und Professurvertretungen an verschiedenen Universitäten wahr.
(Bild: Thomas Kunz)

 

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