«Die Anliegen sind durchaus vielfältig»

Laura Rolfes ist im Bistum Münster Referentin für die «Gruppe Senioren». Sie sucht und hält den Kontakt zu emeritierten Priestern und Seelsorgenden. Die Gespräche handeln von Problemen mit dem Hörgerät bis zur Einsamkeit im Alter.

Laura Rolfes (Jg. 1992) studierte in Bielefeld (D) Soziale Arbeit und Diakonik. Sie arbeitete zunächst mit Kindern mit sozialen und emotionalen Auffälligkeiten. Seit Ende 2018 ist sie als Referentin für die «Gruppe Senioren» im Generalvikariat in Münster tätig.

 

SKZ: Was genau sind Ihre Aufgaben als Referentin für die «Gruppe Senioren» (Emeriti und Ruheständler)?
Laura Rolfes: Meine Aufgabe als Referentin für die «Gruppe Senioren» besteht grundlegend darin, Ansprechpartnerin für sämtliche aufkommende Themen und Fragen im Leben von Ruheständlerinnen und Ruheständlern zu sein. Ich nehme zunächst alle Fragen auf und versuche dann, diese zu beantworten oder gegebenenfalls an die richtige Ansprechperson weiterzuvermitteln. Ausserdem mache ich darauf aufmerksam, wie wichtig das Ausfüllen von Vorsorgevollmachten, Betreuungs- und Patientenverfügungen ist und unterstütze bei Bedarf dabei. Mein längerfristiges Ziel ist es, zu möglichst vielen Ruheständlerinnen und Ruheständlern einen guten Draht aufzubauen und somit die Hemmschwelle zur Kontaktaufnahme zu senken und so im Alltag als auch in Krisenzeiten eine Unterstützung zu sein.

Wie kommen Sie in Kontakt mit den Priestern?
Ausserhalb der Pandemie bin ich viel unterwegs. Ich stelle mich auf jährlichen Weihejahrgangstreffen vor, besuche (Emeriti-)Konveniats, nehme an privaten Treffen mehrerer Ruheständlerinnen und Ruheständler teil usw. Zudem bin ich darauf angewiesen, dass (leitende) Pfarrer von Kirchengemeinden sich bei mir melden und mir vertraulich mitteilen, dass beispielsweise ein Emeritus in der Gemeinde oftmals einsam ist, Hilfe benötigt oder möglicherweise umziehen möchte und dabei Unterstützung benötigt. Daraufhin trete ich dann mit dem Emeritus in Kontakt und biete einen Besuch oder ein Gespräch an. Oft entstehen so ganz wunderbare Gespräche und auch längerfristige Kontakte.

Priester sind es oft gewohnt, alles selbstständig zu erledigen. Wird Ihr Angebot zur Hilfe angenommen?
Ich bemerke schon, dass die erste Kontaktaufnahme aus Eigeninitiative vielen Seelsorgenden im Ruhestand schwerfällt. Ob das damit zu tun hat, dass sie viel selbstständig gearbeitet haben, kann ich nicht sagen. Im Gegensatz dazu fällt mir aber positiv auf, dass nach der ersten Kontaktaufnahme in aller Regel ein angenehmer und offener Kontakt zustande kommt. Bisher waren alle Ruheständlerinnen und Ruheständler nach meinem Besuch positiv gestimmt und baten mich um einen weiteren Besuch.

Was sind die häufigsten Anliegen respektive Gesprächsthemen?
Die Anliegen der Ruheständlerinnen und Ruheständler sich durchaus vielfältig. Das Spektrum reicht von Vereinsamung über Probleme mit der Krankenversicherung oder dem Umzug in eine seniorengerechte Wohnung bis hin zu Fragen zum Beantragen eines Hörgeräts oder auch hoher Verschuldung. Die Themen sind so vielfältig, dass ich sie nicht alleine bearbeiten kann. Dafür baue ich dann Brücken zu anderen Institutionen und Einrichtungen und bleibe auch dann nach wie vor Ansprechpartnerin.

Nach der Aufgabe der Pfarrstelle verlieren viele Priester ihr Beziehungsnetz, da sie wegziehen…
Das finde ich persönlich sehr tragisch. Kürzlich bin ich selbst 70 km weit weggezogen und habe bis heute Schwierigkeiten damit, Kontakte im neuen Wohnort zu knüpfen, und ich bin 29. Wie soll es dann einem 75- oder 80-jährigen Priester ergehen? Den Status des allseits bekannten leitenden Pfarrers der Gemeinde hat er im neuen Wohnort nicht mehr, wodurch unzählige Kontakte wegfallen. Selbst ein «Guten Morgen Herr Pastor» auf dem Weg zum Bäcker fällt morgens aus, da im neuen Wohnort oftmals nur wenig bis keine Kontakte vorhanden sind. Da ist es nur verständlich, dass es häufig zur Vereinsamung kommt. Ich finde das sehr schade, da die Priester ihr Leben lang für ihre Mitmenschen und Gemeindemitglieder im Einsatz waren und im Alter nicht selten nur wenig zurückbekommen. Umso froher bin ich, dass meine Stelle geschaffen wurde und ich, wenn auch nur im Ansatz, dagegen wirken kann.

Mit zunehmendem Alter resp. zunehmender Gebrechlichkeit fällt es vielen Menschen schwer, Gottesdienste zu besuchen oder regelmässig zu beten. Wie erleben Sie dies bei den Priestern, mit denen Sie in Kontakt stehen?
Im Alter wird der Gang zum Gottesdienst immer beschwerlicher, das höre ich auch häufig. In den meisten Fällen ist dies für die Ruheständlerinnen und Ruheständler  jedoch kein Hindernis. Einige nehmen sich einen Rollator zur Unterstützung, andere einen (elektrischen) Rollstuhl, wieder andere lassen sich von Bekannten fahren. Ich nehme wahr, dass die meisten Emeriti bis ins hohe Alter stark an ihrem Glauben und ihrer Berufung festhalten, sodass regelmässige Gottesdienste und Gebete so lange wie irgend möglich ein fester Bestandteil des Alltags bleiben.

Denken Sie, dass auch andere Diözesen eine Stelle für die «Gruppe Senioren» schaffen sollen oder sehen Sie noch andere Möglichkeiten für die Begleitung von Priestern im Ruhestand?
Viele andere Diözesen haben bereits eine Stelle für die «Gruppe Senioren» eingerichtet. Die Bezeichnung dieser Stelle ist überall ein wenig anders und auch die Aufgabengebiete unterscheiden sich. Aufgrund meiner «sozialarbeiterischen Herkunft» arbeite ich dementsprechend nach dem Motto «Hilfe zur Selbsthilfe». Ich versuche, die Ressourcen der Ruheständlerinnen und Ruheständler zu (re-)aktiveren und helfe wenn möglich beim Aufbau eines Beziehungsnetzwerkes. Durch Gespräche mit Beauftragten aus anderen Diözesen weiss ich, dass die Vorgehensweise sich immer etwas unterscheiden kann. Das Ziel von allen Beauftragten ist aber wohl das Gleiche: Ansprechperson für Ruheständlerinnen und Ruheständler zu sein und denen, die ihr Leben lang für die Gemeinde da waren, etwas zurückzugeben.

Was könnten einzelne Seelsorgende oder das Bistum dazu beitragen, dass Priester im Alter nicht einsam werden?
Es fängt oft schon bei den Kleinigkeiten an. Jede und jeder von uns kann überlegen, welche Pfarrer schon einmal in der Pfarrei tätig waren, wie alt sie nun wohl sein mögen und wo sie wohnen. Möglicherweise sind sie bereits emeritiert und an einen neuen Wohnort gezogen. Diesen Priestern einfach einmal einen Gruss aus der alten Gemeinde zukommen zu lassen, löst ganz bestimmt grosse Freude bei ihnen aus. Das Bistum kann ebenfalls tätig werden und eine Art «Besuchsdienst» ins Leben rufen. Dieser Besuchsdienst wird aus Freiwilligen gebildet, wovon jede und jeder einen Teil des Bistums zugeteilt bekommt und dort für regelmässige Anrufe und Besuche bei Emeriti zuständig ist. So kommen regelmässige Kontakte zustande und die älteren Priester haben eine Ansprechperson vom Bistum, um Fragen zu stellen und Sorgen anzusprechen. Im besten Falle arbeiten die Freiwilligen mit einer hauptberuflichen Stelle wie meiner zusammen und können so Hand in Hand für eine gute Versorgung von Emeriti zusammenarbeiten. Diese Art von «Besuchsdienst» soll es in Zukunft auch bei uns im Bistum geben und steht bereits in Planung.

Können Sie eine besondere Begegnung mit uns teilen?
Ich erinnere mich gerne an den Besuch bei einem 94-jährigen Priester, der alleine in seiner grossen Wohnung lebt. Wir unterhielten uns wunderbar und um die Mittagszeit teilte er mir mit, er habe Spargel gekauft und würde uns jetzt Spargel und Kartoffeln kochen. Ich war total überrascht und gleichzeitig beeindruckt. Der Spargel war nämlich köstlich und die Kartoffeln wurden nicht geschält, sondern mit einer harten Bürste geschrubbt. «Schrubbers» nannte er die Kartoffeln und mit geschmolzener Butter darüber war das Essen abgerundet. Im Winter des gleichen Jahres besuchte ich den Priester erneut. Extra für unser Treffen hatte er Spargel vom Frühjahr eingefroren, um uns erneut das leckere Gericht zu kochen. Es war wieder ein wunderbares Treffen mit tiefgehenden Gesprächen und köstlichem Essen. Auch das nächste Treffen ist schon geplant, ich freue mich schon sehr darauf. Und «Schrubbers» stehen seither regelmässig bei mir auf dem Mittagstisch.

Interview: Rosmarie Schärer